Madeleine Londene

Freie Journalistin, Augsburg & Berlin

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Artikel

Interkulturelle Fernbeziehung

Carolin lernte Berry in seiner Heimat mitten im Dschungel kennen. Obwohl ihre Erziehung, Religion und Kultur komplett verschieden sind, führen sie seit vier Jahren eine Beziehung. Wie sie Unterschiede überwinden, mit Vorurteilen umgehen – und was sie über die Liebe gelernt haben.


Caro: Eigentlich war ich mit einer Freundin nur auf der Durchreise durch Sumatra. Wir waren schon seit drei Jahren mit dem Rucksack durch Südostasien unterwegs. Dann kamen wir nach Bukit Lawang, ein Dorf im Dschungel, wo wir für ein paar Monate hängengeblieben sind. Dort lernte ich Berry kennen, der dort geboren und aufgewachsen ist. Ich weiß noch, als ich ihn das erste Mal gesehen habe, da war ich gerade beim Frühstücken, und er stand im Restaurant hinter dem Tresen und hatte ein breites Lächeln im Gesicht.


Berry: In den nächsten Tagen sahen wir uns öfter. An einem Abend saßen wir draußen am Feuer, und ich habe Gitarre gespielt. Caros Gesicht hat mich fasziniert, ihre helle Haut und ihr kleiner Kopf. Die Art, wie sie gesprochen hat und was sie über ihre Heimat zu erzählen hatte. Von diesem Abend an wollte ich immer mehr über sie erfahren.


Caro: Ich kam frisch aus einer Beziehung und habe nichts Ernstes gesucht. Aber an dem Abend, als Berry Gitarre spielte und sang, hätte ich am liebsten ewig zugehört. Kurz danach habe ich mir das Denguefieber eingefangen. Berry war immer für mich da und hat mich die vier Stunden bis zum nächsten Krankenhaus gebracht. Er hat mir verschiedene Kräuter besorgt und saß die ganze Nacht an meinem Krankenbett. Sogar seinen Geburtstag hat er bei mir im Krankenhaus verbracht.


Als ich in Indonesien war, habe ich gar nicht gemerkt, wie sehr ich Berry eigentlich mag. Das ist mir erst richtig bewusst geworden, als ich die Monate danach in Thailand und anderen Ländern unterwegs war und anfing, ihn zu vermissen. Zurück in Daleiden in der Eifel habe ich mich zur Ablenkung in meine Arbeit als Krankenpflegerin gestürzt. Doch Berry mit seinen langen schwarzen Locken ging mir nicht aus dem Kopf.


Berry: Einen gab keinen genauen Zeitpunkt, zu dem Caro und ich beschlossen haben, dass wir zusammen sind. Weil wir fast jeden Tag telefonierten, passierte das ganz natürlich. Wir wollten keine anderen mehr treffen. Vor Caro hatte ich noch nie eine ernste Beziehung gehabt. Das bedeutete für mich auch eine Umstellung: Bisher musste ich mich nur um mich selbst kümmern, doch in einer Partnerschaft muss man viel Rücksicht aufeinander nehmen. In unserem Fall heißt das sehr viel Planen, wann wir telefonieren, wann wir uns sehen können, wie wir den nächsten Flug finanzieren. Caro hat mir unglaublich viel beibringen können. Sie ist die erste Person, mit der ich über alles reden kann, über meine Träume, Ängste und Sorgen – etwa darüber, dass jemand in meiner Familie krank wird oder ich irgendwann keine Arbeit mehr haben werde. Dafür bin ich sehr dankbar.


Caro: Wir sind inzwischen seit vier Jahren zusammen. Durch die sechs Stunden Zeitverschiebung und meinen Schichtdienst war und ist es sehr schwierig, Kontakt zu halten. Vor allem am Anfang mussten wir uns erst aufeinander einstellen. Mir ist es wichtig, seine Stimme zu hören, wenn möglich, jeden Tag. Aber wenn es im Dorf mal wieder Stromausfall gibt, erreiche ich ihn manchmal tagelang nicht. Das ist für uns nicht einfach, vor allem wenn man etwas dringend besprechen oder planen möchte.


Berry: Ich schicke Caro täglich Whatsapp-Nachrichten, wünsche ihr einen guten Morgen und eine gute Nacht. Mir ist vor allem Ehrlichkeit wichtig. Ich vertraue Caro, sonst würde unsere Fernbeziehung nicht funktionieren. Es gibt ja keinen Weg, den Partner zu kontrollieren, und das sollte man auch nicht müssen. Manchmal verpasse ich Carolin, weil sie einen strengen Schichtdienst hat und oft Überstunden machen muss. In solchen Momenten wünsche ich mir, dass ich bei ihr in Deutschland wohnen würde. Allerdings bekomme ich keine Arbeitserlaubnis, solange wir nicht verheiratet sind. In den vergangenen Jahren haben wir uns dafür immer abwechselnd zwei- bis dreimal im Jahr besucht.


Caro: Berry ist in seinem Dorf der Junge für alles. Egal was anfällt, ob Hilfe im Haushalt oder bei der Arbeit, Berry greift jedem unter die Arme, ohne etwas zurückzuwollen. Wegen Corona kamen keine Touristen mehr nach Bukit Lawang. In der Hochsaison machte die Dschungel-Trekking-Firma, bei der er arbeitet, keinen Cent. Er hat die vergangenen Monate auf Reisfeldern gearbeitet und eine kleine Fischfarm mit seinen Freunden aufgemacht. Berry ist keiner, der sich in schwierigen Zeiten hängenlässt.

Im März 2020 hätte er eigentlich einen Job in einer Baufirma als Lagermitarbeiter in Luxemburg gehabt. Dann hätten wir endlich mal für eine Weile an einem Ort, hier bei mir in Deutschland, wohnen können. Wegen Corona hat das nicht geklappt, und wir konnten uns insgesamt neun Monate, also bis Anfang 2021, nicht sehen.


Berry: Als ich Caro zum ersten Mal in Deutschland besucht habe, war ich super aufgeregt. Ich bin davor noch nie wirklich verreist und zum ersten Mal eine Langstrecke geflogen. Am Anfang haben mich die ganzen Regeln in Deutschland erschlagen, vor allem im Verkehr. Bei uns fahren alle mit ihrem Motorrad nach Gefühl, man spricht sich auf der Straße mit Handzeichen ab und keiner ist sauer, wenn einer dem anderen die Vorfahrt klaut. Einmal hat Caro mich in den Supermarkt zum Einkaufen geschickt. Dort habe ich jeden gegrüßt und wurde von den Kunden komisch angeguckt. Carolin hat mich allen ihren Freunden vorgestellt, wir waren zusammen Karneval feiern und das Jahr darauf auf dem Wacken-Festival.


Caro: Meine Freunde und Familie haben eigentlich positiv darauf reagiert, als ich ihnen von Berry erzählt habe. Klar gab es ein paar skeptische Leute, die meinten: »Der will nur nach Deutschland, der wird dich ausnehmen, pass auf.« Aber nachdem sie Berry kennengelernt und uns zusammen gesehen hatten, änderten die meisten ihre Meinung. Oft sage ich: »Ich habe mir nicht ausgesucht, mich nach Indonesien zu verlieben.« Genauso wenig hatte Berry eine Wahl. Liebe passiert einfach.


Klar haben Berry und ich auch unsere Unterschiede. Allein unsere Erziehung, unsere Religion und Kultur sind komplett verschieden. Zur Begrüßung gibt man sich in Indonesien die Hand und führt sie dann zum Herzen. Eine sehr schöne Geste, die Berry mir beigebracht hat. Medikamente nimmt er nur im äußersten Notfall. In Bukit Lawang wird alles mit Dschungelmedizin behandelt, das heißt mit Kräutern und Massagen. Außerdem glauben er und seine Familie an Geister. Aber ich glaube, wir ergänzen uns gut. Meine Beziehung hat mir gezeigt, wie wichtig Offenheit ist. Berry ist Moslem, und ich bin Christin. Wir akzeptieren den Glauben des anderen.


Ich glaube, das liegt auch daran, dass Berrys und meine Familie sehr offen sind. Seine Eltern schreiben mir nie etwas vor, und ich habe bereits Ramadan und Eid Al-fitr mit ihnen feiern dürfen. Das war sehr schön. Aus Respekt bedecke ich trotzdem meine Schultern und meine Knie. Ich würde bei Berry zuhause nie bauchfrei herumlaufen.


Berry: Ich bin sehr gläubig aufgewachsen. Hier in Bukit Lawang spielt Religion noch eine große Rolle. Aber ich habe nie versucht, Carolin davon zu überzeugen, ihren Glauben für mich zu wechseln. Unsere verschiedenen Kulturen sehe ich nicht als Problem, sondern als Bereicherung. Wir lernen jeden Tag voneinander. Hin und wieder gibt es ein paar Sprachbarrieren zwischen uns. Wir sprechen beide auf Englisch miteinander, und uns fehlen manchmal die Worte, um das auszudrücken, was wir denken und fühlen. Das ist nicht dasselbe wie in der eigenen Sprache.


Wenn wir uns streiten, dann bin ich fast immer derjenige, der alles sofort klären möchte. Carolin braucht erstmal Zeit für sich. Das bringt mich manchmal zum Verzweifeln, vor allem wenn wir das nicht persönlich klären können, sondern per Handy miteinander sprechen müssen. Manchmal kann man Dinge nicht mit Worten klären, sondern möchte sich einfach nur in den Arm nehmen.


Caro: Es war vergangenes Jahr sehr schwierig, Berry zu mir nach Deutschland einzuladen, weil es die neuen Corona-Einreiseregelungen nicht erlaubt haben. Ich musste eine mehrseitige Einladung schreiben und schildern, wie »echt« unsere Beziehung ist. In den Antrag musste ich Bilder legen von meiner Familie, von seiner Familie, von ihm und mir gemeinsam in Bukit Lawang und in Deutschland. Für das dreimonatige Aufenthaltsvisum haben wir uns richtig nackt gemacht.


Berry: Ich kenne mich nicht aus mit Bürokram und mache das ungern. Als ich in der Botschaft interviewt wurde, war das sehr intim und persönlich. Ich musste beantworten, wie wir uns kennengelernt haben, was ich in Deutschland genau machen möchte, ob wir vorhaben zu heiraten. Aber ich wusste, dass ich da durchmuss, wenn ich Carolin sehen möchte. So konnten wir uns jetzt immerhin kurz vor Silvester besuchen.


Caro: Falls wir irgendwann mal Kinder haben sollten, fänden wir es schön, wenn sie die ersten Jahre in Indonesien aufwachsen. Dort ist die Lebensmentalität einfach viel lockerer. Aber auch wenn Berry und ich langfristig lieber in Bukit Lawang wohnen wollen würden – in Deutschland ist das Schulsystem einfach besser, und wir wissen beide, dass gute Bildung wichtig ist.


Berry: Für die Zukunft wünsche ich mir mit Caro eine kleine Familie. Wenn alles gut läuft und Corona es erlaubt, werde ich bald nochmal ein Arbeitsvisum beantragen und zu ihr nach Deutschland ziehen. Ich würde gern als KFZ-Mechatroniker arbeiten, weil ich darin Erfahrungen habe, oder als Landschaftsgärtner, um in der Natur zu sein. Wir haben schon so viel gemeinsam erlebt, von Caros Dengue-Fieber bis hin zu einer siebentägigen Wanderung durch den Dschungel von Sumatra, wo wir uns fast verlaufen hätten und einem Tiger begegnet sind. Und wir haben so viel Distanz zwischen uns gehabt, dass ich davon überzeugt bin, dass wir auch die Zukunft gemeinsam meistern werden. Ich möchte mit Carolin zusammenleben, egal wo auf der Welt.