Das alte Dubai, in dem noch die kleinen Boote der Fischer und Perlentaucher am Strand festmachten, existiert nicht mehr. Innerhalb nur einer Generation hat sich das Emirat am Persisch-Arabischen Golf dank seiner reichen Erdölvorkommen und seiner weit reichenden Handelsverbindungen zu einer Überflussgesellschaft entwickelt. "In Sachen kulinarischer Kreativität ist hier allerdings immer noch Wüste", sagt Ingo Maaß, Küchenchef des JW Marriott Hotel Dubai. "Vor allem in der arabischen Küche bleibt alles beim Alten."
Dabei versammeln sich in diesem Emirat, das gerade mal halb so groß ist wie die Insel Kreta, alle Küchen dieser Welt. Essen gehen ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen, es gehört zum modernen Lebensstil. Hungrige Zeitgenossen kehren beim Iraner, Chinesen, Japaner, Thai, Süd-, Nord- oder Westinder ein, beim Franzosen oder Italiener. Wer es Arabisch mag, bevorzugt die marokkanische oder die libanesische Küche, die zu den besten der arabischen Welt zählen und internationales Renommee genießen.
Diese internationale Restaurantszene hat eine größere Geschmacksvielfalt in Dubai hervorgebracht. Doch eine arabische Haute Cuisine im Sinne einer Symbiose, neuer Kreationen oder neuer Präsentationen hatte sich daraus bislang nicht entwickelt. Zwar schritt man mit großen Schritten in die Moderne von Übermorgen, aber man bewahrte auch ein Stück Tradition. Dazu gehören die eigene Esstradition und die arabische Kochkunst im Allgemeinen.
Safransauce kitzelt den süßen Gaumen
Ingo Maaß und drei seiner Kollegen – ein Franzose und zwei Araber aus Syrien und Ägypten – haben sich nun aufgemacht, der arabischen Küche einen neuen Impuls zu geben und sie mit neuen Kreationen zu variieren: Zwei Europäer führen mit zwei Arabern feinste Zutaten und Geschmacksnoten des Nahen und Mittleren Ostens mit europäischer Kochkunst zu neuen kulinarischen Höhepunkten und verbinden damit zwei Genusswelten. Daraus entsteht die "New Arabian Cuisine".
Und eine kulinarische wie kulturelle Brücke zwischen Orient und Okzident. Die vier Spitzenköche wenden Lachsfilet in Zimt, das sie unter einer flambierten Orangencrème mit einer Fisch-Kardamom-Sauce servieren. Thunfischfilet wird mit Sesam und Segenkorn bestreut und auf Mangosalat gebettet. Lammrücken kommt auf Feigen-Carpaccio und Kaffeesauce, eine kandierte Pflaumen-Pastilla harmoniert mit einer Lavendel-Honig-Crème, und Safransauce kitzelt den süßen Gaumen.
Inspiration für solche Kreationen findet Ingo Maaß nicht nur im internationalen Flair Dubais, sondern auch in der Vielfalt der Gemüse- und Fischmärkte, über die der Küchenchef in jeder freien Minute schlendert. "Das ist das Schöne", sagt der 36-jährige begeistert. "Das Angebot ist üppig, aber es wechselt häufig. Auf dem Fischmarkt zum Beispiel entdecken wir Fische, die wir vorher noch nie gesehen haben." Dann kann es kompliziert werden. "Die Bezeichnungen der Fische wechseln ständig, manchmal von Händler zu Händler", berichtet Maaß. "Der Pakistaner nennt ihn so, der Inder so, der Araber wieder anders, und die englische Bezeichnung ist noch mal anders. Tja, dann kaufen wir den Fisch und probieren, was man daraus machen kann."
"Eine Explosion von Geschmäckern"
Kulinarische Neugier - das war schon immer die Triebfeder, die Ingo Maaß beflügelt und in die Welt getrieben hat. Sein Weg führte den gebürtigen Kieler bereits im Jahr 1989 nach Dubai. Damals war er zum ersten Mal in einem arabischen Land und sehr gespannt darauf, was ihn erwarten würde. Ganz besonders darauf, was er über die arabische Küche lernen sollte. Eine erste Herausforderung war die Ausrichtung eines Galadiners, für dessen Anlass ihn sein damaliger Chef beauftragte, eine kreative, moderne arabische Küche zu präsentieren. Es sollte der Anstoß zur "New Arabian Cuisine" sein, für die es damals noch keinen Namen gab.
"Als ich für dieses Diner recherchierte wurde mir klar, welchen Variantenreichtum und welche wunderbaren Geschmacksnoten die arabische Küche für uns bereit hält", erinnert sich Maaß. Etwas variiert und verändert präsentiert, hätte sie das Potenzial für eine eigene Haute Cuisine, die es mit jeder der Welt aufnehmen konnte: "Denn wenn man ein arabisches Gericht auf der Zunge zergehen lässt, ist es wie eine Explosion von Geschmäckern." Seit dieser Gourmetnacht wusste Ingo Maaß, dass er eine spannende und ausbaufähige Kombination nahöstlicher und europäischer Küchen gefunden hatte.
Die Idee war da. Aber zunächst wollte der gebürtige Kieler noch mehr kennen lernen. Weitere Stationen führten ihn unter anderem nach Bordeaux, Jakarta, Seoul und 1998 schließlich nach Algier - eine besondere Herausforderung für ihn. Zum ersten Mal war er in der Position des Küchenchefs und für den Aufbau des Sheraton Hotels mit mehreren Restaurants zuständig. Ein besonderes Ereignis war die Ausrichtung des Kongresses der Afrikanischen Union (OUA), bei dem mehrere Wochen lang 3500 Essen täglich für 48 Präsidenten und 92 Ministern samt Entourage serviert werden mussten. Auch Uno-Generalsekretär Kofi Annan, der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi ließen es sich bei Ingo Maaß schmecken.
Kochen aus Leidenschaft
Drei Jahre später erhielt Maaß erneut ein Angebot in Dubai. Und als er die Empfangshalle des JW Marriott Hotel betrat, wusste er: Er hatte ein neues Zuhause gefunden. Heute ist er Küchenchef über 120 Köche, die aus 20 Nationen kommen und täglich bis zu 3000 Zutaten verarbeiten. "Bei aller Liebe zur kulinarischen Vielfalt und zu stark gewürzten Speisen kommt es mir darauf an, die einzelnen Geschmacksnoten noch herausschmecken zu können", sagt Maaß.
Und noch etwas anderes hat er bei seinen vielen Auslandsaufenthalten gelernt: "Jede Küche ist einzigartig. Manche Kreationen dieser Welt sind eine Offenbarung für den Gaumen, andere auch für das Auge. Aber deswegen sind sie nicht besser oder schlechter. Es ist alles eine Frage des Geschmacks."
Diese Achtung vor den internationalen Küchen und seine perfektionistische Ader, gepaart mit Organisationstalent, sind die Gründe, warum Ingo Maaß im Jahr 2003 zum "Chef of the Year by Marriott International" gewählt wurde. Kochen ist für ihn kein Job, sondern eine Passion: "Es ist wie in der Musik: Aus mehreren Strophen und einem Refrain wird ein Lied komponiert. So arbeiten auch wir in der Küche. Und das macht großen Spaß." Die Kreationen der "New Arabian Cuisine" beweisen es – zum Beispiel das köstliche Lachsfilet.
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