In Heinrich Mauchers Wald stehen 46 Hütten, zehn Kapellen, acht Türme, vier davon mit Glocken, eine große Kirche und eine Grotte. Alles hat er selbst gebaut. Alles für Maria, die heilige Muttergottes. Manche sagen, er sei verrückt. Maucher sagt: "Dass ich hierhergekommen bin, war Gottes Wille."
Vor 32 Jahren ist er in den Wald gezogen. Er lebt hier ohne fließend Wasser, ohne Strom und ohne Internet, betet sechsmal am Tag. Seine Geschichte sollte vom Rückzug von den Menschen und der Suche nach Gott handeln. Stattdessen handelt sie von einem Mann, der alleine sein will, aber nicht kann.
Es ist ein sonniger Tag. Maucher fixiert einen Nagel mit der linken Hand, in der rechten hält er einen Hammer, dann schlägt er zu. Das Geländer seines Zauns hat sich an einigen Stellen von den Pfeilern gelöst, das will er jetzt reparieren. Seine schulterlangen grauen Haare formen einen Kranz, er trägt einen gestutzten Vollbart, eine hellblaue, ausgeleierte Basecap und ein langes Gewand in Marineblau, der Farbe Marias. Um seinen Hals hängt ein großes hölzernes Kruzifix. Immer wieder nimmt er seine Schubkarre und läuft damit in die Werkstatt, um neue Nägel und Bretter für den Zaun zu holen. Maucher ist 75. Er geht barfuß, sogar im Winter. Über die Jahre hat sich an seinen Zehen eine dicke Hornhaut gebildet.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem Heinrich Maucher nicht arbeitet. Zuletzt hat er das Dach einer seiner Holzhütten neu gedeckt. Vom Fundament über die Fenster bis zur Dachverkleidung ist alles an den Gebäuden Mauchers Werk. Er baut ohne Gerüst. "Gott hilft mir dabei", sagt er.
Mauchers Einsiedelei liegt im bayerischen Schwaben, rund 80 Kilometer von Augsburg entfernt, mitten im Wald. Wer sie betreten will, muss durchs Dickicht. Gepflasterte Wege verbinden dort die Hütten, trennen sich und kommen wieder zusammen, führen über eine sprudelnde Quelle und leiten zu den Kapellen. Überall stehen Töpfe voller Stiefmütterchen, Geranien und Plastikblumen, mindestens 500 sind es. Immer wieder werden die Wege von Holzbogen überbrückt, an vielen ist ein Brett montiert. Darauf hat Maucher Psalmen oder fromme Sprüche geschrieben: "Ja, selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen."
Maucher war ein junger Mann,
der feiern ging und Autos mochte
Der Ort, an dem aus Heinrich Maucher ein Gottesjünger wurde, liegt nur wenige Kilometer von der Einsiedelei entfernt. Maucher stammt aus Maria Baumgärtle, einer Wallfahrtsstätte mit kaum 30 Häusern. Seine Eltern führten einen Bauernhof mit Kühen und Land. Als ältester Sohn war er als Hoferbe vorgesehen. Maucher sagt, dass er schon immer religiös gewesen sei. Wie viele in der Region war er Ministrant, ging sonntags in die Kirche. Ein normaler junger Mann, sagt ein Jugendfreund. Einer, der Autos mochte, auf Feiern ging. Aber irgendwann kam der Tag, an dem ihm die Menschen zu nah waren und Gott zu fern. Und an dem er daran etwas ändern wollte.
Mauchers Sehnsucht nach Gott wuchs, als 1981 seine Mutter starb, da war er 40 Jahre alt. Der Vater kümmerte sich um den Hof, Maucher begann zu pilgern: Zweimal war er in Lourdes, dreimal in Fatima, sechsmal in Israel, er reiste nach Tunesien, Polen, Belgien, Spanien, Italien. Zwei Jahre später starb auch der Vater. Mauchers Geschwister waren weggezogen, eine Frau fand er nie. Der Hof lief immer schlechter: Die Kühe wurden krank, drei Tierärzte konnten ihnen nicht helfen. Mit 44 konnte Maucher die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Er betete, versuchte dabei, mit seinen Eltern im Jenseits Kontakt aufzunehmen. Er verkaufte nach und nach Land und Vieh.
Dann ging Maucher in den Wald. Auf einem Stück Land, das er geerbt hatte, baute er eine Grotte, darin ein Bildnis der Muttergottes. Er nannte den Ort Mariental. Sein Briefkasten steht am Waldrand.
Während Maucher an seinem Zaun arbeitet, spazieren ein alter Mann und seine Enkeltochter durch die Einsiedelei. Mit großen Augen bestaunt das Mädchen die vielen Kreuze, die heute zwischen den Bäumen stehen. Der Rückzugsort, den Maucher sich hier geschaffen hat, fasziniert die Menschen.
Wenn man mit Maucher spricht, versteht man ihn kaum. Er redet selten in ganzen Sätzen. Häufig kommuniziert er in Schlagwörtern, redet hastig und in starkem schwäbischem Dialekt. Auf viele Besucher seiner Einsiedelei macht er einen verwirrten Eindruck. Sie beobachten ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier. Maucher ist ein Mann, über den sich die Menschen im Umkreis Geschichten erzählen.
Eine dieser Geschichten handelt von Mauchers ersten Jahren im Wald. Das Landratsamt hatte die Grotte abreißen lassen. Maucher baute eine neue. Angeblich hatten sich die Arbeiter geweigert, diese ebenfalls zu zerstören. Einer ihrer Kollegen soll nach dem ersten Abriss bei einem Autounfall gestorben sein. Hatte Gott den Eingriff verhindern wollen? Man ließ den einsamen Mann im Wald besser in Ruhe.
Heute zeigt Maucher Besuchern ein blaues Büchlein, wenn sie es sehen wollen. Darauf steht: „Der dritte Weltkrieg in Prophetie und Vorausschau“. Auf dem Cover schweben Engel mit Fanfaren über einem Atompilz. Bei einer Wallfahrt habe er das Buch bei einem Seher gekauft, sagt Maucher. Er ist seitdem überzeugt, dass der nächste Weltkrieg unmittelbar bevorsteht. Die Hütten, die er gebaut hat, sollen die Menschen schützen. Maucher sagt, am Ende blieben nur die Katholiken verschont.
Viele Menschen wollen den Einsiedler sehen.
Er hat Parkplätze angelegt und eine Garage gebaut
Maucher baute immer weiter. Verkaufte den Hof und errichtete mit dem Erlös weitere Hütten. Dann Kapellen und eine Kirche, alles mit Brettern aus Fichtenholz. Die Kirche hat eine Empore und mehrere Sitzreihen, in ihr stehen unzählige Plastikblumen. In seiner eigenen Hütte, rund zehn Quadratmeter groß, hängen Kreuze und Bilder von Jesus über dem schmalen Bett. Weiter hinten gibt es eine kleine, dunkle Nische. Mehrere Stunden am Tag zieht sich Maucher dorthin zurück, um zu Gott zu sprechen. Er will lieber hier beten als in der Kirche.
Die ersten Jahre im Wald war Maucher allein. Dann kamen immer mehr Besucher. Familien, Sängergruppen, sogar Bustouristen. Sie alle wollten den Einsiedler sehen. An manchen Sonntagen kommen 150 Menschen, sagt Maucher. Eingeladen hat er sie nicht. Er sagt, dass sie ihn vom Beten und Arbeiten abhalten. Hört man ihm zu, könnte man meinen, Maucher wolle einfach wieder allein sein. Aber will er das wirklich?
Heinrich Maucher hat vor dem Tor zur Einsiedelei mehrere Parkplätze angelegt und eine Garage gezimmert. Die Kapellen und die Kirche nutzt er nicht, sie sind für die Gäste. Er hat ihnen Wegweiser aufgestellt: „Zur Riesenfichte“, „Pilger-Pfad“. Der Hammer, mit dem er den Zaun repariert, ist ein Geschenk der Besucher, die Nägel auch. Sie bringen Lebensmittel und Geld, Blumen und Bilder, die die Kapellen und Hütten schmücken. Ein Augsburger kommt seit 20 Jahren, um Maucher zum Einkaufen zu fahren. Vor drei Jahren hat er ihm einen kleinen Traktor geschenkt, Maucher bringt damit nun Baumstämme zum Sägewerk. Zwei Frauen begleiten ihn regelmäßig zur Messe.
Maucher bezieht 160 Euro Rente. Er hat im Laufe der Jahre wohl gemerkt, das Gottes Hilfe allein nicht reicht. Und dass er die Menschen doch mag, obwohl er sie verlassen hat.
Es ist Nachmittag, der Zaun ist gerade repariert, da kommen drei Rentner mit Fahrradhelmen auf ihn zu. Einer der Männer legt ein Paket mit Wurst und Käse auf den Tisch, die anderen beiden werfen Münzen in einen der Opferstöcke. Sie fragen: „Gibt es ein neues Haus, Heinrich?“
Heinrich Maucher zögert. Eigentlich wollte er jetzt beten. Dann geht er auf die Männer zu.