Maik Reckate

Freier Texter, Journalist und Konzepter, Berlin

1 Abo und 0 Abonnenten
Kolumne

Über Verhältnismäßigkeit

Ich würde mir mal eine Diskussion darüber wünschen, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Wenn ich morgen Menschen im KaDeWe umnieten wollte, könnte ich das ohne Weiteres tun. Mit einer Axt, Molotows, Nagelpistole oder womit auch immer. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Da kann ich rechts, ein Islamist oder einfach nur dumm im Kopf sein: Völlig egal. Wer unbedingt Menschen killen will, tut das, da machste nix.

Die Alternative wäre ein alles überwachender Staat und jeden Bürger zum Spitzel auszubilden. Das hatten wir schon mal. Und da hatte dann wirklich jeder Angst. Allerdings vor staatlichem Terror. Und man glaubt es kaum: Selbst da gab's noch Anschläge. Die wirksamste Prävention? Investitionen in das Sozialsystem. Wenn sich Menschen nicht benachteiligt fühlen, halten sich auch die Toten in Grenzen. Das ist nicht schön und nicht perfekt, aber ein realistischer Kompromiss a.k.a. die Essenz einer Demokratie. Wir müssen das nur mal begreifen.
  
Menschen töten einander, weil ihnen Angst Macht verleiht. Weil Menschen Macht geil finden. Übrigens seit über 200.000 Jahren. Das ist kein Appell an das Hinnehmen Terrortoter als notwendiger Kollateralschaden einer globalisierten Gesellschaft.

Aber wenn deutsche Verlagshäuser groß "Angst!" auf den Titelseiten propagieren und Scharfmacher damit aktiv Wählerstimmen abgreifen, während sich hinterrücks die Diskussion um Vorratsdatenspeicherung erübrigt, muss man der breiteren Masse das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wohl besser erklären– denn die Einsicht sehe ich in der aktuellen Reaktion nicht. Erst dann kann man eine überlegte Diskussionsgrundlage schaffen.

Ja, der Umgang mit einer globalen Völkerbewegung braucht klare Standards– denn es ist nicht die erste ihrer Art und wird nicht die letzte sein. Aber wir sollten uns in einer erhitzten politischen Situation nicht den Emotionswellen eines Momentums hingeben, sondern langfristig Geschichte schreiben, statt das kritzeln eiliger Notgesetze zu fordern.