Schon mal davon geträumt, dass die Mitarbeiter Ihrer Firma die Gehälter selber festlegen? Was nach Utopie klingt, ist in einem Hamburger Unternehmen Realität.
ZEIT ONLINE: Herr Wolf, heute ist Equal Pay Day, der auf die unfaire Bezahlung von Frauen aufmerksam machen soll. Sie haben die Idee einer gerechten Entlohnung ja auf die Spitze getrieben, viele andere Firmenchefs würden sie wohl für verrückt erklären. Was machen Sie?
Henning Wolf: Ich finde, der Wahnsinn hält sich in Grenzen. Aber es stimmt, wir sind besonders: Die Gehälter sind transparent; jeder weiß, was die anderen verdienen. Und viel entscheidender ist noch: Die Mitarbeiter bestimmen ihre Löhne selber. Das bedeutet: Die Kollegen legen auch mein Geschäftsführergehalt fest. Wobei mir gerade einfällt: Ich hatte schon länger keine Lohnerhöhung mehr.(lacht)
ZEIT ONLINE: Wenn Sie mehr Gehalt bekommen möchten, was müssen Sie dann tun?
Wolf: Meine Kollegen und ich müssen uns an die sogenannten Gehaltschecker wenden. Das ist ein Gremium von vier Mitarbeitern, das einmal im Jahr gewählt wird und alle sechs Monate über Gehaltsforderungen entscheidet.
ZEIT ONLINE: Wieso ist dieses Modell fairer als das traditionelle?
Wolf: Weil dann nicht mehr ein Einzelner die Gehälter festlegt, bei dem sich jemand einschleimen könnte. In den ersten Jahren habe ich noch über die Löhne entschieden - aber es wurde immer schwerer, dass fair und gerecht zu machen. Es sind mehr Mitarbeiter dazugekommen, sodass ich als Geschäftsführer nicht mehr ständig mit allen zu tun habe. Ich kann also gar nicht richtig einschätzen, welchen Lohn ein Angestellter verdient hätte. Wir sind also zu dem Schluss gekommen, dass man nur in der Gemeinschaft fair und gerecht sein kann. Darunter verstehen wir: Die Mitarbeiter erhalten einen Lohn, der ihrer Kompetenz entspricht, die wiederum von den Kollegen als solche eingeschätzt wird. Dazu gehört auch, dass wir die Gehälter offenlegen; Fairness ohne Transparenz ist nicht möglich. Zudem sollten auch Gehaltssteigerungen nach Kassenlage aufhören. Wir wollten es nicht davon abhängig machen, ob sich die Firma überhaupt eine Lohnsteigerung leisten kann.
ZEIT ONLINE: Das widerspricht erst mal jeder betriebswirtschaftlichen Intuition: Geld auszugeben, das man noch gar nicht verdient hat.
Wolf: Wir argumentieren: Wenn sich jemand weiterentwickelt hat, hat er auch ein höheres Gehalt verdient - und als Firma müssen wir uns dann überlegen, wie wir das künftig wieder reinholen können. Bisher hat das immer funktioniert. Dabei haben wir als kleineres Dienstleistungsunternehmen natürlich den Vorteil, dass wir flexibel reagieren können. In einem Industriekonzern ist das vermutlich schwieriger, weil man nicht mal eben so neue Aufträge generieren kann.
ZEIT ONLINE: Dennoch hängt in Ihrem Modell die Entscheidung über ein höheres Gehalt ja immer noch von anderen ab, statt vom Chef eben von anderen Mitarbeiter. Lösen Sie damit wirklich das Problem, dass Selbstdarsteller in der Regel höhere Löhne beziehen, während die Schüchternen übersehen werden?
Wolf: Ja, weil wir die Blender auf den Pott setzen; unsere Gehaltschecker prüfen die Forderungen sehr genau: Wie hat sich jemand weiterentwickelt? Wie kam der Kollege beim Kunden an? Hat er in Fachzeitschriften publiziert? Das sind einige Parameter, an denen wir das ermitteln. Zudem gibt es noch einen weiteren Kontrollmechanismus: Mitarbeiter, die eine Gehaltserhöhung fordern, müssen Kollegen fragen, ob sie ihr Anliegen für gerechtfertigt halten. Ihre Antworten fließen auch in die Entscheidung der Gehaltschecker ein.
ZEIT ONLINE: Wer aber schüchtern ist, bekommt deshalb nicht automatisch mehr Geld.
Wolf:Kein System ist perfekt: Natürlich hilft es, wenn sich jemand gut darstellen kann. Aber bei uns ist es so, dass wir immer wieder unsere Beschäftigten bitten, sämtliche Kollegen zu bewerten. Dabei kommt ab und zu heraus, dass die Mitarbeiter glaubten, dass ein Kollege mehr Geld verdient hätte - obwohl er das selbst nicht gefordert hatte. Die Schüchternen kommen also auch zu ihrem Recht, es dauert nur etwas länger.