Madeleine Londene

Freie Journalistin, Augsburg & Berlin

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Artikel

Landleiden: Suizide unter Bauern

Psychische Erkrankungen unter Bauern nehmen seit Jahren zu, trotzdem wird darüber meist geschwiegen. Welche verheerenden Folgen das haben kann, zeigt ein kleines Dorf in Niederösterreich.


Jeder neue Tag Arbeit ist besser als diese stillen Nächte, in denen sie daliegt und nicht mehr einschlafen kann. Am Morgen danach steht Hermine Wagner auf der Blumenwiese vor ihrem Hof, einen Schüttelhaken in der Hand. Getrockneter Dreck klebt an den Schuhkappen, das Licht der Mittagssonne fällt auf ihre Schultern. Sie ist Mitte 50, Bergbäuerin, wie schon ihre Mutter, Groß- mutter und Urgroßmutter. Ihr Gesicht hat die ver- witterte Bräune von Menschen, die viel an der Luft sind. Sie rüttelt an einem Pflaumenbaum, die Früchte purzeln in das kniehohe Gras. Wagner lächelt.

Solange sie etwas zu tun hat, ist diese Lautlosigkeit leichter zu ertragen. Solange sie weiter Pflaumen pflücken und daraus Chutney kochen kann. Früher versorgte sie Kälber, verpackte Fleisch und wusch die Traktoren. Nur zwei Schweine und ein paar Obstbäume sind ihr von dem Hof geblieben. Jetzt, nachdem die Kühe weg sind, die Maschinen verkauft und ihr Sohn die Landwirtschaft aufgibt. Jetzt, nachdem ihr Mann tot ist.

Vor einem Jahr beging Johann Wagner Suizid. Er ist nicht der einzige Bauer, der keinen anderen Aus- weg mehr wusste. Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber rund ein Dutzend sollen es in den vergangenen zehn Jahren allein in St. Peter in der Au gewesen sein, Wag- ners Heimatort, einer Gemeinde in Niederösterreich mit 5000 Einwohnern.

Doch soll man über diese Todesfälle überhaupt schreiben? Eine Untersuchung der New Yorker Co- lumbia University hat gezeigt, dass häufige, promi- nente und reißerische Berichterstattung über Suizide Jugendliche zur Nachahmung motiviert. Die ZEIT geht deshalb behutsam mit dem Thema um. Ver- schweigen möchten wir es aber nicht. Denn die hier beschriebenen Fälle sind keine Einzelschicksale. Schon seit Jahren weisen Landwirtschaftsvertreter und Gesundheitseinrichtungen darauf hin, dass psy- chische Probleme unter Bauern zunehmen. Immer häufiger leiden sie an Burn-out und Depressionen. Und trotzdem wird darüber meist noch geschwiegen.

Hermine Wagner heißt eigentlich anders, auch ihr Mann trug einen anderen Namen. Die Bäuerin will ano- nym bleiben, weil sie ihre Kinder schützen wolle, sagt sie. Ihr Bruder Ernst Halbmayr hingegen, selbst Biobauer in St. Peter, möchte auch mit seinem echten Namen über die Landwirte in seinem Dorf reden, die leise verschwin- den. Er will, dass sich endlich etwas ändert.

Ernst Halbmayr ist Mitbegründer des European Milk Board, eines Dachverbands, dem sich Landwirte aus 16 Ländern angeschlossen haben, um gemeinsam für einen fairen Milchpreis zu kämpfen. Halbmayr war viel unter- wegs, zuletzt in England, Deutschland und Frankreich. Überall sehe er das gleiche Problem: Bauern leiden. Sie sind verschuldet, überarbeitet, isoliert.

In Österreich gibt es rund 160.000 land- und forst- wirtschaftliche Betriebe, doch sie werden immer weniger. Etwa zwei Prozent der Bauern geben jährlich auf, weil sie von ihrem Hof nicht mehr leben können oder sich die harte Arbeit nicht mehr antun wollen (ZEIT Nr. 35/20). Landwirte sind heute von wenigen Großabneh- mern abhängig und von öffentlichen Subventionen, die oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens ausmachen (dazu mehr in dieser Ausgabe auf Seite 22). Um im globalen Wettbewerb mithalten zu können, versuchen es viele mit riskanten Investitionen, nehmen hohe Kre- dite auf, die sie später nicht mehr zurückzahlen können. Manche verzweifeln daran.


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