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Syrischer Klarinettist Kinan: Musik in den dunkelsten Augenblicken des Lebens

Dass das kriegsgeschüttelte Syrien an seinen Musikhochschulen Musiker von Weltklasse hervorbrachte, kann sich heute kaum mehr jemand vorstellen. Einer davon ist der vielseitige Klarinettist Kinan Azmeh, der heute in New York lebt.

Sollte man, wenn nebenan die Bomben vom Himmel regnen, noch Musik machen? Ist es nicht taktlos, in Zeiten von Krieg und Leid den Taktstock zu schwingen? Kinan Azmeh schüttelt den Kopf: "Die Menschen brauchen Musik. Auch jetzt, wo in ihrem Land das Chaos herrscht. Doch ich kann dort nicht auftreten, wenn ich sehe, wie meine Heimat gerade bombardiert wird."

Kinan Azmeh sitzt locker in seinem Stuhl. Es ist nichts Neues für den syrischen Musiker, an einem Café-Tisch zum Krieg in der Heimat befragt zu werden. Azmeh, ein Weltklasse-Klarinettist, ist im vergangenen Jahr in Europa, im Mittleren Osten und in den USA aufgetreten. Nur in Syrien hat er seit 2012 nicht mehr gespielt. Als zu Hause der Aufstand begann, konnte Azmeh ein Jahr lang kein einziges Stück mehr schreiben. Er hatte das überwältigende Gefühl, dass etwas vor sich gehe, was viel bedeutender sei als seine Musik.

Erinnerungen an Damaskus

Schon lange bevor in Syrien das Wort "Revolution" die Runde machte, war Kinan Azmeh aus seiner Geburtsstadt Damaskus nach New York gezogen. Aber seine musikalische Heimat hat er in zehn Jahren Exil nicht vergessen. Azmeh erzählt von einer Stadt, in der die Menschen die Nacht zum Tag machten und man, wenn man wollte, jede Woche Konzerte besuchen konnte. Doch der Tag, an dem in Damaskus statt des Dröhnens von Bomben und Mörsergranaten noch syrische Musik erklang, scheint nach fast vier Jahren Bürgerkrieg weit weg.

Die Anfänge der syrischen Klassik-Szene reichen Jahrzehnte zurück. In den sechziger Jahren brachte Herbert von Karajan die Berliner Philharmoniker nach Damaskus. Azmehs Eltern waren Musikliebhaber. Zu Hause lief ständig Mozart, wurden Hauskonzerte veranstaltet. Mit fünf nahm Kinan sein erstes Instrument in die Hand - eine Violine, erzählt er: "Jedoch scheiterte ich als Linkshänder damit auf ganzer Linie und kam dann eher zufällig zur Klarinette."

Ein Glücksgriff. An der Musikhochschule Damaskus wuchs Kinan Azmeh zum besten Klarinettisten seines Landes heran. Als erster Araber gewann er den Nicolai-Rubinstein-Wettbewerb in Moskau. Im Jahr 2005 ging Azmeh nach New York an die Juillard School. Hier war er plötzlich nicht mehr das Wunderkind, sondern einfach nur noch ein Araber, der sich beweisen musste. Bald gewöhnte er sich an das Misstrauen, das ihm als Syrer bei der Einreise in die Vereinigten Staaten entgegenschlug. Heute hat sich Kinan Azmeh auf den internationalen Bühnen etabliert. Er ist einer der gefragtesten Klarinettisten weltweit, der sowohl in den grossen Konzerthäusern von New York, London und Paris als auch vor der Uno-Generalversammlung gespielt hat.

Wenn ein Wort Azmehs Musik beschreibt, dann ist es Vielseitigkeit. In praktisch allen Stilen fühlt er sich zu Hause, er kombiniert mühelos den arabischen Maqam mit Jazz oder mischt Klassik mit arabesken Melodien. Kinan Azmeh ist auch Mitglied von Yo-Yo Mas "Silk Road Ensemble" und Mitbegründer der syrischen Fusion-Band Hewar (Dialog). Hewar entstand 2003 als Gemeinschaftsprojekt mit einer Sopranistin und einem Oud-Spieler, beide Studienfreunde aus Damaszener Zeiten. Alle drei leben jetzt in den USA. Das letzte Album des Trios erschien 2011 und trägt den Titel "Letters To A Homeland". Es ist den Menschen gewidmet, die bei der Revolution in der Heimat ihr Leben gelassen haben.

Was ist Heimat?

Doch was bedeutet für einen Weltmusiker eigentlich Heimat? Azmeh überlegt einen Moment. "Heimat muss nicht der Ort sein, an dem du lebst. Für mich ist Heimat der Ort, zu dem ich in diesem Moment etwas beitragen möchte. Egal, ob ich dafür etwas zurückbekomme oder nicht." Mit Syrien verbinde ihn nach wie vor ein tiefes Heimatgefühl, nicht nur, weil die Familie noch dort lebe.

"Vielleicht ist meine Musik durch das Leben in den USA arabischer geworden, denn ich vermisse Syrien." Im Westen ist Kinan Azmeh manchmal mehr Araber als Musiker. Wer aus dem Nahen Osten komme, bekomme schnell einen politischen Stempel aufgedrückt. Einmal wurde Azmeh bei einem Konzert als "Produkt des Damaszener Frühlings" angekündigt, jener kurzweiligen Reformperiode zu Beginn von Asads Präsidentschaft. Das ärgert ihn: "Ich mag vielleicht ein Produkt des zeitgenössischen Syriens sein. Aber ich will nicht auf Politik reduziert werden. Die Menschen sollen wegen meiner Musik ins Konzert kommen, nicht wegen der Politik meines Landes."

Ein Dilemma

Trotzdem engagiert sich der Klarinettist für sein Land, gerade jetzt. Lange hat er überlegt, was er für Syrien tun könne. Kinan Azmeh stand vor einem Dilemma, denn mit einer Klarinette lassen sich keine Kugeln aufhalten. "Und doch ist sie das stärkste Mittel, das ich besitze. Alles, was ich als Musiker tun kann, ist es, mir die Seele aus dem Leib zu spielen." Neben Benefizkonzerten organisierte Azmeh Musik-Workshops für syrische Flüchtlingskinder in Jordanien. Eine Handvoll Blockflöten, ein paar Stunden Zeit zum Spielen und viele lachende Kindergesichter. "Die Kinder zeigten mir, dass es selbst in den dunkelsten Augenblicken des Lebens noch Raum für Musik gibt", sagt Azmeh. Dann merkt er, was für eine kraftvolle Wirkung Musik entfalten kann. Als Therapie, gerade in Zeiten von Krieg und Leid.
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