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Eine Serie für die Freiheit: Die Suche nach dem richtigen Maß - WELT

Lifestyle Eine Serie für die Freiheit

Die Suche nach dem richtigen Maß

Der Anschlag auf „Charlie Hebdo" wirft Fragen nach Recht und Unrecht von Blasphemie auf. In vielen Ländern ist Gotteslästerung strafbar. Ein Überblick

Satire sagt offen ihre Meinung. Sie kritisiert scharf, wo andere sich ducken und schert sich nicht um das Echo. Aber: Immer mit einem Augenzwinkern. Genau deswegen wird sie geliebt und bringt so viele Menschen zum Lachen. Doch sie kann auch für Debatten sorgen - und Menschen verletzen. Der Fall von Charlie Hebdo zeigte am 7. Januar auf tragische Weise, wie riskant es sein kann, wenn Religion im Mittelpunkt von Satire steht. Was darf Satire also?

Eine Grenze - zumindest gesetzlich - bildet der Blasphemie-Paragraf, den es in fast allen Ländern der Welt gibt. Auch in Deutschland. Nach dem Anschlag brandete in der Politik eine Diskussion um die Gesetzgebung und das Thema religiöser Beleidigungen auf. Einige Politiker wie FDP-Parteichef Christian Lindner forderten eine Abschaffung des betreffenden Paragrafen, während andere, wie Stefan Mayer aus der CSU, ihn sogar verschärfen wollten.

Der Chefredakteur des Satire-Magazins „Titanic", Tim Wolff, findet den betreffenden Paragrafen 166 nicht mehr zeitgemäß. „Da er aber praktisch unanwendbar ist, stört er auch nicht groß", sagt Wolff. Auch die „Titanic" erhielt mehrere Anzeigen wegen genau dieses Paragrafen. Im Oktober 1995 zum Beispiel titelte das Magazin: „Nach dem Kruzifix-Urteil: Spielt Jesus noch eine Rolle?" Zu sehen war Jesus am Kreuz, der eine Toilettenrolle hielt. Deutsche Bischöfe konnten darüber nicht lachen und erstatteten Anzeige wegen „des Verdachts der Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft". Erfolglos.

2012 hatte der Vatikan höchstpersönlich sogar eine einstweilige Verfügung gegen ein Titanic-Cover erlassen. Papst Benedikt XVI. war inkontinent mit der Zeile „Die undichte Stelle ist gefunden" abgedruckt worden. Der Vatikan zog die Klage jedoch wieder zurück. Nach Beratungen habe der Papst entschieden, die einstweilige Verfügung gegen das Titanic-Cover aufzuheben, teilte der Vatikan damals mit.

Aus Tim Wolffs Sicht muss das jede Gesellschaft aushalten können: „Satire muss weh tun, weil sie mit den Mitteln der Komik arbeitet. Und Komik ist ohne - virtuelles - Opfer nicht zu erzeugen." Da Satire immer auf politische und soziale Missstände samt ihrer Verursacher abziele, meine der Betroffene immer, das ginge zu weit. „Aber ohne diese Verletzungen wäre Satire sinnlos."

Aber sollte Blasphemie - auch in satirischem Kontext - strafbar sein? Im Strafgesetzbuch ist die Strafbarkeit an die Bedingung geknüpft, dass die Beleidigung den öffentlichen Frieden zu stören vermag. Professor Christian Hillgruber würde diese Bedingung gerne streichen und den Paragrafen damit sogar verschärfen. „Zur Störung des öffentlichen Friedens darf es gar nicht erst kommen. Es bedarf eines vorgelagerten Schutzes, damit es gar nicht erst zu Gewaltausbrüchen kommt." Er vertritt damit allerdings eine Mindermeinung in der Welt der Juristen. Doch aus seiner Sicht gibt es ein objektives Mindestmaß an Respekt, an das sich auch Satire halten muss. „Niemand muss sich auf das Niveau von religiösen Beschimpfungen herablassen - weder die Satiriker noch die, die sich getroffen fühlen", sagt Hillgruber und fügt an: „Wer sich in Form von übler Beschimpfung artikuliert, kann nicht ernsthaft behaupten, dass er nicht provozieren will." Es gäbe in unserem Rechtssystem Fälle, in denen man objektiv sagen könne, dass durch das eigene Verhalten Dritte verletzt werden und zu möglichen Überreaktionen herausgefordert würden. Für ihn ist klar: „Wer ein religiöses Bekenntnis schmäht, ist aus meiner Sicht ein Brandstifter, auch wenn er sich als Biedermann geriert."

Er warnt zudem vor einer Folge blasphemischer Satire, die in seinen Augen in der öffentlichen Diskussion nur eine sehr geringe Rolle spielt: „Viele gläubige Menschen, die sich von Satire in ihrer für sie identitätsprägenden Religion beleidigt fühlen, ziehen sich aus der öffentlichen Debatte zurück, weil sie sich nicht mehr trauen, ihren Glauben öffentlich zu bekennen."

Doch bislang kennen weder das Gesetz noch die Satiriker den einen, einheitlichen Maßstab. Der Satiriker und ehemaliger Chefredakteur der Titanic, Martin Sonneborn, findet, jede Entscheidung sei ein Einzelfall. „Die Grenzen der Satire, so lautet der Auftrag unserer Altvorderen, der ‚Titanic'-Gründer, sollen von uns jeden Monat neu ausgelotet werden." Ein objektiver Maßstab sei dabei nicht anwendbar: „Die Grenzen der Satire sind fließend. Es gibt keine Ausnahmen; keine Themen, bei denen man grundsätzlich sagen kann, sie seien nicht satirefähig."

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