Marcel Braune

Redakteur, Journalist, Reporter, Berlin

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Report: So verändert sich der Transfermarkt unter Corona

Von Marcel Braune
Nichts bleibt, wie es einmal war. Seit dem 15. Juli dürfen Klubs wieder Spieler kaufen und verkaufen. Doch der Transfermarkt, wie ihn alle Beteiligten seit Jahren kennen, hat sich jetzt schon extrem verändert. Die Corona-Krise nimmt Einfluss auf alle Bereiche rund um Spielertransfers. Der große SPORT BILD-Report erklärt die Auswirkungen, Sorgen und neuen Tricks der Klubs.

Beispiel: Leroy Sané (24). Vergangene Saison sollte der FC Bayern noch 145 Millionen Euro Ablöse an Manchester City zahlen. Jetzt einigte man sich nach SPORT BILD-Informationen auf eine feste Ablöse von 49 Mio. Euro, die durch erfolgsabhängige Nachzahlungen noch um elf Mio. Euro auf insgesamt 60 Mio. ansteigen kann, wenn Sané z. B. mit Bayern die Champions League gewinnt.

Manager Hasan Salihamidzic (43) verhandelte wenige Tage vor dem Deal die geforderte Ablöse von 80 Mio. Euro in einem mehrstündigen Telefonat mit City-Manager ­Txiki Begiristain (55) herunter.

Interessant: Durch die Staffelzahlung umgeht Manchester jetzt eine Nachzahlung an Sanés Ausbildungs-Klub Schalke 04. Wenn die feste Ablöse über 50 Mio. Euro betragen hätte, wären jetzt noch mal zwei Mio. nach Gelsenkirchen geflossen.

Auch Borussia Dortmund hat die Corona-Krise clever genutzt, gab am Montag die Verpflichtung von Jude Bellingham (17) offiziell bekannt. Anstatt die noch im Frühjahr veranschlagte Ablöse von über 30 Millionen Euro zu zahlen, einigte sich der BVB mit Bellinghams Klub Birmingham City jetzt auf eine Ablöse von 25 Mio. Euro. Im Gegenzug räumte Dortmund den Engländern dafür eine höhere prozentuale Beteiligung bei einem Weiterverkauf Bellinghams ein.

Klar ist: So herausfordernd wie jetzt war der Transfermarkt noch nie. Es gibt viele Probleme - aber auch viele Chancen, von denen die Bundesliga-Klubs profitieren können, wenn sie klug und vor allem ohne finanziellen Druck agieren können.

„Wir haben Dutzende Millionen verloren"

Viele internationale Top-Klubs stecken plötzlich in Schwierigkeiten. In Frankreich ist die Lage aufgrund des Liga-Abbruchs bei manchen Klubs fatal! „Wir haben Dutzende Millionen Euro verloren", klagt der verzweifelte Lyon-Boss Jean-Michel Aulas (71) nach dem vorzeitigen Saisonabbruch am 29. Spieltag.

Sein Klub steckt durch ausgebliebene TV-Gelder und Zuschauereinnahmen in großen finanziellen Schwierigkeiten. Nach SPORT BILD-Info bietet Lyon-Manager Vincent Ponsot seit Wochen seine Top-Stars europaweit zum Verkauf an. Plötzlich sind die Supertalente Houssem Aouar (22/49,5 Mio. Euro Marktwert) und Moussa Dembélé (24/40 Mio.) für weit unter Marktwert zu haben.

Auch Olympique Marseille und die AS Monaco müssen Spieler loswerden. Das eigentlich unverkäufliche Abwehr-Juwel Benoît Badiashile (19/18 Mio. Marktwert) aus Monaco steht zum Verkauf. Leverkusen und Manchester United sind nach SPORT BILD-Infos interessiert.

Auch in England ist die Situation angespannt - und auch hier können die Bundesliga-Klubs profitieren. Der FC Arsenal läuft Gefahr, die Europa-Qualifikation zu verpassen und dadurch etwa 33 Millionen Euro Einnahmen zu verlieren. Das hohe Gehaltsgefüge soll gesenkt werden. Folge: Großverdiener wie Pierre-Emerick Aubameyang (31), Alexandre Lacazette (29) oder Mesut Özil (31) können weg!

Auch Tottenham verpasst die Champions League und bereits eingeplante Einnahmen. Außerdem sind noch Kredite (über 600 Millionen Euro) für das neue pompöse Hotspurs Stadium zu zahlen. England-Insider und Sportjournalist Lee Ryder: „Die Spurs müssen sich wohl mit dem Gedanken anfreunden, Harry Kane (26) zu verkaufen." Die astronomischen 282 Millionen Euro, die Tottenham-Boss Daniel Levy (58) noch letzten Sommer aufrief, gehören der Geschichte an. Durch Corona ist der Superstar deutlich günstiger.

Vergrößern Top-Stürmer Harry Kane wird für Tottenham kaum zu halten sein

Durch Corona müssen Klubs „kreativ" werden und greifen zu Tricks. Das zeigt der kuriose Spielertausch der Mittelfeld-Stars Arthur (23) und Miralem Pjanic (30) zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin. Geld wird am Ende tatsächlich recht wenig fließen. Dafür wurden aber die Ablösesummen, 72 Mio. für Arthur und 60 Mio. für Pjanic, absichtlich weit oben gehalten. Das Ergebnis: Beide Vereine können auf dem Papier satte Gewinne für die Spieler einfahren und so ihre Bilanzen aufhübschen. In Zeiten von Corona hilft das, um liquide und kreditfähig zu bleiben.

Auch die Bundesliga greift zu ungewöhnlichen Transfermaßnahmen. RB Leipzig ächzt unter dem stark limitierten Transferbudget für diesen Sommer (30 Mio. Euro). Die naheliegenden Lösungen sind Leihen mit Kaufoptionen. Bei Milot Rashica (24) von Werder Bremen deutet sich eine Stufen-Ablöse an. 15 Mio. Euro könnten sofort fließen, zehn Mio. in den nächsten Geschäftsjahren.

So wurde auch Salzburgs Hee-chan Hwang (24) verpflichtet. Der Südkoreaner kostet RB zunächst nur neun Mio. Euro. Beide Vereine haben sich aber auf eine stattliche Nachzahlung und eine Weiterverkaufsbeteiligung verständigt. Heißt: Startet Hwang durch und wechselt in ein paar Jahren - ähnlich wie z. B. Naby Keïta (25), der für 75 Mio. Euro von Leipzig nach Liverpool weiterverkauft wurde - zu einem Top-Klub, kassiert Salzburg noch ein großes Stück vom Ablöse-Kuchen.

Vergrößern Hee Chan Hwang (r.) kommt aus Salzburg nach Leipzig

Fast absurd sind die Verhandlungen zwischen Gladbach und Leipzig um Hannes Wolf (21). RB würde den Österreicher für rund zehn Mio. Euro verkaufen. Das kann Gladbach sich nicht leisten und bietet deutlich weniger Geld. Das Leipziger Problem: Wolf wurde erst vor einem Jahr für zwölf Mio. aus Salzburg geholt und wird in der RB-Bilanz nun über die Dauer seiner Vertragslaufzeit (fünf Jahre) abgeschrieben. Heißt: Der sogenannte Buchwert von Wolf beträgt noch rund zehn Mio. Euro. Verkauft RB ihn jetzt für weniger, wird die Differenz als Minus in der Bilanz verbucht. Deshalb wäre RB nun ein Leihgeschäft lieber, wenn kein Verein mindestens zehn Mio. für Wolf zahlen will.

Ähnlich agiert Köln. Simon Terodde (32) etwa darf womöglich trotz Vertrags bis 2021 ablösefrei in eine zweite Liga gehen. Der FC will dann aber eine nachträgliche Ablösesumme für den Fall festschreiben, dass der Stürmer mit seinem neuen Verein aufsteigt.

Augsburg mistet mächtig aus

Die meisten Bundesligisten, die international nicht vertreten sind, wollen ihre Kader verkleinern und Gehaltsstrukturen senken. So hat Augsburg seinen Spielern Daniel Baier (36), Andreas Luthe (33), Fabian Giefer (30), Georg Teigl (29) und Julian Schieber (31) bereits mitgeteilt, dass mit ihnen nicht mehr geplant wird. Sie dürfen nicht nur ablösefrei gehen - sie bekommen sogar noch Abfindungen, damit sie auch wirklich vor Ablauf des Vertrags gehen.

Durch die finanziellen Nöte und den offenen Transfermarkt bis Ende Oktober üben sich die Klubs in Zurückhaltung. Abwarten ist auch die Haltung von Hertha BSC. Die Berliner haben durch die Finanzspritzen (insgesamt 374 Mio. Euro) von Investor Lars Windhorst (43) zwar so viel Geld wie kaum ein anderer Bundesligist. Aber Manager Michael Preetz (52) denkt gar nicht daran, es hektisch auszugeben.

Beispiel: Weston McKennie (21). Schalke will mindestens 25 Mio. Euro Ablöse. Zu viel für Hertha. Weil Schalke aber dringend Geld braucht, ist zu erwarten, dass McKennie in den kommenden Wochen billiger und billiger wird. Solange kein anderer Klub zuschlägt, kann Preetz entspannt sein Pokerface aufsetzen, bei Schalke-Kollege Schneider (49) steigt der Druck - und der Preis fällt. Hertha hofft, McKennie am Ende für 15 Mio. zu bekommen.

Spielerberater Karlheinz Förster (61), der Leipzigs Timo Werner (24) zu Chelsea brachte, sagt: „Top-Transfers wie Werner oder Sané gehen immer. Aber die Situation ist auch für die Berater neu, man kann keine Vereine für seine Spieler einfach so aus dem Ärmel schütteln. Am wichtigsten ist, dass die Spieler verstehen: Die Vereine haben weniger Geld."

Auch neu: Nach SPORT BILD-Informationen bieten einige Spieler bei Vertragsverhandlungen Corona-Klauseln an, indem sie zunächst auf Gehalt verzichten wollen. Die Profis wollen mit aller Macht eine Vereinslosigkeit verhindern. Sie wissen, dass durch Corona der Markt mit ablösefreien Spielern überschwemmt wird. Die Klubsuche wird damit extrem erschwert.

Ulf Baranowsky (45) von der Vereinigung für Vertragsfußballer sagt: „Wir werden in diesem Sommer einen anderen Transfermarkt als sonst erleben. Für uns geht es darum, die Spieler mit Bildungsangeboten und Laufbahncoaching auf die nachfußballerische Berufslaufbahn vorzubereiten." Viele Profis machen sich bereits Gedanken über einen alternativen Berufsweg. Denn durch Corona ist sicher: Es wird in Zukunft weniger bezahlte Fußballprofis geben.

Die fetten Jahre sind erst mal vorbei - und fast nichts bleibt, wie es bisher war.

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