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​#FuckLeukemia: So kämpft Jaqueline gegen ihren Blutkrebs

© Jaqueline

"Ich will leben, lieben, lachen!"

Von Maria Ugoljew

Eigentlich hätte sie ihr Abi längst gemacht. Dafür hatte sie lange gekämpft, von der Hauptschule, auf die Realschule, auf das Gymnasium. Auch ihr Berufswunsch stand fest: Eine Ausbildung zur Tourismuskauffrau, das wär's. Doch für die 20-jährige Jaqueline aus Niedersachsen ist seit Dezember vergangenen Jahres alles anders.

Ihr geht es jetzt nur noch um eines: die Leukämie zu besiegen.

"#FuckLeukemia-Mein Kampf gegen Blutkrebs" hat Jaqueline ihre Seite auf Facebook genannt. Dort berichtet sie seit Juni von ihrer Erkrankung, mehr als 14.000 Menschen folgen ihr, fast schon unheimlich sei das. Allein mit dem Beantworten von Nachrichten könne sie einen ganzen Tag verbringen. "Aber ich möchte nicht, dass das mein Leben wird."

Dafür geht sie zu gern spazieren, am liebsten mit ihrer besten Freundin. Manchmal fahren sie ins nahegelegene Osnabrück. Oder sie sitzt in ihrem Zimmer unterm Dach, malt, hört Musik, schaut Filme.

Für das Skype-Interview hat sie es sich auf ihrer Couch gemütlich gemacht. Mit fester, ernster Stimme erzählt sie von ihrem Leben mit der Krankheit.

Vor der Blutkrebs-Diagnose war Jaqueline immer wieder krank: "Grippale Infekte, Fieber, Ohrenentzündungen, die Nasennebenhöhlen waren zu." Oft fehlte sie deswegen in der Schule. Eines Tages ging sie zum Hausarzt. Der nahm ihr Blut ab, sagte, er würde sich melden, wenn was ist; so erinnert Jaqueline sich.

Als er sie dann zu Hause anrief, bat er sie in die Praxis. "Ich bin alleine hingegangen, habe ja mit nichts Bösem gerechnet." Dort wurde sie sofort ins Sprechzimmer begleitet. "Das ist ja eigenartig", habe sie damals gedacht, "sonst muss man doch immer warten".

Erst kam die Diagnose - dann das Blackout.

"Ich weiß gar nichts mehr, noch nicht einmal, wie ich rausgegangen bin. Ein ganz schlimmer Filmriss."

Die erste Chemotherapie folgte nach wenigen Tagen. Jaqueline kürzte sich die Haare erst auf Schulterlänge, "dann hat sie mir meine Mama ganz abrasiert". Sollen sie lieber gleich ab als in Büscheln ausfallen.

In ihrem Zimmer hängt noch eine Strähne über ihrem Schreibtisch. Als Erinnerung. Den Rest hat sie an eine Organisation gespendet, die Echthaarperücken für Krebskranke herstellt.

Sie hält die Skype-Kamera erst auf die Strähne, dann schwenkt sie sie durchs Zimmer, rüber zum üppig gefüllten Schuhregal und zu den Handytaschen, die sich auf dem Tisch stapeln. Das sei mal ein Tick gewesen, die zu sammeln. Im Raum verteilt sitzen auch ein paar Kuscheltiere. "Da steckt noch immer ein bisschen Kind in mir", sagt sie. Nicht nur über die Krankheit zu reden, scheint ihr gut zu tun.

Während der ersten Chemotherapie verbrachte sie mehrere Wochen im Krankenhaus, Besucher mussten Mundschutz tragen, durften ihr nicht zu nahekommen. Denn eine Chemotherapie fährt das Immunsystem runter, die kleinste Infektion kann lebensgefährlich werden.

Nach der ersten Behandlung durfte Jaqueline für einen Monat nach Hause, dann folgte die zweite. Ein gutes halbes Jahr ist das jetzt her.

Heute richtet sich Jaquelines Alltag nach den Arztbesuchen. Alle zwei Wochen muss sie zur Blutbildkontrolle, hin und wieder steht eine Knochenmarkpunktion an. "Da geht man mir mit einer dicken Nadel in den Beckenknochen."

Auf ihrer Facebook-Seite berichtet sie von ihren Arztbesuchen, postet Fotos, schreibt, wie es ihr geht. "Anfangs war die Seite für meine Bekannten, Freunde und Verwandten gedacht, weil ich mit dem Beantworten der Fragen zum Teil überfordert war", sagt Jaqueline.

Heute knüpft sie damit auch Kontakte zu anderen Menschen, teils schwer kranken. Wie zum Beispiel zu Fabian, "den möchte ich euch mal vorstellen", schreibt Jaqueline in einem ihrer Posts. "Er ist 18 Jahre alt und kämpft gerade gegen Morbus Hodgkin." Eine bösartige Erkrankung, die auch zu den vielen verschiedenen Formen des Lymphdrüsenkrebses zählt.

Über ihre Krankheit aufklären - aber auch auf andere Menschen aufmerksam machen, die sich ihr Leben erkämpfen müssen, das sei ihr ein Bedürfnis. "So viele Menschen sind von Leukämie betroffen."

Das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) im Robert Koch-Institut in Berlin hat für das Jahr 2016 13.700 neue Leukämie-Erkrankungen in Deutschland prognostiziert. Zu den Ursachen und Risikofaktoren wird viel geforscht. Dass es verschiedene Leukämie-Formen gibt, ist klar. Unklar ist allerdings, was sie auslöst. Ernährungsgewohnheiten, Einfluss von Viren, genetische Veränderungen, verschiedene Chemikalien - die Liste der Möglichkeiten in der Studie "Krebs in Deutschland" des ZfKD ist lang.

Bisher haben die Ärzte in Jaquelines Knochenmark keine weiteren Krebszellen gefunden, eine Garantie ist das aber nicht. Deswegen wartet sie auf den Tag, an dem sie anrufen und sagen: "Wir haben einen Stammzellspender für Sie gefunden." Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering, das weiß Jaqueline.

Nur eine Art "genetischer Zwilling" kommt für sie in Frage: ein Mensch, der auf seinen Zellen die gleichen Oberflächenmerkmale trägt wie Jaqueline. Obwohl es in Deutschland etwa sieben Millionen registrierte Stammzellspender gibt und weltweit fast 30 Millionen, blieb die Suche bisher erfolglos.

Auf Facebook bekommt Jaqueline auch Tipps von selbsternannten Experten: Sie solle es mit Ölen versuchen und anderen alternativen Methoden. "Ich möchte das nicht!" Richtig verärgert sei sie darüber. Aber es geht noch schlimmer: Einige User unterstellen ihr, nicht real zu sein. Wiederum andere wollen mit ihr eine Nacht im Bett verbringen. "Das ist alles so absurd."

Manchmal macht ihr das auch Angst: "Ich möchte nicht, dass irgendwann ein Fremder vor meiner Tür steht", sagt sie. Deswegen veröffentlicht sie auch nirgends ihren vollen Namen.

Es begegnen ihr im Netz allerdings auch viele Menschen, die ihr Kraft spenden und Mut zusprechen. Einer habe ihr sogar per Post eine Kette geschickt, als Glücksbringer. Die sei bei jeder Untersuchung dabei.


(VÖ 13.10.2016, www.bento.de)


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