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Reform des Psychologiestudiums: Studierende im Psychostress - DER SPIEGEL - Panorama

Mathias Reul steht vor einer schwierigen Entscheidung. 2021 will er sein Psychologie-Studium in Marburg abschließen und Psychotherapeut werden. Nun aber ist Reul unsicher, welchen Weg er einschlagen soll, um seinen Traum zu erfüllen. Der Grund für die Zweifel: Gesundheitsminister Jens Spahn hat den Ausbildungsweg für Psychotherapeuten umkrempeln lassen - nicht gerade zum Besseren, wie Reul findet. "Das Ergebnis der Reform ist eine totale Enttäuschung", sagt der 24-Jährige.

Dabei war eine Reform mit verbesserten Bedingungen für angehende Psychotherapeuten überfällig - da sind sich Fachleute einig. Denn die bisherige Ausbildung ist oft pure Ausbeutung:

Rund drei Jahre lang müssen die Psychologie-Absolventinnen und -absolventen nach ihrem fünfjährigen Studium in Kliniken arbeiten.

Durchschnittlich bekommen sie dafür 650 Euro im Monat, viele aber auch gar nichts.

Dabei helfen sie bereits in psychotherapeutischen Sprechstunden oder bei der Begutachtung einzelner Patienten:

1200 Stunden im praktischen Jahr und 600 Stunden in einer vom Sozialversicherungsträger anerkannten Einrichtung müssen sie absolvieren, was auch eine Klinik oder Ambulanz sein kann.

Dazu kommen weitere 600 Stunden praktischer Ausbildung, dann behandeln sie sogar selbst Patientinnen und Patienten, müssen sich dabei allerdings supervidieren lassen.

Frühestens nach drei Jahren Ausbildung folgt die Approbation, also die Erlaubnis, Menschen zu therapieren. "Wir sind den Kliniken ausgeliefert, weil wir ohne die drei Praxisjahre keine Approbation zum Psychotherapeuten bekommen", sagt Student Mathias Reul. Der Gesetzgeber ließ die Krankenhäuser bisher gewähren: Vor der Reform gab es keine Vorschriften, wie die Kliniken die angehenden Psychotherapeuten bezahlen mussten. Den Gewerkschaften waren die Hände gebunden, weil der Berufsstand in der Personalverordnung der Kliniken offiziell überhaupt nicht vorkam.

Zehn Jahre bis zum Berufseinstieg

Sogenannte Kooperationsverträge regelten die Bedingungen - und da die Nachfrage nach einem Ausbildungsplatz deutlich größer war als das Angebot, blieb vielen Studierenden nichts anderes übrig, als teils unbezahlte Verträge anzunehmen. Etliche verschuldeten sich sogar, um die dreijährige Ausbildung, die zusätzlich bis zu 50.000 Euro kostet, überhaupt finanzieren zu können, sagt Reul.

Umso größer waren die Erwartungen an die Reform. Die Ausbildung sollte beschleunigt, klarer strukturiert und besser bezahlt werden. Die Lösung: ein ganz neuer Studiengang für Psychotherapie. Der führt bereits unmittelbar nach dem Master zur Approbation. Absolventinnen und Absolventen wären dann bereits nach fünf statt acht Jahren mit der Berufsausbildung fertig - müssten allerdings trotzdem noch eine fünfjährige Weiterbildung dranhängen, um sich als Therapeuten selbstständig machen zu können. In dieser Zeit gibt es eine Mindestbezahlung von 1000 Euro pro Monat. "Ich fühle mich auf den Arm genommen. Die Bedingungen werden überhaupt nicht besser", sagt Mathias Reul zu diesen Plänen, das sei "eine Verschlimmbesserung".

Reul und alle anderen Psychologiestudierenden haben zwar noch bis 2032 Zeit, die alte Ausbildung zu beenden. Das führe jedoch dazu, dass in fünf Jahren Absolventen des Studiengangs Psychotherapie nebeneinander mit Psychologieabsolventen in einer Einrichtung arbeiten und die gleichen Aufgaben erledigen würden. "Die einen approbiert und mit Gehalt, die anderen aus dem alten Ausbildungssystem ohne", sagt Reul. Und auch ein Wechsel in das neue Studien- und Ausbildungsmodell wäre keine Lösung, sondern "nur die Wahl zwischen Pest und Cholera".

Denn was die Reform mit sich bringt, ist regelrecht chaotisch: Wer sich für das neue Psychotherapeutenstudium entscheidet, muss sich zwangsläufig der neuen fünfjährigen Weiterbildung stellen. Wer den bisherigen Master in Psychologie zu Ende studiert, kann die Ausbildung zum Psychotherapeuten möglicherweise gar nicht mehr machen: Es sei absehbar, dass die bisher von privaten Instituten organisierten Therapieausbildungen schon bald nicht mehr angeboten werden, fürchtet Reul. Je länger ein heutiger Student oder eine Studentin noch bis zum Master brauche, desto geringer sei die Chance, danach noch ein entsprechendes Ausbildungsinstitut zu finden.

Entweder, sagt Reul, könne er also demnächst unbezahlt für drei Jahre lang in einer deutschen Klinik schuften oder noch einmal sieben Jahre Ausbildung dranhängen - zu nicht zwingend besseren Bedingungen. "Unsere Lehrenden raten uns deshalb stark, in das alte Ausbildungssystem zu gehen, solange es noch möglich ist", sagt Reul.

"Dringend nachsteuern"

Die Folgen der Reform sorgen nicht nur bei Studierenden, sondern auch in weiten Teilen der Branche für Kritik. "Wir haben eine Reform natürlich begrüßt", sagt Dieter Adler, Vorsitzender des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerks (DPNW): "Es sind jedoch mehr Baustellen entstanden, als geschlossen wurden, es muss dringend gegensteuert werden."

Hanna Christiansen, Professorin der Philipps-Universität Marburg, stellt die Neuerungen wegen des hohen Zeitaufwands insgesamt infrage. "Wir haben extra den neuen Studiengang der Psychotherapie eingeführt, und dann soll es noch zusätzlich eine fünfjährige Weiterbildung geben? Das ist unverständlich", sagt sie.

Dabei ist unstrittig, dass mehr Praxisnähe im Studium den zukünftigen Therapeutinnen und Therapeuten guttun wird. Doch diese Reform muss auch finanziert werden. "Es ist noch ein Hickhack zwischen Ländern und Bund, wer welche Kosten übernimmt", sagt Silvia Schneider, Sprecherin der Fachgruppe Klinische Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Denn der neue Studiengang werde für die Universitäten ganz schön teuer: "Wir können nicht einen Studiengang aufsetzen, wenn nicht mal geklärt ist, wer ihn langfristig bezahlt. Und wir brauchen klare Zusagen, dass das Geld auch in die Institute kommt."

Ungeklärte Finanzfragen

So gibt es bereits seit Längerem Diskussionen an der Universität Hamburg. Hier sind im November rund 150 Psychologiestudierende im neuen Bachelor-Studiengang gestartet. Die Universität und der Senat konnten sich lange Zeit nicht auf die finanzielle Absicherung der Reformen in den kommenden Jahren einigen - noch immer stehen einige Fragezeichen im Raum. Wird die Finanzierung nicht schnellstmöglich geklärt, ist nicht auszuschließen, dass der reformierte Studiengang bald wieder gestoppt werden muss, fürchtet Lars Schwabe, Dekan der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft an der Uni Hamburg.

Auch die Studierenden im alten Hamburger Psychologiestudium sorgen sich: Weil ihr Bachelor nicht zur Bewerbung für den neuen Therapie-Master passt, fordern sie die Möglichkeit zur Nachqualifizierung. "Rund 350 Studierende stehen unter enormem Druck, ihre bisherige Berufsplanung wäre nach den neuen Plänen plötzlich wertlos", sagt Banu Dalmis vom Fachschaftsrat Psychologie. Doch bisher ist unklar, wie diese Nachqualifizierungen finanziert werden.

Am Dienstagabend steht das Thema im Wissenschaftsausschuss der Hamburger Bürgerschaft auf der Tagesordnung - doch die zuständige Senatorin Katharina Fegebank (Grüne) signalisiert im Vorfeld wenig Bereitschaft, die Sorgen der bisherigen Studierenden aufzunehmen. Die Übergangsfristen seien "ausreichend großzügig bestimmt, um akademische und praktische Ausbildung zu absolvieren", sagte Fegebank dem SPIEGEL, "sodass es keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf mit Blick auf die Nachqualifizierungsforderungen gibt."

All diese Probleme seien absehbar gewesen, sagt der DPNW-Vorsitzende Adler: "Es ist peinlich. Hätte man sich einmal mit den Universitäten unterhalten, ob sie es sich überhaupt leisten können, würde die Reform anders aussehen." Auch befürchtet Adler, dass sich durch die chaotischen Zustände künftig weniger Interessierte für den neuen Ausbildungsweg entscheiden könnten - dabei wachse der Bedarf an Therapeuten immer weiter.

Psychologiestudent Mathias Reul ist jedenfalls enttäuscht von den aktuellen Entwicklungen. Denn trotz der Reform scheine sich in der psychotherapeutischen Ausbildung nicht wirklich etwas zu verändern. Was ihn ärgert ist, dass es die nachfolgende Generation nicht besser treffen werde als ihn, sagt Reul.

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