„Wenn erst der Richtige kommt, willst du auch Kinder. Wer kümmert sich um dich, wenn du alt bist? Erst mit einem Kind bist du eine richtige Frau." Solche Sätze hört Anna* immer wieder, wenn sie anderen Menschen erzählt, dass sie keine Kinder haben möchte. Schon früh hat die heute 29-Jährige beschlossen, kinderfrei zu leben. In ihrer Lebensplanung und der ihres Freundes spielen Kinder keine Rolle. Für viele Menschen scheint das aber nicht akzeptabel zu sein. Sie wollen nicht wahrhaben, dass eine Frau bewusst auf Kinder verzichtet. Am schlimmsten sei es für Anna, nicht ernst genommen zu werden. „Man traut mir nicht zu, eine Entscheidung treffen zu können. Wenn ich mit fast 30 Jahren sage, dass ich keine Kinder will, unterstellt man mir, ich wisse nicht, was gut für mich ist. Wenn aber eine 18-Jährige sagt, sie will später Kinder haben, ist sie erstaunlicherweise nicht zu jung, um diese Entscheidung zu treffen", sagt die Sozialarbeiterin.
Bea aus dem Saarland kennt das. Die 26-jährige klinische Kodierkraft hat sich ebenfalls gegen Kinder entschieden und lebt stattdessen lieber mit zwei Katzen zusammen. Für ihre Lebensplanung wird sie von anderen belächelt oder ihre Meinung wird nicht akzeptiert. „Viele können nicht nachvollziehen, dass ich kinderfrei bleiben möchte", sagt Bea. Jedes Gespräch darüber fühle sich für sie unangenehm an. In den sozialen Netzwerken wird sie sogar als herzlos, geisteskrank oder unnormal betitelt. „Es ist immer noch ein Tabu, keine Kinder zu wollen", sagt sie.
Aber warum ist das so? Es gebe eine gesellschaftliche Erwartung an Frauen, Kinder in die Welt zu setzen. Die Frau werde damit auch auf ihren Körper reduziert, meint Verena Brunschweiger, Gymnasiallehrerin und Autorin des Buchs „Kinderfrei statt kinderlos: Ein Manifest". Viele ließen sich erfolgreich einreden, dass es die sogenannte ,biologische Uhr' gäbe, sagt sie, „dabei ist die nur ein patriarchales Konstrukt, das perfiderweise benutzt wird, um Frauen unter Druck zu setzen". Verena Brunschweiger wählt bewusst den Begriff kinderfrei anstelle von kinderlos, denn kinderfreie Leute sind Menschen, die sich aufgrund rationaler Gründe gegen die eigene Reproduktion entschieden haben.
Unterschiedliche GründeKinderfreie Frauen gelten allgemein als egoistisch, dabei ist ihrer Ansicht nach das Gegenteil der Fall: „Dadurch, dass ich selber auf Kinder verzichte, helfe ich denen, die schon da sind und der ganzen Umwelt", sagt sie. Die Autorin aus Regensburg vertritt die These, Kinder zu bekommen sei schlecht für die Umwelt. In ihrem Buch zitiert sie verschiedene Untersuchungen, die das belegen. Fast 60 Tonnen verursache ein Kind pro Jahr an CO 2 , diese Umweltbelastung könne eingespart werden. Eine Studie aus Oregon bestätige, dass zwei Kinder für Eltern eigentlich eines zu viel ist. „Ein Kind weniger ist der mit Abstand größte individuell mögliche Beitrag zum Umweltschutz, den man leisten kann", sagt Brunschweiger. Anderes umweltbewusstes Verhalten helfe nicht annähernd so viel. Recycling etwa würde nur 0,2 Tonnen CO 2 einsparen. Wer kein Kind in die Welt setzt, schone damit bestmöglich die Erde. „Insofern wäre auch schon was gewonnen, wenn man statt zwei Kindern nur eines bekäme. Und ja, auch und gerade in Deutschland, denn ein deutsches Kind verbraucht die Ressourcen von 30 afrikanischen Kindern", sagt Brunschweiger, die auch sonst umweltbewusst lebt und etwa kein Fleisch isst, nicht fliegt und kaum Auto fährt.
Warum Frauen kinderfrei leben, kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Bei Anna kam schlichtweg nie der Kinderwunsch auf. Zwar arbeitet sie in der Kinder- und Jugendhilfe und betreut in ihrem Job Jugendliche zwischen 17 und 21 Jahren - aber sie hatte nie das Bedürfnis nach eigenen Kindern. „Ich finde Babys und Kinder nicht doof, aber ich kann mich nicht so gut in sie hineinversetzen. Mir fehlt irgendwie dieses Mutter-Gen, ich empfinde sie auch nicht als niedlich", sagt Anna.
Bea ergeht es ähnlich. „Ich kann mit Kindern nichts anfangen. Sie lösen bei mir keine Emotionen aus. Tiere gehen mir viel mehr ans Herz als Kinder", sagt die junge Frau, die sich ehrenamtlich für den Tierschutz engagiert.
Deutscher MutterkultObwohl die Familienplanung eine sehr persönliche Angelegenheit ist, werden Frauen immer wieder, sogar von völlig Fremden danach gefragt. „Das ist sehr übergriffig. Die Leute meinen es nicht böse, aber warum muss diese Frage überhaupt mit diesem Selbstverständnis gestellt werden. Die Menschen wissen nicht, ob sie vielleicht Wunden aufreißen, weil die Frau vielleicht ein Kind verloren hat oder keine Kinder bekommen kann", sagt die Journalistin und Bloggerin Asmona Iesha Logan. Bei ihr stellt sich die Frage nach Kindern nicht mehr, sie hat sich aus körperlichen Gründen dagegen entschieden. 20 Jahre lang belasteten Myome auf der Gebärmutter ihr Leben und ihren Gesundheitszustand stark. Sie litt unter Schmerzen, Kreislaufproblemen, Anämien, unregelmäßigen Blutungen und wurde zweimal operiert. Im Mai 2014 traf sie die Entscheidung, ihre Gebärmutter entfernen zu lassen - und damit auch niemals Mutter werden zu können. „Diese Operation ist jetzt wie mein zweiter Geburtstag", sagt die 45-Jährige. Über ihre Entscheidung, ohne Kinder zu leben, hat sie den sehr persönlichen Text „Kinderfrei und Spaß dabei" auf ihrem Blog „BeautyDelicious" veröffentlicht.
„Wir haben in Deutschland einen Mutterkult. Es wird vorausgesetzt, dass man als Frau Kinder haben möchte. Kinder können eine Bereicherung sein, aber man muss sich darüber nicht definieren", sagt Logan. Männer hingegen würden kaum nach ihrer Kinderplanung befragt.
Bei Männern sei es egal, wie sie sich benehmen und entscheiden, sagt auch Verena Brunschweiger: „Frauen hingegen werden viel mehr nach ihrem Körper beurteilt: Hat dieser Körper Kinder zur Welt gebracht, entspricht er den Porno-Standards und so weiter. Das ist doch ätzend!"
Für die Thesen in ihrem Buch ist Verena Brunschweiger heftig kritisiert worden. „Ich hoffe, dass die Dame als Lehrkraft mehr Empathie für ihre SchülerInnen aufgebracht hat, als diese unsäglichen Äußerungen befürchten lassen", sagte etwa Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes. Vor allem in den sozialen Netzwerken schlägt ihr blanker Hass für ihre Aussagen entgegen. Da sind Kommentare zu lesen wie „Ein Leben nach dem Hirntod ist möglich, die ist das beste Beispiel!", „Diese Frau sollte man zurückentwickeln und abtreiben", „Deine Eltern hätten damals so denken und handeln sollen. Dann wäre uns deine ekelhafte Anwesenheit erspart geblieben." Gegenwind interessiere sie prinzipiell nicht, sagt Brunschweiger. Das Buch hätte sie ansonsten wohl nicht veröffentlicht.
„Das ist ein hoch emotionales Thema", sagt Asmona Iesha Logan. Als sie ihren Text über ihr kinderfreies Leben veröffentlichte, bekam sie ebenfalls viele böse Kommentare, aber eben auch viel positives Feedback für ihren Mut. Auch Verena Brunschweiger erhielt neben all den fiesen Kommentaren jede Menge Lob und Zustimmung: „Diese Frauen sind begeistert und unendlich dankbar, dass endlich jemand für sie eine Lanze bricht!"
Anna und Bea gehören dazu. Die beiden Frauen sind froh, wenn das Thema eine breitere Öffentlichkeit erreicht, damit auch sie sich künftig nicht ständig erklären müssen. „Ich fühle mich oft in eine Ecke gedrängt. Von allen Seiten wird mir eingeredet, dass ich irgendwann ja doch ein Kind haben werde", sagt Bea. Vor allem das Argument, sie würde sonst im Alter allein sein, höre sie immer wieder. „Aber ich kann ja kein Kind in die Welt setzen, nur damit ich später nicht allein bin", sagt sie. Anna ist häufig entsetzt, wenn ihr als kinderfreier Frau regelrecht gewünscht werde, dass sie später vereinsamt.
Doch auch das gibt es: Mütter, die am liebsten keine Kinder bekommen hätten und ihr Mutter-Dasein bereuen. Regretting Motherhood heißt diese Bewegung, die 2015 durch eine israelische Studie bekannt geworden ist. Tenor war, dass die gesellschaftliche Vorstellung dessen, was das größte Glück für eine Frau ist, nicht durchweg dem Erleben und Empfinden der Frauen selbst entspricht.
Zum Beispiel, dass sie sich ohne Kinder „deutlich freier und spontaner" fühlen wie Asmona Iesha Logan. Oder mehr Geld zur Verfügung haben und ihren Körper nicht den Risiken und Schmerzen einer Schwangerschaft aussetzen müssen wie Anna.
Anna sagt: „Es gibt nicht nur einen Weg, um glücklich zu sein. Das sollten die Menschen lernen." Bis kinderfreie Frauen in der Gesellschaft akzeptiert seien, werde es aber noch einige Zeit dauern. „Wir sollten Mädchen in dem Gedanken erziehen, dass sie Kinder bekommen können, aber nicht müssen", sagt Asmona Iesha Logan.
* Name von der Redaktion geändert.