Marcel Braune

Redakteur, Journalist, Reporter, Berlin

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SPORT BILD: So kaputt ist Barça wirklich

Vor allem ist die Gefahr groß, bei regelmäßigen Titelgewinnen den Anfang totaler Fehlentwicklungen zu ignorieren. So ist es offensichtlich dem selbsternannten „Weltklub" FC Barcelona ergangen. Superstar und Aushängeschild Lionel Messi (33) übte vernichtende Kritik: „Wir sind ein schwaches Team, das mit genug Intensität bezwungen werden kann. Wir müssen Selbstkritik üben - angefangen bei den Spielern, aber auch über den Klub hinweg."

Die klaren Worte des sonst zurückhaltenden Messi fielen nach der verlorenen Meisterschaft gegen Real Madrid. Sie untermauern, wie sehr es beim 26-maligen spanischen Meister an allen Ecken brennt! Messi soll 100 Mio. Euro im Jahr verdienen

Barça-Insider und Journalist Jose Espina (43) sagt: „Barcelona hat unendlich viele Probleme. Und es werden immer mehr. Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll." Das größte ist sicherlich das Finanzchaos. Der Verein kämpft gegen die Pleite, hat knapp eine Milliarde Euro Schulden, davon 500 Millionen Euro kurzfristige Verbindlichkeiten. In der Corona-Krise mussten die Spieler drei Monate auf unglaubliche 70 Prozent des Gehalts verzichten. Kein Klub in Spanien steht finanziell schlechter da.

Espina: „Die Gehaltsstruktur ist aus den Fugen geraten. Messi soll 100 Millionen Euro pro Jahr verdienen. Das ist selbst für Barça zu viel. Sie haben seit Jahren mit schlechten Transfers Geld verschwendet."

Für Coutinho (145 Mio. Euro Ablöse), Dembélé (138 Mio.), Griezmann (120 Mio.), Malcom (41 Mio.) Paulinho (40 Mio.) oder Turan (34 Mio.) schleuderte Barça das Geld zum Fenster heraus. Leistung brachten die neuen „Superstars" aber kaum. Nun müssen die Spanier tricksen, um an neue Spieler zu kommen. Beispiel: Arthur (23) wurde gegen Juventus-Spielmacher Miralem Pjanic (30) getauscht. Für Arthur kassierte Barça 72 Mio., gab für Pjanic aber 60 Mio. aus.

Hintergrund ist ein Buchhalter-Trick. Einnahmen werden direkt verzeichnet, Ausgaben können über mehrere Jahre gestreckt werden. So wirkt der Krisen-Klub auf dem Papier liquide. Strafen oder Punktabzüge drohen vom spanischen Verband für diese Misswirtschaft bisher nicht...

Vergrößern Lionel Messi zog mit Barça gegen Real Madrid (hier: Thibaut Courtois und Sergio Ramos) in der Liga den Kürzeren

Ein immer größeres Problem wird auch das Verhältnis zwischen Präsident Josep Bartomeu (57) und der Mannschaft. Nach dem „Barçagate" ist das Vertrauensverhältnis erschüttert. Mehrere Medien und ehemalige Klubfunktionäre haben behauptet, dass das Präsidium eine Agentur beauftragt hatte, um aktuelle und ehemalige Akteure (Messi, Guardiola, Puyol) in sozialen Medien schlecht aussehen zu lassen. Grund sei der zu große Einfluss der Vereins-Legenden auf den Klub.

Messi ist sowieso sauer auf Bartomeu, weil er Neymar (28) nicht von Paris St-Germain zurückgeholt hat. Weltmeister und Spanien-Experte Bodo Illgner (53) sagt zu SPORT BILD: „Beide wollten unbedingt wieder zusammenspielen. Durch die halbherzigen Pseudoverhandlungen von Bartomeu hat das nicht geklappt. Messi ist darüber bis heute enttäuscht."

In der Kabine traut sich niemand, etwas zu sagen

Ein Grund für die miese Stimmung ist auch das schlechte Verhältnis zwischen Trainerteam und Mannschaft. Illgner weiß: „Besonders Co-Trainer Eder Sarabia (39) hat wohl im Umgang mit den Spielern kein gutes Händchen. Messi hat ihm kürzlich bei einer Ansprache den Rücken zugekehrt und demonstrativ nicht zugehört." Auch Trainer Quique Setién (61) hat das Team verloren. Illgner: „Er hat keine Erfahrungen mit einem Top-Klub, kommt bei Barça nicht wirklich gut zurecht bisher. Auch bei seinen Ex-Klubs hatte er zwar immer erfolgreiche Phasen, ließ dann hinten raus wie jetzt bei Barcelona aber oft nach."

Als Nachfolger wünschen sich die Spieler Barça-Legende Xavi (40). Der trainiert derzeit Katar-Klub Al Sadd. Doch der Spanier soll keine Lust auf den Job haben, solange Präsident Bartomeu im Amt ist.

Die toxische Gemengelage wird deutlich, da auch viele Barça-Profis von den Klub-Ikonen Messi und Gerard Piqué (33) genervt sein sollen. Espina erklärt: „Barcelona hat ihnen viel zu verdanken. Aber sie sind zu mächtig geworden. Jeder muss sich ihnen unterordnen. In der Kabine traut sich keiner, etwas zu sagen. Eine Mannschaft kann sich so nicht entwickeln."

Am 8. August hat Barcelona gegen Neapel in der Champions Leage im Achtelfinalrückspiel (Hin 1:1) die Chance, die Stimmung und finanzielle Situation aufzubessern. Im Viertelfinale würde dann allerdings Bayern München drohen. Espina: „Ich glaube, dass Barcelona gegen Bayern derzeit keine Chance hätte."

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