Für Wendla Schaper ist Politik nicht nur das, was in Parlamenten und Parteien passiert. Für die 19-Jährige bedeutet Politik, die Gesellschaft aktiv zu gestalten, Kompromisse zu finden und zusammenzuarbeiten – über die Grenzen von Altersgruppen und Staaten hinaus. Seit einem Jahr ist Schaper eine von drei deutschen EU-Jugendvertreterinnen. Welche Anliegen und Forderungen haben junge Menschen in der Europäischen Union? Über diese Frage diskutiert sie mit Jugendlichen aus ganz Europa.
„Die EU ist stark und sinnvoll, wenn auch ausbaufähig“, sagt Schaper. Die Bremerin sieht Chancen darin, die Jugend in unterschiedlichen Ländern zu vernetzen, um gemeinsam Ideen umzusetzen. Und genau daran arbeitet sie: Drei Länder, drei Konferenzen, 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – Schaper ist beim achten Zyklus des europäischen Jugenddialogs dabei. Mit diesen Dialogen will die EU dafür sorgen, dass aus den elf abstrakten, europäischen Jugendzielen konkrete Pläne werden, die die Mitgliedstaaten umsetzen können. Angeknüpft an die Ratspräsidentschaften von Deutschland, Portugal und Slowenien, ist Schaper für 18 Monate EU-Jugendvertreterin. Aufgrund der Pandemie können die Veranstaltungen nur online stattfinden. Dennoch: Gemeinsam mit anderen jungen Europäerinnen und Europäern sucht Schaper nach Antworten. Wie können mehr Jugendliche dazu ermutigt werden, sich demokratisch zu beteiligen? Wo gibt es Räume in der Gesellschaft, die junge Menschen ganz unabhängig nutzen dürfen?
KONFERENZEN IN DEUTSCHLAND, PORTUGAL, SLOWENIEN
Fünf Jahre engagiert Schaper sich bereits. Als 14-Jährige ist sie Teil eines Fußballprojektes; darüber lädt der Bremer Jugendring sie zu einer EU-Jugendkonferenz der norddeutschen Bundesländer ein – eine Veranstaltung, die nachdrücklich Eindruck bei ihr hinterlässt. Bis dahin verbindet sie Politik nur mit den Institutionen, die sie im Schulunterricht bespricht. Auf der Konferenz lernt sie, dass Politik nichts ist, vor dem sie Respekt haben muss, weil sie jung ist. Vielmehr ist es anders herum: Gerade, weil sie jung sei, und eine eigene Meinung habe, gehe Politik sie etwas an. „Das hat mich so gekickt, das wollte ich weiter machen.“
Wenn die Bremerin über ihre Projekte spricht, strahlt sie Begeisterung aus – und mit der möchte sie andere anstecken. So hat sie zum Beispiel eine Umwelt-AG gegründet, in der sie und ihre Klassenkameraden Seifen und Shampoos herstellen konnten, und eine Kleidertauschparty organisiert. „Viele Leute sind gekommen und haben Spaß daran gehabt.“
Sie denkt aber auch über die Frage nach, wie sie sich engagieren möchte und was sie damit erreichen kann. Sie ist überzeugt davon, dass ihr Einsatz der richtige Weg ist, doch es schwingt auch eine Portion Zweifel mit. „Wie repräsentativ sind wir wirklich?“, fragt Schaper. Sie betont, dass die 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz nicht die eine Stimme der europäischen Jugend vertreten. „Wir sind ein sehr akademischer, wohlhabender Teil.“ Auch, wenn der Jugenddialog nicht für alle sprechen kann, sieht die Bremerin eine große Relevanz in ihm. Schaper freut sich darüber, dass die Konferenz der jungen Perspektive Nachdruck verleiht. „Wenn die Schlussfolgerungen in den Ratspapieren drin stehen, dann ist das schon mal sehr gut. Eine verbindliche Wirkung hat das allerdings nicht.“
Der 19-Jährigen ist wichtig, dass möglichst viele unterschiedliche Stimmen gehört werden. Doch sie weiß, dass nicht jede Person die Möglichkeit zur politischen Teilnahme hat. „Über verschiedene Themen kannst du erst nachdenken, wenn du frei von anderen Problemen bist“, sagt Schaper. Sie erzählt, dass sie in einem sehr behüteten Umfeld aufgewachsen ist. „Deswegen sehe ich es in meiner Verantwortung, mich zu kümmern. Ich kann für andere mitdenken, die nicht die Kapazität dafür haben.“ Wer existenzielle Sorgen habe, könne sich keine Gedanken um Dinge wie den Klimawandeln machen, erklärt sie. „Ich mag es, Stimmen zu sammeln, Wünsche zusammenzubringen und eine Gruppe demokratisch zu vertreten“, sagt Schaper. Erst als Klassensprecherin in der Waldorfschule, dann auf europäischer Ebene.
GEGEN DEN GENERATIONENKONFLIKT
Im politischen Protest findet Schaper sich weniger wieder – Demonstrationen seien nicht das Ausdrucksmittel ihrer Wahl. Stattdessen möchte sie lieber mit positiver Energie Veränderungen voranbringen. Und sie möchte andere dazu ermutigen, offen zu sein, etwas zu verändern. Zum Beispiel, wenn im Sportverein etwas nicht richtig läuft oder im Jugendclub. In ihren Augen sollte sich jede Person darüber Gedanken machen, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen möchte. "Was kann ich tun, um die Welt zu verbessern?" Einen Generationenkonflikt zu proklamieren, hält Schaper nicht für sinnvoll. Früher habe es auch viel Engagement in der Jugend gegeben, die 68er- oder die Anti-Atomkraft-Bewegung zum Beispiel – so wie heute Fridays-for-Future.
Seit drei Wochen ist Schaper mit der Schule fertig. Was für sie als Nächstes kommt, weiß sie noch nicht – damit beschäftigt sich die Bremerin im Herbst. Es gibt einige Fächer, die sie sich für ein Studium vorstellen kann und auch Ausbildungen kämen infrage oder ein freiwilliges soziales Jahr. Trotz ihres Enthusiasmus für den EU-Jugenddialog – das vergangene Jahr war sie mit den Abiturvorbereitungen „am Limit“. Jetzt freut sie sich darauf, die Zeit zu haben, neue Projekte anzustoßen. Zunächst wird sie den Sommer über auf einem Hof in England arbeiten. „13 Jahre lang habe ich darüber nachgedacht, wie ich die Welt verbessern kann“, sagt Schaper. „Jetzt will ich das praktisch machen.“