Die Landschaft der Games-Sendungen ist anno 2013 mehr als übersichtlich. Auf Anhieb fällt den meisten wohl Game One ein. Doch seit einiger Zeit gibt es das Format Reload, das dem Thema Gaming knapp 30 Sendeminuten einräumt. Uke Bosse, ehemals Redaktionsleiter bei Game One, zieht nun zusammen mit dem Ex GEE-Chefredakteur die Strippen hinter Reload. Grund genug, um ausführlich hinter die Kulissen von Gaming-TV zu schauen und dem so klischeebehaftetem Begriff des Nerdtum auf den Grund zu gehen. Und klar, als Musikmagazin haben wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, auch Musik in Videospielen ins Rampenlicht zu stellen.
Erst einmal zu deiner Person: Wir wissen - du warst bei Game One bereits Redaktionsleiter, Host der englischsprachigen Sendung Play! und Werbeikone (TV Spielfilm und Tirendo mit Sebastian Vettel) . Nun verdingst du dich als leitender Kopf bei Reload. Was muss der Leser sonst noch über dich wissen?
Ich dusche gerne nackt.
Moderiert wird die Sendung von mir bis dato unbekannten Gesichtern: Frederik Peters und Stefan Bächle. In den Moderationen liefern sich die beiden immer wieder einen kleinen Schlagabtausch und machen dabei einen guten Job. Aber: Warum stehst du nicht mehr moderierend vor der Kamera?
Ich mag es, wenn die anderen die Arbeit für mich machen. Wir hatten allerdings nicht bedacht, dass ein Moderator nicht ausreichte, um mich zu ersetzen. Also sind sie zu zweit.
Ihr habt eure Nische im Gaming-Sektor schnell gefunden. Nicht ohne Augenzwinkern sprecht ihr von euch selbst in Folge 12 als Post-Game Sendung. Das trifft aus meiner Sicht den Kern. Denn Reload überwindet das Image des überdrehten Funhouse rund um Gaming mit umfangreichen, fundierten Recherchen zu verschiedenen Oberthemen, wie z. B. der Tod und die Liebe in Videospielen. Deswegen finden sich bei euch keine Reviews und News im klassischen Sinne. Warum war es aus deiner Sicht an der Zeit für einen neuen Ansatz beim Gaming-TV?
Gaming TV zu machen ist ja nicht ganz einfach. Es gab ja, angefangen damals 1977 mit „Telespiele“, immer wieder viele Versuche, wie man das angehen kann. Die meisten leider nicht wirklich gut, sondern oft eher unangenehm. Meines Erachtens hat Gaming-TV zum ersten Mal wirklich mit Game One geklappt. Das lag daran, dass Spiele inzwischen gut genug aussahen, um problemlos im Fernsehen laufen zu können, dass wir mit Simon und Budi zwei extrem gute Moderatoren hatten, dass wir ein gutes Team waren, das Videospiele liebte und dass MTV uns netterweise relativ freie Hand ließ, so dass wir damit experimentieren konnten, wie man TV und Games am besten verbindet. Wir haben dann diese Mischung aus Information, Spaß und Gedöns gefunden, die sowohl als herkömmliche Fernsehunterhaltung funktioniert, aber auch als Nerdbespaßung und als Informationsquelle. Das ist für mich die größte Kunst.
Und bei Reload bin jetzt ich, mit meinem GameOne-Diskordianer-Dada–Hintergrund, mit Heiko Gogolin, dem Ex-Gee-Chef, in einen Raum geworfen worden. Und wir mischten unsere Expertisen ein bisschen durch. Das Ergebnis soll genauso wie Game One ein kunterbunter Reigen aus Unterhaltung und Information sein, aber es rutscht eben ein bisschen mehr in die popkulturelle/intellektuelle Gee-Richtung, anstatt nur reine Reviews zu bieten. Das ist einfach eine andere Herangehensweise, die viel Spaß macht und deren Ergebnis vielleicht ein wenig erwachsener und tiefgründiger ist.
Eine Folge behandelt bislang immer einen Themenkomplex. Habt ihr nicht Angst, dass euch nach 60 Folgen diese Oberthemen ausgehen?
Nee, das ist nicht ganz richtig. Oberthemen für ganze Sendungen machen wir nur hin und wieder mal, wenn wir Bock haben.
Reload erscheint jeden zweiten Donnerstag, geht dafür aber auch fast eine halbe Stunde. (Um öffentlich-rechtlich präzise zu sein: 28:30 bis 29:00 Minuten). Für die Produktion einer Folge gehört eine ganze Menge dazu: Konzeption, Recherche, Moderation, Schnitt, Vertonung, um nur die groben Arbeitsschritte zu nennen. Wie viele Mitarbeiter hat das Team mittlerweile und wie viele Arbeitsstunden investiert ihr in eine Folge?
Bei uns arbeiten drei Redakteure, von denen einer gleichzeitig als Kameramann und Cutter arbeitet, ein Einspielredakteur, der ausschließlich das Ingame-Material ranschafft, ein Grafiker, ein Produktioner, zwei Praktikanten und zwei Redaktionsleiter. Plus natürlich eine Herde von Cuttern, Kameraleuten und Moderatoren.
Was bereitet beim Produzieren einer Folge den größten Aufwand?
Es ist alles verdammt aufwändig. Vielleicht am härtesten ist es, das ganze Ingame-Material heranzuschaffen. Pro Beitrag zeigen wir ja eine Unzahl von verschiedenen Spielen. Da sitzt unser Einspielmeister immer eine ganze Weile dran. Bis das Zeug vom NES sauber im Avid gelandet ist, fließt einiges Wasser die Wupper runter.
Und die Listen für die Gema hat der Teufel erfunden.
Am Anfang kanntet ihr euch untereinander ja kaum und musstet euch erst einmal finden: Wo liegen die Stärken des einzelnen, wer kann besonders gut zusammenarbeiten etc.. Wie sieht die Dynamik des Teams nach 20 ausgestrahlten Folgen aus?
Wer nicht genau das macht, was ich sage, wird angebrüllt und niedergemacht. Nein, stimmt gar nicht. Tatsächlich ist unsere Redaktion eines der angenehmsten Arbeitsumfelder, in denen ich je tätig war. Sehr viel Enthusiasmus, Leidenschaft und Motivation. Macht sehr viel Freude. Und ich bin noch nie angeschrien worden.
Und noch wichtiger: Wie kommt Reload beim Zuschauer an?
Alle hassen uns, weil wir so schön sind.
Warum weiß ich erst jetzt von euch? Ich bin nur zufällig auf die Sendung gestoßen, weil ich nach deinem Namen stöberte. Ich glaube, es geht bisher noch einigen Leuten so: Sie wissen gar nicht, dass es euch gibt. Warum finde ich z. B. kein Feature in den großen Zeitungen?
Da finde ich erstens bedenklich, dass du nach meinem Namen stöberst, du kleiner Stalker. Und zweitens, tja, für Marketing und PR ist natürlich unser Sender zuständig, da musst Du mal bei denen nachfragen. Aber als Eins Plus vor einem Jahr loslegte, wurden wir zumindest mit einem Satz in der FAZ erwähnt. Leider kein besonders schöner Satz.
Du sagtest einmal: „ Also ich bin persönlich immer für exzessives Ausarten im geregeltem Maße“. Inwiefern schlägt sich das beim Konzipieren einer neuen Folge nieder?
Ich langweile mich total schnell. Ich muss mich selber herausfordern. Dinge wie Jan Hegenberg, der ein Metal-Lied zu „Mein Reiterhof 3D“ grunzt und beim Video fast vom Pferd getreten wird, mag ich. Genauso unsere Videospielversion der Feuchtgebiete. So was Ekelhaftes hat man vorher noch nie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen, selbst wenn es pixelig war. Da bin ich ein bisschen stolz drauf.
Wir sitzen zusammen, brainstormen rum und gucken einfach wie man die Messlatte noch etwas höher schrauben kann. Oder noch viel viel niedriger. Die besten Ideen haben wir am hosenlosen Freitag.
Als Musikmagazin hören wir in TV-Beiträgen natürlich genau hin: Interpol, Bratze, Tubbe, Frittenbude - Eure Musikauswahl ist stets stilvoll gewählt. Wer ist denn da in eurer Redaktion der große Audiolith-Fan?
Musik spielt bei Reload eine große Rolle. Mit Musik kann man eine Menge erzählen. Wenn man Bilder von Raiden zu „Du bist zu blöd um ausm Busch zu winken“ von Mickie Krause zeigt, ist die Aussage wohl relativ klar.
Und wie du ja vielleicht weißt, ist mein Kollege Heiko Gogolin selber Labelinhaber und DJ. Er legt zum Beispiel jeden ersten Mittwoch im Thier in Hamburg auf. Kannst ja mal vorbeikommen.
Ich wurde mit Games wie Burnout 3 oder SSX 3 damals an Bands wie z. B. The Faint und Jimmy Eat World herangeführt, die ich noch heute höre. Welche Rolle spielt Popmusik in Videospielen?
Es gibt Spiele, die stärker auf eine ausgeklügelte Populärmusikauswahl legen wie GTA oder Forza und viele, bei denen das völlig egal ist. Mit Musik hat man eine weitere Ebene, ob und wie man die einsetzt, bleibt völlig den Entwicklern und ihrer Vision überlassen. Bei GTA ist Musik ein wichtiger Teil der Welt, weil man sich den Soundtrack zum Rumfahren selbst zusammenstellen kann und damit die Atmosphäre des Spiels selbst mitgestaltet.
Und Popmusik war instrumental darin, Videospiele cooler und erwachsener werden zu lassen. Ich sag nur Wipe-Out für die Playstation Eins.
Was hört ein Passionsnerd wie du es bist eigentlich privat?
Ich höre sehr viel unterschiedliches Zeug (wie gesagt, ich langweile mich schnell). Von Tom Waits bis NIN, und sehr viel Drum ’n’ Bass, aber natürlich auch sehr spezifische Nerdmusik wie Blind Guardian, Old Gods of Asgard, KLF oder das fantastische Star Trek-Jazz Album „Smooth Federation“ von Andrew Allen. Meine Lieblingsalben sind derzeit „Belbury Tales“ von Belbury Poly und Deadman‘s Bones.
Im Anschluss: Was sind deine liebsten Videospiel-Themes?
Turrican! Wenn ich nur die ersten Töne höre krieg ich Gänsehaut! Bubble Bobble! Monkey Island! Und Luigis Mansion.
Werden wir mal bedeutungsschwer: Wo steht Spielekultur 2013 in der Gesellschaft?
Es ist ganz einfach: Alle spielen. Auch deine Mutter. Mehr braucht man dazu eigentlich nicht sagen. Ich persönlich kann die Frage, ob Spiele jetzt eigentlich Kultur sind nicht mehr hören. Und wenn ich noch ein einziges Mal irgendwo lese, dass Spiele ja jetzt auch irgendwie voll in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, dann muss ich leider ein wenig brechen.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Bei einer neuen Konsolengeneration macht die Grafik nicht mehr so große Sprünge wie damals (siehe PS4). Auf welche Stärken werden Next-Gen-Spiele setzen müssen, um den Wow-Effekt zu erzielen, den damals der Faktor Grafik geschaffen hat?
Das frag ich mich auch. Grafik muss und sollte allerdings eh nicht der einzige Faktor sein, der eine Konsole interessant macht. Er ist natürlich der am einfachsten erkennbare, aber ich persönlich hätte auch problemlos noch eine Weile auf meiner Xbox 360 weitergespielt. Ich bin weder vom Tablet der WiiU, noch von den dubiosen Social-Firlefanz-Features der PS4 wirklich beeindruckt. Ich glaube, es wird davon abhängen, ob die Konsolen es schaffen, ein Umfeld zu schaffen, auf denen Developer wieder ihre Kreativität ausleben können ohne Angst zu haben gleich Bankrott zu gehen, wenn sich das Spiel nicht milliardenfach verkauft. Die PS4 versucht ja deutlich einfach zu programmieren zu sein, als es ihr Vorgänger war. Ich glaube der nächste Schritt muss es sein, die Produktion von AAA-Titel günstiger zu machen, damit wir wieder mehr interessante gewagtere, innovativere Spiele sehen und nicht nur die ewig gleichen CallofDuty-auf-Nummer-Sicher-Klone.
Ansonsten freu ich mich jetzt erstmal auf mein Oculus Rift.
Die Wii U versucht abermals mit einem innovativen Spielkonzept aufzuwarten, doch fehlen bislang zugstarke Titel. Die Verkaufszahlen liegen deutlich unter den Erwartungen. Wie stehst du zum Konzept von Nintendos Maschine?
Mich rockt das nicht. Ich spiel genauso gerne wie jeder andere mal ein Partyspielchen, und dabei macht die Wii U auch echt Spaß. Aber ich bin vielleicht zu konservativ: Für mich war weder der Wiimote-Fuchtelzwang noch das neue Pad eine spielerisch wirklich große Innovation, sondern eigentlich nur ein Gimmick. Manchmal nett, meistens nervig.
Bislang wurde noch nicht dementiert, dass die neue Xbox „Always-On“, d. h. dauerhaft mit dem Internet verbunden, sein müsse. Stichwort #dealwithit. Wie stehst du generell zum Online-Zwang bei Spielen (z. B. SimCity, Diablo 3) / Konsolen?
Absoluter Wahnsinn. Unfassbarer Quatsch.
Ein Blick in die Branche: Da die breite Masse aus Analystensicht nicht bereit ist, 60€ für ein neues Spiel auszugeben, sucht man sich neue Vertriebswege: Was hältst du vom Free To Play-Modell, an dem sich jetzt auch bekannte Publisher (Crytek mit Warface) versuchen?
Wenn Du unseren Beitrag gesehen hast, weißt du ja, was der gute Peter Holzapfel dazu gesagt hat: Vollpreisspiele lassen all diejenigen Spieler aus, die vielleicht nur 2,50 Euro für ein Spiel ausgeben wollen. Und auch die, die gerne 500 Euro für ein Spiel ausgeben wollen. Ich habe absolut nichts gegen Free-to-Play, solange die Mechanismen offen und fair bleiben und nicht bereits im Gamedesign Anreize dafür geschafft werden, den Spieler unterschwellig dazu zu animieren, Geld auszugeben, weil er ohne nicht mehr weiterkommt. Da wird’s dann echt unschön.
Ich mag meine Games-Sammlung mit ihren schönen Special Editions im Regal. Sehr sogar. Einige Branchenvertreter sehen das allerdings anders und satteln auf Downloads und Streaming um. Wird das physische Game mitsamt teils liebevoll gestalteter Verpackung, das einen großen Teil der Gaming-Kultur ausmacht, auf Dauer aussterben? Besitzen wir bald nur noch eine kalte, digitale Sammlung aus Titeln zum Anklicken?
Ist doch genauso mit deiner Musiksammlung. Die hast Du doch auch nur noch auf deiner Festplatte. Wie bei Büchern, Filmen und Musik wird das physische Objekt mehr und mehr zu einem Liebhaberstück werden. Ich persönlich finde es ganz gut, dass man die Wahl hat, sein Zimmer nicht noch mehr mit irgendwelche doofen Plastikhüllen vollzustellen, aber wenn man will, dass man dann die Möglichkeit hat, sich sogar den Songbird aus der teuren Sonderedition übers Bett zu hängen. Genauso ist es mit Musik: Den Song auf iTunes. Oder lieber die CD. Oder vielleicht sogar auf Vinyl? Den Comic auf Comixology? Oder lieber die in ledergebundene Hardcover Variante mit Autogramm von Alan Moore. Ist doch toll für den Konsumenten. Wir haben viel mehr Auswahl.
„Wir sind ja Nerds, die ihre Nerdigkeit in eine Fernsehformat einbringen wollen und es gleichzeitig auch für…“ hast du einmal im Making Of zu Reload gesagt, ohne den Satz zu beenden. Jetzt hast du Zeit, das endlich nachzuholen:
„...normale langweilige unnerdige Menschen rezipierbar machen wollen.“ Oder irgendwas über deine Mutter, ich weiß es nicht mehr ganz genau.
Als Fachmann: Die Begriffe Geek und Nerd scheint kaum einer vernünftig auseinanderhalten zu können. Schließ für uns doch mal diese Wissenslücke!
Als ob ich da der Experte wäre... Geek hat für mich etwas körperlicheres. Das kann auch ein Jahrmarkt-Freak sein. Nerd ist eher etwas geistiges, das sich natürlich auch irgendwo auf das Aussehen niederschlägt. Keine Ahnung. Google das doch lieber mal. Irgendwer weiß das bestimmt.
Zum Abschluss: Was sind deine prägendsten Spiele-Erlebnisse?
Teufel, da gibt es viele. Gemeinsam mit Freunden nächtelang Monkey Island auf dem Amiga gespielt zu haben. Als Urdnot Wrex starb. Bei Ultima Online innerhalb der ersten Spielstunde dreimal getötet zu werden. Als der Typ auf dem Schiff bei Paper Mario plötzlich die vierte Wand durchbricht und mich, den Spieler direkt anspricht. Den berüchtigten siebten Endgegner von Phazzeron nach nur drei Stunden in einem Paradox einzuwickeln. Planescape Torment. (Ja, dieses Spiel steht für sich allein als Spiel-Erlebnis) Ich wäre ja kein richtiger Gamer, wenn ich mit meinen bewegenden Spiele-Erlebnissen nicht fünf Din A4-Seiten füllen könnte. Deshalb höre ich jetzt hier einfach mal auf.
Vielen Dank an Uke für das ausführliche Interview!
(Die Fragen stellte Marc Braun)
Sendezeit:
Reload läuft alle zwei Wochen Donnerstags um 20.15 Uhr auf Einsplus oder im Stream in der ARD Mediathek. Die nächste Folge wird am 09.05. ausgestrahlt.
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