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"Aber wo kommst du wirklich her?": Über das Schwarzsein in Österreich

"Woher kommst du ursprünglich?", "Darf ich mal deine Haare angreifen?" oder "Du sprichst aber gut Deutsch!": Sätze, die wohl fast jeder Schwarze Mensch, der in Österreich lebt, so oder so ähnlich schon mal gehört hat. Meist nicht böse gemeint, vermitteln Sätze wie diese jedoch unterschwellig: "Du bist anders", "Du bist nicht wie wir", "Du entsprichst nicht der Norm".


Als Schwarze Person in einem mehrheitlich weißen Land aufzuwachsen, heißt, ständig mit dieser Andersartigkeit konfrontiert zu sein – das ist oft nicht leicht. Was da hilft? "Sich mit anderen vernetzen, denen es genauso geht", rät Esther Kürmayr, Sozialarbeiterin und Obfrau der Schwarzen Frauen Community in Wien. Gemeinsam mit einigen anderen Schwarzen Frauen gründete sie 2003 den Verein, um einen Ort zu schaffen, an dem Schwarze Frauen, Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Einen Ort, frei von Stigmatisierungen, Vorurteilen und Rassismus.

 

Erklärung zu den verwendeten Begrifflichkeiten in diesem Text:

Der Ausdruck Schwarz beschreibt keine messbare Hautpigmentierung, sondern ist ein Sammelbegriff für Personen, die wegen ethnischer Zuschreibungen Rassismuserfahrungen gemacht haben.

Ebenso wenig ist weiß nicht auf die Hautfarbe im biologischen Sinn bezogen. Wer als weiß gilt, ist also nicht von der Pigmentierung der Haut, sondern vom Kontext abhängig. Der Begriff meint alle Personen, die aufgrund des Aussehens eher keine Erfahrung mit Rassismus machen.

 

WIENERIN: Inwiefern unterstützt dieSchwarze Frauen Community Schwarze Menschen im Alltag?


Esther Kürmayr: Bei allen Aktivitäten und Workshops, die wir anbieten, geht es immer um die Stärkung der Menschen in ihrer Minderheitenposition in Österreich. Auf allen verschiedenen Ebenen. Es ist ganz unterschiedlich, was die Menschen brauchen, die zu uns kommen.

Was könnte das sein?


Im Grunde alles, was es an sozialen Schwierigkeiten geben kann – Wohnung, Arbeit, Aufenthalt, Gesundheit, Gewalterfahrungen, die gesamte Palette an Frauenthemen. Ein Thema sind etwa Interventionen im Bildungssystem aufgrund von Diskriminierungserfahrungen. Sehr häufig sind die Betroffenen von Vorfällen emotional sehr belastet und brauchen Unterstützung dabei, überhaupt dagegen aufzutreten.

Dann natürlich alles rund um die Erziehungsberatung: Wir organisieren zum Beispiel regelmäßig eine Veranstaltung zum Umgang mit Stress in der Erziehung und zeigen, wie man sich selbst entlasten kann, um sich nicht über die Kinder Entlastung zu verschaffen. Wir haben seit heuer auch die Möglichkeit, psychologische Beratung zum Teil finanziert zu bekommen – das ist auch ein wichtiges Angebot, das gerade von Jugendlichen stark genutzt wird, weil es da einen sehr hohen Leidensdruck gibt.


Welche Probleme stehen da im Vordergrund?


Bei Jugendlichen ist ein großes Thema, ihr Platz in einer Gesellschaft, in der sie als fremd definiert werden, obwohl sie von hier sind – das macht natürlich was mit jungen Menschen. Das macht mit allen Menschen was, aber in einer Phase, in der die Selbstfindung ganz zentral ist, ist dieses 'Von-außen-als-fremd-definiert-Werden' als Alltagssituation umso schmerzlicher.

Permanent gefragt zu werden, "Wo kommst du denn wirklich her?" Oder wenn Leute in Zusammenhängen, wo man sich mehr Reflexion erwarten würde, es nicht als unpassend empfinden, die Haare anzugreifen. Verhaltensweisen, die unbewusst ausdrücken: Du bist fremd. Das sind multiple Mikroaggressionen, mit denen die jungen Menschen im Alltag auskommen müssen. Dazu kommt alles, was man halt als Jugendliche*r sonst so an Lasten mit sich trägt.

Für einige ist es ganz wichtig, dass sie mit einem*r Schwarzen Therapeut*in oder Psycholog*in über diese speziellen Themen sprechen. Diese Kosten müssen wir dann intern decken und können daher bei den Frauen oft nur die akutesten Fälle selbst betreuen, wo es etwa um Traumata aufgrund eigener Gewalterfahrungen in der Ehe geht, Gewalt an den Kindern, dann auch oftmals noch institutionelle Gewalt, die dazu kommt. Das sind oftmals die Dinge, die gemeinsam zu einem unglaublichen psychischen Belastungspaket zusammenwachsen.


 

Was macht es mit einem, wenn man als Schwarzes Kind in einer weißen Umgebung aufwächst? Wie unterstützt ihr diese Kinder bzw. Familien?


Unsere Haupttätigkeit ist es, Kindern zusätzlich zu der Realität, die sie außen erleben, einen Rahmen zu bieten, indem sie sich auch als Mehrheit erfahren und aufatmen können, denn eine Mehrheitserfahrung ist immer eine Erfahrung von Sicherheit. In diesem Ambiente bieten wir ihnen dann die spezielle Möglichkeit, sich mit ihren Erfahrungen außen auf ganz unterschiedliche Art und Weise auseinanderzusetzen.

Zum einen haben wir Mädchen- und Bubengruppen, in denen viele Diskussionen über Erfahrungen stattfinden und gemeinsam Lösungsstrategien gesucht werden. Dann gibt es aber auch viel Möglichkeit, Dinge aufzuarbeiten – anhand von Literatur, Theaterarbeit, interaktivem Spiel oder Ausflügen: All das kann auf verschiedene Weise dabei helfen, einen Platz in dir selbst zu finden, an dem du zuhause bist.


Welche Fragen stellen Eltern, die selbst nicht Schwarz sind?


Die schwierigste Situation für Eltern Schwarzer Kinder, die nicht selbst diese Diskriminierungserfahrung machen oder gemacht haben, ist mit alldem umzugehen, was ihrem Kind da so wiederfährt – was eine Wucht an Gewalt ist, mit der sie erst mal nicht rechnen und mit der alleine umzugehen, oftmals sehr schwierig ist. Gerade diese Unbeholfenheit belastet auch die Erwachsenen oft sehr. Das heißt, die Eltern brauchen in dem Fall Unterstützung, um adäquat zu reagieren.


Wie kann man lernen, Vorurteilen oder Rassismus im Alltag zu begegnen?


Natürlich gibt es da nicht einen Satz, der immer hilft. Vielmehr ist es ein Prozess der Stärkung und des Miteinander-Austauschens: Was hat sich eher bewährt als etwas anderes? Was fühlt sich wie gut an? Was passt auch für mich als die, die ich bin?

In der Mehrheitsbevölkerung gibt es immer mehr Menschen, die zu einem 'Wir' erwachen und merken: 'Wir alle sind Österreicherinnen und Österreicher'.


Die Schwarze Frauen Community gibt es ja bereits seit 2003. Wie hat sich die Situation für Schwarze Menschen in Wien beziehungsweise Österreich in den letzten Jahren verändert?


Ich finde, es gibt ein breiteres Angebot, es gibt nicht nur uns sondern etwa auch das Fresh Magazine und ganz unterschiedliche Bereiche in der Gesellschaft, die in die ähnliche Kerbe schlagen und bewusstseinsbildend wirken. Es gibt Titelblätter, auf denen Schwarze Frauen zu sehen sind und es gibt Artikel, die schon von einem weiteren Geist zeigen und ich wünsche mir mehr! Mehr Geist von Gemeinsamkeit.

Das Gefühl des Alleinseins mit dieser Diskriminierungssituation, wie ich das als Jugendliche und auch als Erwachsene erfahren habe, war ausschlaggebend für die Gründung der SFC. Es hat bis dato keine überkonfessionellen, übernationalen und überparteilichen Zusammenschlüsse von Schwarzen Frauen gegeben. Von daher hat eben auch keine Stärkung stattgefunden. Jetzt gibt es da zum Glück schon einiges.


Welche Entwicklungen hast du in unserer Gesellschaft wahrgenommen?


In der Mehrheitsbevölkerung gibt es immer mehr Menschen, die zu einem "Wir" erwachen und merken: "Wir alle sind Österreicherinnen und Österreicher" – ich freue mich, dass dieses Erwachen stattfindet. Es ist eine größere Gruppe von weißen Menschen, die sich dessen bewusst wird, dass es auch von ihnen etwas braucht: eine inkludierende Haltung in ihrem täglichen Tun, und zwar auf allen Ebenen ihres Agierens. Eine Haltung, die ein "Wir" in Österreich größer denkt, als das, wie sie selbst aussehen oder die Religion, die sie selbst haben. Aber klar, es gibt noch sehr viel Luft nach oben. In der Politik, in den Medien, in Institutionen, in öffentlichen wie auch privaten Sektoren – da gibt es überall noch was zu tun.

 

Wie kann die Politik zu einem inklusiveren Miteinander beitragen?


Die Politik kann im Sinne von Haltungen natürlich viel vorantreiben, indem sie sie selbst lebt. Inkludierende Haltungen spiegeln sich auch in der Personallandschaft oder im Umgang mit entsprechenden Themen wieder – da braucht man sich gar nicht so viel auf die Fahnen zu schreiben, sondern erkennt auch so, ob es gemacht wird oder nicht. Indem, wie man etwas sagt und wer es sagt. Die Politik kann dazu beitragen, Österreich als Gesellschaft mit multiethnischen Hintergründen zu etablieren, die es ja im Grunde immer schon war, nur ist das die längste Zeit auf die ehemaligen Länder der Monarchie beschränkt gewesen. Es ist halt auch nicht mehr zeitgemäß, Österreich ausschließlich in dieser Weise als divers zu respektieren und alles andere als fremd einzustufen.

 

Was würdest du Schwarzen Menschen, die sich in ihrer Minderheitenposition allein fühlen, mitgeben?


Dass sie sich zusammenfinden sollen, denn es braucht Gemeinsamkeit im Empowerment. Ich kann ihnen nur wärmstens ans Herz legen, miteinander eine stärkende Kraft zu entwickeln, die sie dann in der Mehrheitsgesellschaft einbringen können und nicht mehr zu glauben, sie müssen alles allein schaffen. Rassismus ist ein Konstrukt, das konzipiert wurde, um den Einzelnen auszuhebeln. Dem allein zu begegnen, ist in der Regel eine Überforderung und nicht zu schaffen.

 

Über die Schwarze Frauen Community:

'Die SFC ist eine Initiative von schwarzen Frauen* unterschiedlichster Herkunft und Nationalität, die gemeinsam Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Selbstorganisation schwarzer Frauen, Kinder- und Jugendlicher fördern und unterstützen. ​​

Zu den Aktivitäten zählen neben der sozialen Beratung: Frauencafés, Vorträge zur Elternbildung, Frauen-, Kinder- und Jugendprojekte, monatliche Familientage, Sensibilisierungsworkshops und Vieles mehr. Die Unterstützung im Umgang mit Rassismus, Sexismus und anderen Diskriminierungsformen ist Bestandteil all unserer Aktivitäten.' (schwarzefrauencommunity.at)

Die SFC ist ein spendenbegünstigter Verein. Alle Infos zu Unterstützungsmöglichkeiten, gibt es hier.

 

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