Der Tisch ist aus weich geschliffenem, mit Schweineschwarte geschrubbtem Ahornholz. Ein Geruch von Bierdeckelpappe, Bratwurstfett und Weizenschaum liegt im Morgennebel der Kneipe, im Hintergrund gurgelt leise Antenne . Keine besonders liebevolle Musikauswahl, irgendjemand hat den Sender wohl mal eingestellt, keiner mag ihn sonderlich, seitdem läuft er halt, irgendwas muss ja schließlich laufen. Der Holzboden verrät mit einem Knarzen jeden neu eintretenden Gast, neben dem grünen Kachelofen stehen Pokale bedeutungsloser Sportturniere. An den Wänden hängen Fotos der Solnhofener Fußballmannschaft 1998, ein Foto vom Wirt mit Hippiemähne in Indien und eine kleine Holztafel, darauf ein Mann mit Eutern am Bauch und der Spruch: "Das kommt davon, wenn man statt Bier immer nur Milch trinkt".
Es ist ein Sonntagmorgen, elf Uhr, die Kneipe Alte Schule in Solnhofen, im einzigen Landkreis ohne Autobahnanbindung in Bayern. Draußen Sonnenschein, drinnen vier alte weiße Männer, die sich wie jeden Sonntag zum Frühschoppen treffen. Am Kopf des Tischs sitzt Karl, rund 50 Jahre alt. Zu seiner Rechten mit schlohweißem Haar Harri, beide Vertreter der "Passt scho"-Fraktion. Zur linken Fritz alias Wanger, der immer der Erste am Stammtisch ist, legendärer Grantler und bekennender "Also i wähl aber scho überhaupt gar nix mehr"-Wähler. Links daneben: der Wassersepp, frustriertes SPD-Mitglied, der immer erst um elf kommt, damit er nicht alleine mit dem granteligen Wanger an einem Tisch sitzen muss.
In Solnhofen gibt es die Tradition der Hausnamen und eine schwer nachvollziehbare Logik der Spitznamensgebung. Wanger zum Beispiel sind im Volksmund die Dreher, offenbar hat der Fritz das mal in seinem Leben gemacht. Der Wassersepp hat früher im Dorf das Wasser abgelesen, deswegen Wasser. Warum das Sepp, weiß keiner, eigentlich heißt er ganz anders. Daneben existieren noch mysteriösere Namen wie der Habichkommensehen. Der Überlieferung nach hat dieser Jemand nach jedem Tor gegen die TSG Solnhofen "Hab ich kommen sehen" gerufen. Sein Sohn war folglich der kleine Habichkommensehen, das ging so lange, bis der Familienletzte den Namen mit ins Grab nahm.
Aber zurück zum Stammtisch an diesem Sonntag. Vor jedem steht ein Glas frisch gezapftes goldenes Helles. Man spricht über die vergangene Bundestagswahl.
Wassersepp: Also es letzte Mal war ich zum ersten Mal ned.
Wanger: I geh schon lang nimmer. Des is doch nur noch ein Deppnhaufen, mehr is des doch ned. Etz mit dem Leibwächter ( Anmerkung der Redaktion: gemeint ist der Tunesier Sami A., dem unter anderem vorgeworfen wird, Leibwächter von Osama bin Laden gewesen zu sein). Erst schickas den Vogel weg, dann verklagen sie des Gericht zur Schadensersatzzahlung, weil's ihn heimgeschickt ham, den Halbverbrecher, den. Geht's no?
Wirt ( grummelnd hinter der Zapfanlage): Halbverbrecher? Halb?
Der Wirt, genannt Bigok, hat in der vergangenen Nacht seinen Beruf sehr leidenschaftlich ausgeübt. Nun steht er griesgrämig hinter dem Tresen. Mit tiefen Falten im Gesicht beäugt er kritisch die vier Herren.
Wanger: Die andern sind froh, wenn's ihren Depp los sind, und unsre streiten, dass sie den wiederholen. Und wenn die eine so sagt, sagt die andre grundsätzlich wieder anders.
Wassersepp: Woaßt, was ich glaub? Dass der Seehofer dem Söder ein gutes Ergebnis nicht gönnt! Der gönnt dem Söder nicht über 40 Prozent. Hundertprozentig. Der hat sich des ned gefallen lassen. Du wirst wahrscheinlich nix erleben, dass die zam auftreten! Der geht in des eine Bierzelt und der andre geht in des andre Bierzelt. So schaut die Welt nämli aus! Der reibt sich jetz scho die Händ, wenn der unter 40 Prozent kriegt!
Karl: Ja, des is Rache.
Wassersepp: Wie hat er's denn mit der Merkel gmacht? Des war so unanständig! Des macht ma ned!
Wanger: Na, des macht ma ned.
Alle ( gemurmelt): Na, so was macht ma ned!
Wassersepp: Die kann sei, wie's mag. Ich bin kei CDU-Anhänger, aber so was macht man ned.
Karl: Jeder macht mal Fehler.
Wanger: Na ja, also des san scho Böck. Des san keine Fehler mehr, des san Böck ( Anmerkung der Redaktion: Böck kommt von "den Bock abschießen", eine Steigerung von "Fehler").
Wassersepp: Also, was mich an dem Ganzen ärgert, dass die Bayern-SPD aus dem ganzen Schlamassel ned einmal was Positives für sich rauszogen hat!
Solnhofen, 1.700 Einwohner, berühmt für seine Fossilien und den Fund mehrerer Archäopteryxe, also Dinosaurier, schaffte es nach der letzten Bundestagswahl auf die Titelseite der Regionalzeitung mit der Überschrift: "Von der SPD-Hochburg zur AfD-Hochburg". Anders als im tiefschwarzen Umland gab es in Solnhofen lange SPD-Bürgermeister und bei Wahlen eine konstante Mehrheit für die Sozialdemokraten. Jetzt taucht auch am Stammtisch manchmal einer auf, der wählt. Dann wird halt diskutiert.
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