Suzana Živković will weg. Während der Semesterferien hat sie den Entschluss gefasst, ihr Land zu verlassen. Der Zeitpunkt könnte für sie nicht günstiger sein, denn seit dem 1. Juli ist Kroatien Mitglied der Europäischen Union. Die Grenzen sind ein bisschen offener - dem Schengen-Abkommen muss Kroatien noch beitreten - und Europa ist ein bisschen näher gerückt. Deutschland hat für das neue Mitglied die gleichen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit eingesetzt wie zuvor bei der EU-Ost-Erweiterung für Polen, Ungarn oder Slowenien: Bis zu sieben Jahre werden keine Arbeitskräfte aus dem Land ohne Arbeitsgenehmigung aufgenommen. Aber wollen die Kroaten überhaupt ihr Land verlassen? Ein Blick auf die aktuelle Statistik zeigt: Jeder zweite Kroate unter 25 ist arbeitslos. Aber was sagen solche Statistiken schon über die Menschen aus?
Als sie drei Jahre alt war, kam der KriegHinter Suzana Živković ragt die bröckelige Silhouette des Wasserturms von Vukovar auf. Er war 1991 beim Angriff der Serben auf die Stadt zerstört worden. Der durchsiebte Rest blieb als Mahnmal stehen, obenauf weht eine zerschlissene kroatische Fahne. Jedes zweite Haus trägt noch immer die Zeichen des Krieges, pockennarbige Fassaden mit Hunderten Einschusslöchern. An der Hauptstraße wächst reifer Holunder aus dem ersten Stock einer Hausruine. Gegenüber ist ein Kindergarten in einem Flachbau untergebracht. „Schlimm ist nicht, wie es hier aussieht, sondern die Mentalität der Menschen, die hier leben", sagt Živković.
Als sie drei Jahre alt war, flüchtete ihre Familie vor dem Krieg nach Pula an die Küste. Die Rückkehr in die Stadt nach mehr als sieben Jahren bezeichnet sie noch heute als furchtbar. Die vier Jahre, die sie hier das Gymnasium besuchte, seien die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen. Živković ist 19 Jahre alt. Sie hat nur wenige serbische Freunde. Wie hätte sie auch welche finden können, an einem Ort, an dem Kroaten und Serben ihre Kinder noch immer auf verschiedene Schulen und in verschiedene Kindergärten schicken?
30 Prozent der Einwohner Vukovars sind Serben. An die alten Stadtmauer hat jemand „Vukovar" in kyrillischen Buchstaben gesprüht. Ein anderer hat das durchgestrichen und den Namen der Stadt in lateinischen Buchstaben daruntergesprüht. Vor hundert Jahren standen beide Schreibweisen auf alten Postkarten nebeneinander. Als die serbische Minderheit im vergangenen Jahr dafür eintrat, Straßenschilder auch in den kyrillischen Buchstaben des serbischen Alphabets anzufertigen, liefen die kroatischen Bewohner Sturm. Suzana Živković schüttelt darüber den Kopf: „Der Krieg ist vorbei, wir haben wichtigere Probleme, um die wir uns kümmern sollten, die Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel." Wer in Vukovar bleibt, sitzt zu Hause oder kellnert für ein paar Kuna, wie die kroatische Währung heißt. Wer studieren will, geht nach Zagreb. Dort hat auch Živković ein Semester studiert, Biotechnologie. Jetzt will sie Kroatien verlassen, erst als Au-pair-Mädchen nach Irland gehen und dann in einem Jahr vielleicht ihr Studium fortsetzen. In wenigen Wochen wird sie in den Bus nach Zagreb steigen und von dort nach Dublin fliegen.
Die Reportage entstand im Rahmen des Recherchestipendiums "Reporter vor Ort" der Robert-Bosch-Stiftung.
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