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Eine rettende Idee: Food saver gegen die Wegwerfgesellschaft

Der foodsaver-"Fair-Teiler"

82 Kilo Lebens­mit­tel wirft jede*r Deut­sche jähr­lich durch­schnitt­lich weg, rund elf Mil­li­ar­den Ton­nen Ess­ba­res lan­den Jahr für Jahr auf unse­ren Müll­hal­den, Spei­sen im Wert von bis zu 22 Mil­li­ar­den Euro. Das trau­rige Ende genieß­ba­rer Nah­rungs­mit­tel scho­ckiert umso mehr, wenn man bedenkt, dass nicht wenige Pro­dukte schon um die halbe Welt gereist sind, bevor sie in den Rega­len unse­rer Super­märkte und Dis­coun­ter, auf unse­ren Tel­lern und schließ­lich in der Tonne landen.

Oft geschieht es unbe­dacht. Wir kau­fen zu viel ein, kochen in zu gro­ßen Men­gen, ver­ges­sen die Reste im Kühl­schrank, sie wer­den schlecht und durch neue Lebens­mit­tel ersetzt. Vie­les wird jedoch auch von den Super­märk­ten selbst weg­ge­wor­fen, meist völ­lig unnö­tig: Der Apfel hat eine Delle, der Salat ein wel­kes Blatt, die Banane fängt gerade an, die rich­tige Kon­sis­tenz zu ent­wi­ckeln - schon gel­ten diese Lebens­mit­tel als nicht mehr genieß­bar oder zumin­dest nicht mehr ver­käuf­lich. Und was sich nicht ver­kau­fen lässt, wird weggeworfen.

Die­ser Ein­stel­lung unse­rer heu­ti­gen kon­sum­do­mi­nier­ten Gesell­schaft stel­len sich die selbst­er­nann­ten „food saver" ent­ge­gen - die Lebensmittelretter*innen. Dazu gehö­ren in Frei­burg auch Lorenz (25, Stu­dent) und Eliana (22, Stu­den­tin). Sie kön­nen nicht ver­ste­hen, warum noch genieß­ba­res Essen, ihrer Ansicht nach, auf­grund sinn­freier Vor­schrif­ten in den Müll wan­dert. „Das macht mich ein­fach so wütend", sagt Lorenz. Den kom­mer­zi­el­len Han­del mit lebens­not­wen­di­ger Nah­rung leh­nen die bei­den ab und gehen des­we­gen schon lange con­tai­nern, holen also von Super­märk­ten weg­ge­wor­fene Lebens­mit­tel nach Laden­schluss wie­der aus den Müll­ton­nen. Das Pro­blem daran ist, dass Con­tai­ne­rer in Deutsch­land kri­mi­na­li­siert wer­den, sie immer nur nachts unter­wegs sein kön­nen, viele Märkte und Dis­coun­ter ihren Müll inzwi­schen gar absper­ren oder die Ton­nen mit Schlös­ser ver­se­hen und man den Miss­stand des unver­ant­wort­li­chen Umgangs mit Lebens­mit­teln kei­ner brei­ten Öffent­lich­keit näher brin­gen kann. Genau diese Mög­lich­keit bie­tet die Orga­ni­sa­tion der food saver, die 2013 in vie­len deut­schen Städ­ten ent­stand, im Novem­ber des­sel­ben Jah­res auch in Frei­burg. Dabei han­delt es sich um eine Koope­ra­tion zwi­schen Ein­rich­tun­gen, die regel­mä­ßig viele Lebens­mit­tel weg­wer­fen (müs­sen) und Men­schen, die eben jenes Essen mit­neh­men, bevor es im Con­tai­ner lan­det - und zwar völ­lig legal.

Alle food saver sind über eine Online-Plattform regis­triert, erhal­ten einen Aus­weis, mit dem sie zu abge­spro­che­nen Zei­ten bei koope­rie­ren­den Unter­neh­men auf­tau­chen und alle Lebens­mit­tel, die die Ange­stell­ten ent­sor­gen müs­sen, mit­neh­men dür­fen. „Viele Läden freuen sich über die Zusam­men­ar­beit, weil sie ihr Essen eigent­lich selbst nicht weg­schmei­ßen wol­len", sagt Lorenz. Und gerade bei klei­ne­ren Betrie­ben, wie Tank­stel­len, Imbiss­bu­den oder Kan­ti­nen, lohne sich zum Bei­spiel für die Tafel keine Kooperation.

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Die Zusam­men­ar­beit orga­ni­siert sich selbst, jede*r food saver*in kann ver­su­chen, neue Koope­ra­tio­nen zu gewin­nen, aber Unter­neh­men kön­nen sich natür­lich auch selbst mel­den, wenn sie Inter­es­sen haben. So gebe es aller­dings auch einige Super­märkte, die die food saver nur auf­grund des Image­ge­winns unter­stüt­zen. „Die große Nach­hal­tig­keits­lüge", nennt Lorenz das. Er ist seit dem zwei­ten Tref­fen der Frei­bur­ger food saver dabei, wie auch mitt­ler­weile fast seine gesamte WG, an deren öffent­lich zugäng­li­cher Kel­ler­treppe sich inzwi­schen einer der vier „Fair­teil­punkte" Frei­burgs befin­det, zu denen die food saver ihre geret­te­ten Lebens­mit­tel brin­gen, damit sie von ande­ren abge­holt wer­den kön­nen. In einer gro­ßen Kiste sta­peln sich Obst und Gemüse, oft auch ver­packte Waren wie Mar­ga­rine oder Fleisch, sel­te­ner Milch­pro­dukte. Nichts davon ist ver­dor­ben, alles sieht noch genieß­bar aus. „Das Min­dest­halt­bar­keits­da­tum vie­ler Lebens­mit­tel ist doch frei erfun­den!", fin­det Lorenz. „Wir set­zen auf die Eigen­ver­ant­wort­lich­keit der Menschen."

„Jeder sollte selbst ent­schei­den, was für ihn noch ess­bar ist. Dann sagt einem viel­leicht der gesunde Men­schen­ver­stand, dass man die faule Stelle an einem Apfel auch ein­fach weg­schnei­den kann, anstatt die ganze Packung in den Müll zu wer­fen." Die Dis­kus­sion dar­über, dass Pro­dukte wie Nudeln oder Salz nicht „ver­fal­len" kön­nen, die momen­tan auf euro­päi­scher Ebene geführt wird, begrüßt er ebenfalls.

Das Sys­tem der food saver basiert auf Eigen­in­itia­tive. Jede*r kann an den Fair­teil­punk­ten Essen abstel­len, das er*sie geret­tet hat und/oder daheim nicht mehr ver­wer­ten kann und darf jeder­zeit mit­neh­men, was und so viel er*sie möchte. „Wir sind offen für alle Leute", erklärt Lorenz. „Bei uns muss man nicht nach­wei­sen, dass man bedürf­tig ist. Man muss auch nicht offi­zi­ell regis­triert sein, um mit ande­ren Lebens­mit­tel zu tei­len." Die Ver­schif­fung von Lebens­mit­teln über meh­rere Kon­ti­nente, Gen­tech­nik und Mis­stände in der Tier­hal­tung - all dies hängt mit den gewach­se­nen Ansprü­chen unse­rer Gesell­schaft zusam­men: Exo­ti­sche Früchte im Schwarz­wald, Erd­bee­ren im Win­ter, jeden Tag Fleisch und alles natür­lich in makel­lo­ser Optik und unver­sehr­ter Verpackung.

Lorenz und Eliana betei­li­gen sich auch an der Gar­ten­Coop, die Lebens­mit­tel ohne Gen­tech­nik anbaut und leben vegan bezie­hungs­weise „free­gan". So nen­nen sich con­tai­nernde oder food savende „Ein­kaufs­ve­ga­ner", die Tier­pro­dukte essen, so lange sie deren Her­stel­lung nicht finan­zi­ell unter­stützt haben. In Frei­burg gibt es inzwi­schen über 300 food saver, zum Groß­teil Stu­die­rende, von denen die meis­ten mit der Katho­li­schen Hoch­schule oder der G19 (besetz­tes Haus in der Gar­ten­straße 19) in Ver­bin­dung ste­hen, aber auch sehr enga­gierte Rentner*innen. Dass gerade viele ältere Men­schen über das Online-System der food saver aller­dings nicht erreicht wer­den, hal­ten Lorenz und Eliana für einen Nach­teil der Platt­form. Für die Zukunft pla­nen die food saver, in Frei­burg auch öffent­li­che Kühl­schränke auf­zu­stel­len und die Auf­merk­sam­keit für das Weg­werf­ver­hal­ten der Super­märkte zu erhö­hen, indem sie zum Bei­spiel geret­tete Lebens­mit­tel in der Innen­stadt verteilen.

„Die Leute sol­len nicht den­ken, dass das nur wir Stu­die­ren­den machen, weil wir kos­ten­lo­ses Essen wol­len, son­dern sie sol­len sich wirk­lich Gedan­ken dar­über machen, was heut­zu­tage alles weg­ge­schmis­sen wird", sagt Eliana.

Wei­tere Infos über food saving gibt es hier! Außer­dem eine Radio­dis­kus­sion über alter­na­tive Nah­rungs­su­che in Frei­burg hier!

Louisa The­resa Braun

*Bild: http://www.1zoom.me/de/wallpaper/324044/z4583.8/

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