Yoga trainiert Flexibilität, Kraft und Ausdauer. Es fördert das Herz-Kreislauf-System ebenso wie die Gesamtkoordination. Yoga ist Sport und doch kaum mit den meisten anderen Sportarten zu vergleichen – denn einen Wettbewerbsgedanken gibt es nicht. „Im Yoga ist es nicht wichtig, was man kann“, sagt Holger Böhm. Böhm betreibt ein kleines Studio am Wall und unterrichtet dort unter anderem die Richtungen Yin und Hatha Yoga. In gemischten Gruppen – und in Kursen speziell für Männer. In seinem Ursprung war Yoga Männersache, doch in der westlichen Welt wurde die altindische Praxis zum Frauensport deklariert (siehe Begleittext). Für viele Herren Grund genug, sich nicht auf die Matte zu trauen. Mit seinem Angebot möchte Böhm das ändern.
Angefangen hat alles mit seiner eigenen Yoga-Erfahrung, die 2006 beginnt. Zusammen mit seiner Freundin besucht Böhm einen Kurs, an dem überwiegend Frauen teilnehmen. „In den Asanas, den Körperstellungen, kam ich mir regelrecht schlecht vor.“ Böhm fühlt sich steif und unbeweglich, besonders im Vergleich zu den Teilnehmerinnen um ihn herum. „Ich war zwar in vielen Sportrichtungen engagiert, aber nicht mehr so dynamisch.“ Um einigermaßen mithalten zu können, strengt er sich so sehr an, dass ihm anschließend alles wehtut. „Ich bin sehr leistungsorientiert. Es ist mir schwergefallen, das abzulegen.“ Böhm gibt dennoch nicht auf. Es motiviert ihn, dass der Kurslehrer ein Mann ist, außerdem merkt er, dass seine Migräne verschwindet. „Ich habe mir viel autodidaktisch beigebracht.“ Zu Hause vor dem Fernseher mit einer DVD.
"Da hat es zum ersten Mal klick gemacht."Als sich Böhm zum Yoga-Lehrer ausbilden lässt, wird ihm deutlich, welche Gründe es für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Yoga gibt: Sie haben nicht dieselben Anteile an Muskelmasse und Bindegewebe und damit unterschiedliche Voraussetzungen, wenn sie auf die Matte treten. „Das war ein erhellender Moment“, sagt der 60-Jährige. „Da hat es das erste Mal klick gemacht.“ Natürlich treffe das nicht auf alle zu, doch im Schnitt hätten Männer 38 Prozent Muskelmasse sowie mehr Eiweiß im Bindegewebe, während Frauen 31 Prozent haben. Diese Unterschiede zeigen sich dann in den Körperhaltungen. Während so manch ein männlicher Teilnehmer Probleme hat, in der Kriegerposition die Arme weit zu öffnen, brauchen Frauen zum Beispiel meist ein bis zwei Jahre Übung, um in der Krähe zu stehen, weil ihre Schultern schwächer sind (siehe Foto). „Viele Männer können das bereits in der ersten Stunde“, berichtet Böhm von seinen Erfahrungen.
Böhm beachtet in seinen Kursen die unterschiedlichen körperlichen Gegebenheiten der Teilnehmenden. Letztlich gehe es aber vor allem um ihre mentalen Voraussetzungen. „Männer wurden und werden anders erzogen“, sagt Böhm. Vor allem leistungsorientiert. Im Yoga gehe es darum, dass die Teilnehmenden nur so weit in eine Position gehen, wie es der eigene Körper zulässt – egal, was auf den anderen Matten passiert. Für Konkurrenzkämpfe gibt es keinen Platz. Ihr Selbstwert definiert sich nicht darüber, wie weit sie sich nach vorne beugen können. Über ihre Yoga-Praxis lernen die Teilnehmer, den gesellschaftlichen Druck abzulegen. „Ich gebe ihnen die Erlaubnis loszulassen“, sagt Böhm. „Das gibt ihnen ein völlig neues Körpergefühl.“
DER EINFLUSS VON JOGI LÖW
Mittlerweile unterrichtet Böhm zwei Männer-Kurse. Offene Türen ist er bei den Herren zunächst aber nicht eingerannt. Drei Jahre lang habe er erfolglos versucht, einen Kurs zu etablieren. Dann schießt sich das Team von Joachim Löw 2014 zum Fußball-WM-Titel in Brasilien – unter anderem mithilfe von Yoga und Meditation. „Das habe ich genutzt und dann zum ersten Mal einen Kurs zustande bekommen“, sagt Böhm. Wenn „echte Männer“ wie die Fußballnationalspieler Yoga machen, warum dann nicht auch Herren aus Bremen? Das Argument hat gezogen. Ursprünglich sollten die Männer nach ein bis zwei Jahren in die gemischten Gruppen wechseln, um Platz für Neulinge zu machen. Dann hätten sie die ersten Erfahrungen in der Yoga-Praxis gesammelt und vor allem den Grundgedanken der Yoga-Philosophie verinnerlicht: Gedanklich auf der eigenen Matte zu bleiben und sich nicht mit anderen zu vergleichen. Doch viele seiner Teilnehmer hätten im Kurs bleiben wollen. „Ich musste dann einen weiteren Männer-Kurs aufmachen, um die Nachfrage zu bedienen.“
Nicht alle seien davon überzeugt, dass separate Kurse eine gute Idee sind. Erst kürzlich habe Böhm während eines Bildungsurlaubs mit einer Frau diskutiert, die meinte, sein Angebot verfestige Stereotypen von Frauen und Männern. Böhm möchte aber niemanden in eine Schublade stecken. Männer könnten auch an den gemischten Kursen teilnehmen. Doch er möchte ihnen ein Extra-Angebot schaffen, um sie mit der Praxis vertraut zu machen. Ein Angebot, das ihm selbst gefehlt hat. „Hätte es damals, als ich mit dem Yoga angefangen habe, schon einen Männer-Kurs gegeben, hätte ich wahrscheinlich weniger Schmerzen gehabt.“