1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Bei Anruf Tumor?

Telefonieren in geschlossenen Räumen ist gefährlich

Seit Beginn der Mobiltelefonie vor rund 20 Jahren ranken sich Mythen um das Handy. Gleichzeitig warnen immer mehr Wissenschaftler vor möglichen gesundheitlichen Schäden durch die Strahlung von Mobiltelefonen und Sendemasten und verlangen besonders bei Jugendlichen und Kindern nach Vorsichtsmaßnahmen. Wie gefährlich sind Handys wirklich?


Von Michael Strausz


Verschwörungstheorien, Mythen und Warnungen - Mobiltelefone sind heute aus der Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Doch wo liegen die Fakten? Soll man etwa auf Tankstellen nicht telefonieren, weil Explosionsgefahr besteht? Der Mythos stammt aus einer Zeit, als Mobiltelefone mit einer höheren Strahlung sendeten und die Gefahr bestand, dass ein Handy Funken schlägt, wenn es auf den Boden fällt. Tatsächlich ist kein einziger Fall überliefert, bei dem ein Handy ein Tankstellen-Inferno ausgelöst hätte. Später kursierten Videos im Internet, die vorgaukelten, dass Handys Popcorn zum Aufplatzen bringen. Sie wurden mehr als 20 Millionen mal aufgerufen, entpuppten sich aber als Fälschung. Dahinter verbarg sich eine Firma, die den Verkauf von Head-Sets ankurbeln wollte. Auch das Gerücht, dass Handys zum Eierkochen eingesetzt werden können, erwies sich als haltlos.


Die Wissenschaft über die Auswirkungen der Handystrahlung ist noch jung. Die Studien dazu werden in drei Gruppen eingeteilt: zelluläre Studien, in denen beobachtet wird, ob es zu Veränderungen des Erbgutes (DNS) kommt, Tierstudien und epidemiologische (Vergleichs)-Studien, bei denen Handynutzer mit Nicht-Handynutzern verglichen werden.

Bereits 1998 wurde in Wien bei einer Expertenkonferenz zum Thema „Gesundheitsgefahren durch Mobiltelefonie" die so genannte Wiener Resolution verabschiedet, die wissenschaftlichen und politischen Handlungsbedarf aufzeigte. Drei der Wissenschaftler von damals befanden sich nun auch unter jenen 31 Experten aus 14 Ländern, die vor kurzem in Lyon eine Woche lang nahezu sämtliche verfügbare wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema „Krebs durch Rundfunk- und Handystrahlung" ausgewertet haben.


Die internationale Krebsagentur IARC kam zum Schluss, dass Mobil-Telefonie „möglicherweise krebserregend" ist. Ein endgültiger wissenschaftlicher Beweis, dass Strahlung Krebs verursacht, sei das laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) freilich nicht, doch intensive Handynutzer hätten ein höheres Risiko, an einem Gliom (seltene Form des Gehirntumors) zu erkranken. Jahrelang wurde das Thema heruntergespielt, nun erkennt die WHO die Bedenken als gerechtfertigt an", zeigt sich Wilhelm Mosgöller vom Institut für Krebsforschung der Medizinuni Wien bestätigt. Und weiter: „Mehr als zwölf Jahre nach unserem Nachhaken und nachdem jetzt auch die IARC nachgezogen hat, reagieren die Mobilfunk-Interessensvertreter trotzdem wie gewohnt mit Verharmlosung, zeigen sich unbelehrbar und ohne Konzept, das der Faktenlage gerecht wird."  Die Experten stützen sich vor allem auf die 2010 veröffentlichte epidemiologische „Interphone-Studie", die von der WHO initiiert und von der IARC durchgeführt wurde. Über 14.000 Menschen weltweit nahmen teil. Verglichen wurde das Telefonieverhalten Krebskranker mit Gesunden. Anschließend wurden die Daten hinsichtlich eines möglichen Zusammenhangs zwischen Telefonnutzung und vier unterschiedlichen Tumorarten analysiert. Das Ergebnis: Bei 10 Prozent der Studienteilnehmer, die über zehn Jahre pro Tag durchschnittlich 27 Minuten telefonierten, wurde ein um 40 Prozent höheres Risiko für Gliome festgestellt. „Während weitere Studien notwendig sind, um diese Resultate zu bestätigen oder zu widerlegen, geben die Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Langzeit-und starke Nutzer aus Interphone- und anderen Studien Anlass zur Sorge", folgerten die Wissenschaftler in ihrer jüngsten Analyse. Besonders jungen Menschen wird empfohlen, einfache Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, wie das Versenden von SMS-Nachrichten statt mobil zu telefonieren sowie Freisprechzubehör und Lautsprechermodus zu verwenden, bis definitive Antworten vorliegen.


Verdoppeltes Risiko nach zehn Jahren


Eine weitere häufig zitierte Studie ist die Hardell-Metaanalyse. Darin kommen Autoren wie Michael Kundi, Leiter des Instituts für Umwelthygiene der Medizinuni Wien zur Erkenntnis „dass beim rund zehnjährigen Gebrauch von Mobiltelefonen das Risiko annähernd verdoppelt wird, dass ein Hirntumor auf der gleichen Stelle (ipsilateral) des Kopfes, an der bevorzugt telefoniert wird, diagnostiziert wird". Bei der epidemiologische REFLEX -Studie zur Erforschung möglicher Schädigungen des Erbguts durch hochfrequente elektromagnetische Felder waren zwölf Forscherteams aus sieben Nationen beteiligt. Studienbeginn war im Jahr 2000, im Mai 2004 wurde die Studie abgeschlossen. Das Ergebnis: In mehreren Zellverbänden kam es zu einfachen und doppelten Brüchen von DNS-Strängen (DNS, die Desoxyribonukleinsäure, ist Trägerin der Erbinformation). Solche Schäden können das Krebsrisiko erhöhen und das Erbgut schädigen. Was dies nun konkret für den Menschen bedeutet, sei noch offen, die Versuche im Reagenzglas nicht auf Lebewesen übertragbar, sagen die Forscher. Das Hauptproblem aller Studien ist, dass wenige Menschen bereits seit so einem langen Zeitraum regelmäßig Mobiltelefone benutzen, dass sich kaum verbindliche Aussagen machen lassen. „Bei Studien muss man immer Langzeitfolgen abwarten.

So wurde bereits 1956 festgestellt, dass Rauchen ein höheres Lungenkrebsrisiko mit sich bringt. Der kausale Zusammenhang wurde aber erst 1996 festgestellt", erklärt Erik Randall Huber, Referent für Umweltmedizin der Wiener Ärztekammer. Bis dahin konnte die Tabakindustrie behaupten, dass Rauchen nicht gesundheitsschädigend ist. „Das Handy rettet im Notfall Leben und ist nützlich. Niemand will, dass diese Technologie verschwindet. Aber es sollte sicherheitshalber mit mehr Vorsicht umgegangen werden, noch bevor sich die Daten erhärten", meint Krebsforscher Mosgöller.

Bereits 2005 hat die Wiener Ärztekammer „zehn medizinische Handyregeln" für Arztpraxen konzipiert, um Ärzte und Patienten auf einen sorgsamen Umgang mit der Mobilfunktechnologie aufmerksam zu machen. „Wir werden weiterhin auf das Vorsorgeprinzip bauen, denn Vorsorge darf nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden", verspricht Ärztekammer-Präsident Walter Dorner. Auch der Europäische Rat forderte jüngst dazu auf „alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Exposition elektromagnetischer Felder zu reduzieren, insbesondere die Funkfrequenz von Handys und ganz besonders die Belastung für Kinder und Jugendliche, die das höchste Risiko zu haben scheinen."

Das Handy sei besonders dann gefährlich, wenn es eine Verbindung zu den Mobilfunkmasten aufnimmt, warnt Huber: „Also wenn man telefoniert oder angerufen wird, eine SMS sendet oder empfängt." Dieses Problem lasse sich vermeiden, indem man auf guten Empfang achtet. Denn je besser die Verbindung zwischen Handy und Basisstation, desto geringer die Energie, mit der das Mobiltelefon funkt.

Eine relativ neue Gefahr stellen die Internetfunktionen von Handys dar, weil hier das Mobiltelefon ständig strahlt. Je mehr Energie ein Handy benötigt, umso mehr Strahlen sendet es aus und umso mehr gelangen in den Kopf. Der Experte weist auch darauf hin, dass zunehmend Körperregionen belastet würden, über die man „noch gar nichts Genaues" wisse. „Beim Surfen befindet sich der Stick in Hüfthöhe - bei Hoden, Penis, Prostata, Eierstöcken und Rektum - beim Telefonieren mit Freisprecheinrichtungen meist in der Brusttasche, womit vor allem Leber, Bauchspeicheldrüse und Magen betroffen sind." Es sei zu befürchten, dass die Auswirkungen auf diese Organe weit gravierender sind als auf das Gehirn, das doch recht gut geschützt ist. „Auch wenn wir es heute noch nicht zu 100 Prozent wissen, der Trend geht in die Richtung, dass Handystrahlen schädlich sind und dass es zu einer Veränderung der Erbsubstanz kommt", betont Huber.


Auch strahlende Auswirkungen auf Arzneimittel


So schwierig die Aussagen über die Wirkungen auf den Menschen sind, so schwierig sind sie auch im Hinblick auf Arzneimittel - gerade im Bereich komplementärer Methoden. Für den Erfolg homöopathischer Behandlungsmethoden etwa ist es essentiell, dass die verabreichten Globuli, Tropfen oder Tabletten in ihrer Wirkung nicht beeinträchtigt werden, dass ihre Schwingungsmuster nicht durch äußere Einflüsse gestört werden. Die moderne UMTS-(Universal Mobile Telecommunications System)-Technik von Mobiltelefonen benutzt jedoch gleichzeitig mehrere Frequenzen parallel, was die Haltbarkeit von Homöopathika stärker gefährdet als die frühere Einfrequenz-Technik. „Die durch Radio-, Fernseh-, Mobilfunk- und UMTS-Sendestationen dichter werdenden Funknetze und elektromagnetischen Felder nutzen immer mehr Frequenzen, welche homöopathische Mittel auf thermische und nicht-thermische Weise in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen und abschwächen können", warnt Sonja Reitz, deutsche Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin.

Auch die Benutzung von Mobiltelefonen in der Nähe homöopathischer Mittel habe negative Einflüsse auf deren Haltbarkeit und die potentielle Wirksamkeit, da hier starke Strahlung ins direkte Umfeld abgegeben wird. „Es empfiehlt sich daher, aufgedrehte Handys nie zusammen mit homöopathischen Mitteln in der gleichen Tasche aufzubewahren oder Medikamente in der Nähe von tragbaren Telefonhörern aufzubewahren", sagt Reitz. Homöopathische Mittel sollten auch nicht in der Nähe von Handys (drei Meter), tragbarer Telefone oder deren Basisstationen, bei einer Sende- oder Empfängerstation von Babyphones, an funkelektronischen Hausüberwachungen, an Computertastaturen und anderen Geräten, die über Funk Daten übermitteln, gelagert werden, analysiert Reitz abschließend.

Zum Original