Marie Löwenstein

Audio-Redakteurin und Podcast-Host, Frankfurt

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Artikel

Klage gegen Hamburger Verfassungsschutzgesetz

Stand: 23.11.2020 13:06 Uhr

Hamburger Sicherheitsbehörden verfügen seit dem Frühjahr über scharfe Überwachungsinstrumente: Der Verfassungsschutz etwa darf verschlüsselte Kommunikation ausforschen. Dagegen klagen nun Journalistinnen und Journalisten zusammen mit NGOs beim Bundesverfassungsgericht.

von Jennifer Lange und Marie Löwenstein

Die taz-Journalistin Katharina Schipkowski läuft an den Hamburger Messehallen entlang. Wo jetzt Autos fahren, flogen vor vier Jahren Farbbeutel. Scheiben gingen zu Bruch. Autoreifen brannten auf der Straße. Sie interviewte später zwei Personen aus dem linken Spektrum zu den Hintergründen dieses Anschlags im Vorfeld des G20-Gipfels. Die Folge: eine Vorladung des Landeskriminalamts. Das hatte wissen wollen, wen sie interviewt habe, sagt Schipkowski: "Die Polizei hat dadurch versucht, die Pressefreiheit zu umgehen und den Quellenschutz zu unterwandern." Sie kam der Einladung nicht nach. Ihre Quellen blieben geschützt.

Das neue Hamburger Verfassungsschutzgesetz könnte eine Vorladung vor Gericht überflüssig machen, wenn sich der Verfassungsschutz für einen ihrer Informanten interessieren würde. Die Behörde könnte einfach ihre verschlüsselten Chat-Verläufe mitlesen, befürchtet Schipkowski: "Für mich als Journalistin ist das problematisch, weil es so sehr schwer ist, den Quellenschutz zu gewährleisten." Das Grundrecht der Pressefreiheit sei bedroht. Sie ist daher eine der Klägerinnen vorm Bundesverfassungsgericht.

Staatstrojaner für Behörden

Um verschlüsselte Nachrichten mitzulesen, setzt der Verfassungsschutz sogenannte Staatstrojaner ein. Also eine Software, mit der sich die Behörden unbemerkt auf Computern und Smartphones einschleichen können. In Hamburg hat der Verfassungsschutz im April 2020 die gesetzliche Möglichkeit bekommen, solche Staatstrojaner zu nutzen. Ein simples Anzapfen der Datenströme - wie beim Abhören von Telefonen - reiche heute nach Darstellung der Sicherheitsbehörden nicht mehr aus, weil immer mehr Nachrichten verschlüsselt werden - etwa bei Signal, Threema oder WhatsApp. "Das heißt, man bekommt aus der Leitung nur Salat, den man nicht lesen kann. Darum wollen die Verfassungsschutzbehörden zum Beispiel Daten auf Smartphones oder PCs abgreifen, bevor sie verschlüsselt werden oder nachdem sie schon wieder entschlüsselt sind", erklärt Matthias Bäcker, Professor für Informationsrecht an der Universität Mainz.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert, dass der Einsatz des Staatstrojaners in Hamburg nicht hinreichend begrenzt und somit verfassungswidrig sei. Die GFF will das Hamburger Verfassungsschutzgesetz daher gemeinsam mit anderen Akteuren mit einer Klage in Karlsruhe kippen. Die Beschwerdeschrift liegt dem NDR vor. "Die Hauptkritikpunkte sind, dass der Staatstrojaner viel zu früh eingesetzt werden darf", sagt Verfahrenskoordinator und Jurist Bijan Moini. "Und, dass dieses Instrument eingesetzt werden darf, ohne dass ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Kontrollinstanz dies genehmigt."

Weitreichende Befugnisse für Hamburger Polizei

Die zuständige Hamburger Innenbehörde wollte sich auf Anfrage von NDR Info nicht zu der anstehenden Verfassungsbeschwerde äußern. Der Datenschutzbeauftragte der Stadt, Johannes Caspar, hält den Vorwurf komplett fehlender Kontrolle für nicht gerechtfertigt. Zwar müsste kein Gericht die Überwachung genehmigen, dafür aber eine Kommission der Bürgerschaft, also des Hamburger Landesparlamentes, die von Fall zu Fall entscheide. Er fände aber eine zusätzliche Kontrolle durch die Datenschutzbehörden sinnvoll.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kritisiert auch neue Befugnisse der Polizei Hamburg. Sie darf seit dem Frühjahr zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung mittels Algorithmen automatisch Personenprofile erstellen, also so genanntes "Predictive Policing" betreiben. Es sei unklar, vom wem Profile angelegt werden und welche Konsequenzen etwaiger "Beifang" für die Betroffenen hat, so die GFF. Also auch für Personen, die selbst nicht als gefährlich gelten. Die Polizei prüft derzeit, welche Software sie dafür anschafft.

Datenschützer zeigen sich besorgt

Katharina Schipkowski hat beruflich viel Kontakt mit Personen aus linksextremen Kreisen, die im Fokus von Polizei oder Verfassungsschutz stehen. Wird deren Kommunikation überwacht bzw. wird von ihnen ein Personenprofil erstellt, könnte auch sie selbst schnell ins Visier der Behörden geraten, fürchtet sie. Auch der Datenschutzbeauftragte der Stadt Hamburg sieht das "Predictive Policing" kritisch. Zwar werde das in Hamburg derzeit noch nicht angewandt, das sei aber ein geringer Trost, weil die Möglichkeit dazu bestehe: "Das ist gefährlich, weil man im Grunde gar nicht so recht weiß, was damit genau angestellt werden soll. Man erhält ein Instrument, bei dem vollkommen unklar ist, auch von der ganzen gesetzlichen Formulierung, was eigentlich im Hintergrund passiert. Darum sage ich, solche Blackboxes sind verfassungsrechtlich sehr, sehr problematisch". Er halte eine Verfassungsbeschwerde gegen solche Normen daher für sehr verständlich, so Caspar.

Die taz-Journalistin Katharina Schipkowski findet es zudem besorgniserregend, dass die Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz immer weiter ausgeweitet werden - und ihre Tätigkeiten immer mehr verschwimmen. Eine klare Abgrenzung der Aufgaben von Polizei und Nachrichtendiensten sieht auch der Hamburger Datenschutzbeauftragte Caspar als essentiell an: "Hier geht es letztlich darum, dass wir keine Geheimpolizei haben, die in Gestalt von Personen auftritt, die sich nicht zu erkennen geben und die im Prinzip das private Leben durchfiltern, um bestimmte Erkenntnisse zu gewinnen."

Musterverfahren mit Signalwirkung

Die Verfassungsbeschwerde aus Hamburg sei eine von vielen zu diesem Thema, so der Rechtsexperte Bäcker von der Universität Mainz. Das mache sie aber nicht weniger relevant. Denn wenn die Kläger Recht bekämen, könne das Signalwirkung für ganz Deutschland haben. Schließlich will die Bunderegierung den Einsatz von Staatstrojanern für die Geheimdienste auch auf Bundesebene ausweiten. Ein Gesetzesvorschlag ging vor kurzem durchs Kabinett. Die Große Koalition will den Verfassungsschutz sowie weitere Nachrichtendienste mit Trojanern ausstatten. Das wollen die Unterstützer der Hamburger Verfassungsbeschwerde verhindern. "Unsere Beschwerde gegen das Hamburger Gesetz ist ein Musterverfahren für die Reform auf Bundesebene", sagt Moini.

Katharina Schipkowski versucht, seit dem Frühjahr weniger schriftlich und am Telefon zu besprechen, sondern ihre Quellen lieber persönlich zu treffen. "Aber das erhöht einfach meinen Aufwand massiv."

Offenlegung: Sebastian Friedrich, der ebenfalls zu den Klägerinnen und Klägern gehört, arbeitet als Freier Autor auch für die Redaktion von ZAPP.
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