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"Heimat braucht nicht viele Quadratmeter"

Van Bo Le-Mentzel entwirft jetzt kleine Häuser, die jeder nachbauen kann. ZEIT WISSEN sprach mit ihm über seine neueste Idee.

Eigentlich ist alles da, was ein Haus braucht: Wände, ein Dach, eine Tür, Fenster. Nur eines nicht: Platz. Es sind winzige Häuser, die der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel entwirft. »Tiny Houses«, die jeder selbst für wenig Geld zusammenzimmern können soll, die Pläne gibt es gratis auf seiner Website. Dort zeigt sich auch: Le-Mentzel sprüht vor Ideen, er hat bereits fair gehandelte Schuhe entworfen und Möbel, die jeder nachbauen kann. Vor einem Jahr hat er dafür den ZEIT Wissen-Preis »Mut zur Nachhaltigkeit« erhalten. Die Idee zu den Tiny Houses stammt aus den Vereinigten Staaten. Van Bo Le-Mentzel hat sie aufgegriffen, eigene winzige Häuser entworfen und die Tinyhouse University in Kreuzberg gegründet.

Für das kleinste – das One Squaremeter House – braucht man nur 200 Schrauben, ein paar Meter Holzbalken, Acrylglas für das Fenster, eine Tür und »einen Tag Lebenszeit für den Bau«.

Dass das fertige Haus auf vier Rädern steht, gehört zu Le-Mentzels Konzept. Denn ein Tiny House kann zwar zwei Stockwerke haben oder eines, eine Solaranlage oder keine – eines haben die Minihäuser gemeinsam: Man kann sie überallhin mitnehmen. Ein Wald soll zum Wohnzimmer werden können, ein Park zum Garten, ein Stück Erde zur Heimat. Ein Zuhause muss nicht statisch sein, Heimat kein Ort, keine Angabe im Pass, kein Land, mit dem man sich identifiziert – für Van Bo Le-Mentzel ist Heimat ein Gefühl. »Heimat ist da, wo Liebe ist. Und Liebe braucht nicht viele Quadratmeter«, sagt er. Und die braucht kein festes Fundament, kein Grundstück, keine Miete, keine Meldepflicht.

So zumindest der Plan. Aber auch ein kleines Haus kann groß genug sein für jede Menge Ärger. Denn das deutsche Gesetz sieht es anders als Le-Mentzel. Es sagt: Steht ein Tiny House auf Rädern, dann unterliegt es der Straßenverkehrsordnung. Es darf nur dort abgestellt werden, wo auch ein Auto stehen darf. Auf Campingplätzen etwa oder auf privaten Grundstücken. Wohnen darf man darin nur, wenn dieser Wohnsitz im Einwohnermeldeamt angemeldet ist. Dazu braucht es eine Adresse. Wer eine Scheinadresse anlegt, macht sich strafbar. Egal wie klein das Haus ist.

Tiny Houses sind eine fragwürdige Idee. Sie fragen: Wie viel brauche ich, um glücklich zu sein? Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes dazu: Eine durchschnittliche Wohnung ist 91,9 Quadratmeter groß, zwei Personen leben darin. Das sind fast 46 Quadratmeter pro Person. Ist das genug? »Ende der 1990er Jahre kam eine Person in Deutschland mit 34 Quadratmetern aus, in den Sechzigern mit 20«, sagt Eva Reinhold-Postina, Sprecherin des Verbands Privater Bauherren, »vermutlich werden wir auch weiterhin immer größere Wohnungen bauen, solange wir es uns leisten können.« Van Bo Le-Mentzel befürchtet, dass der Anspruch immer höher werden könnte. »Es gibt sieben Milliarden Menschen, 2050 könnten es zehn Milliarden sein«, sagt er, »wenn dann jeder Mensch 100 Quadratmeter für sich haben will, müssen wir uns fragen, wer auf den Mars darf und wer nicht.« Der Platz wird knapp für große Wohnungen. Für kleine gäbe es Raum genug. Eigentlich also sind die Tiny Houses eine gute Idee. Nur: Sie gefällt nicht allen. Besonders nicht jenen, die mit Immobilien ihr Geld verdienen. Für das One Squaremeter House bekam Le-Mentzel Drohungen. »Hängt den Chinesen in seiner Ein-Quadratmeter-Kiste«, hieß es im Internet.

Van Bo Le-Mentzel ist kein Chinese. Seine Eltern sind vor 40 Jahren von Laos nach Deutschland geflohen, sie wollten sich hier ein besseres Leben aufbauen. Der 39-Jährige weiß, was es heißt, in einem fremden Land anzukommen. Jahrelang hatte er das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen – das versucht er nun mit seinen Ideen. Im vergangenen Jahr hat er mit Flüchtlingen, die vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales unter schlimmsten Bedingungen auf ihre Registrierung warteten, ein Häuschen gebaut. Das »Hotel Lageso« war groß genug für eine Matratze. Ein Beamter vom Ordnungsamt hat das Haus damals beschlagnahmt. »Ich wollte nur helfen«, sagt Van Bo Le-Mentzel fast ein Jahr danach.

Das will er auch mit seiner neuesten Idee: der 100-Euro-Wohnung. Sie ist zwei Meter breit, 3,2 Meter lang und 3,75 Meter hoch, für 100 Euro warm. Im August hat er sie in Kolumbien und Brasilien vorgestellt. »Apartemento de 300 000 Pesos« heißt sie dort oder »Apartemento de 400 Reais«. Auch in Deutschland könnte die Wohnung Menschen eine Unterkunft bieten, die kaum Geld haben – »schließlich braucht es hier jedes Jahr etwa 400 000 neue Wohnungen«, sagt Le-Mentzel. Noch ist er auf der Suche nach Projektentwicklern und Grundstückseigentümern, die mit ihm die Wohnungen bauen. Bis jetzt gibt es nur Skizzen. Ein Bad ist darauf zu sehen, eine Wand, die es von Küche und Bett trennt, eine Leiter, die in die zweite Etage führt. Alles, was ein Haus braucht. Was brauchen wir mehr?

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