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München: "bis einer weint" - Eine Band, die gar nicht existiert

"Bis einer weint" nennt sich das Duo aus Tamy Plank (links) und Leontine Köhn. (Foto: Privat)

Keine Lieder, keine wilden Musiker-Saufexzesse, alles nur Schein: Tamy Plank und Leontine Köhn von "bis einer weint" sind in einer Band, die es eigentlich gar nicht gibt.

Von Lisa Miethke

Eigentlich ist die Geschichte ganz einfach. Leontine Köhn und Tamy Plank sind Studentinnen an der Kunstakademie. Einerseits. Andererseits haben sie zusammen eine Band gegründet, genannt bis einer weint.

In München haben sie sich damit einen Namen gemacht: Das Szenelokal Import Export lud sie bereits auf ihre Bühne ein, als Duo gaben sie diverse Autogrammstunden, ihre Alben liegen in örtlichen Plattenläden aus. Sogar ihre Tour-Plakate sind vielen bekannt. Damit sind sie anderen Münchner Bands weit voraus, sollte man meinen. Und nun kommt der Haken: Gesungen haben sie bisher keinen einzigen Ton. Ihre Musik? Scheint nicht zu existieren. Zumindest findet sich auf keinem der gängigen Streaming-Dienste auch nur ein einziger Song. Handelt es sich um eine Farce? Was steckt hinter dieser Band?

Ein Sommertag in der Kunstakademie, linker Flügel, erster Stock. Derzeit findet hier die Jahresausstellung statt, einige Studierende laufen quer über den hellen Gang. Auch Tamy Plank stellt dieses Jahr ihr Diplom aus. Danach wird sie den sicheren Hafen, wie sie die Akademie nennt, vorerst verlassen. Sie hat es sich vor ihrem Ausstellungsraum auf einer Couch bequem gemacht, Leontine Köhn ist aus Berlin zugeschaltet. Auf dem Bildschirm ist eine junge Frau zu sehen, blondes, kurzes Haar, gut gelaunt, sehr offen. Tamy, schwarzes Kleid, Ledersandalen, dichtes, braunes Haar, wirkt wie der ebenso freundliche, jedoch ruhigere Gegenpol der beiden.

"Wir machen keine Musik", sagt Leontine. "Bei unserem Projekt geht es darum, über soziale Medien und über echte Tourplakate, die wir in der Stadt aufhängen, ein Image zu generieren als eine Band, die nicht wirklich existiert."

Warum macht man das? "Wir wollten schauen, wie weit man das übertreiben kann mit der Selbstdarstellung", sagt Leontine. "Dieser Selbstdarstellungsgedanke ist im Akademiekontext ganz interessant: Wie stelle ich mich als Künstlerin dar? Und kann nicht einfach meine Arbeit für mich selbst stehen?" Hinter ihrem Bandprojekt bis einer weint steckt also eine ganz grundsätzliche Ironie: Statt tatsächlichem Inhalt wartet nicht mehr als ein gefaktes Künstlerdasein. Eine leere Hülle ohne echte Musik.

Entstanden ist die Idee im Sommer 2020. Leontine und Tamy alberten herum, schossen Fotos zusammen. Weil eines davon zufällig wie ein Plattencover ausgesehen habe, überlegten sie sich einen Bandnamen, posteten das Bild auf Instagram. Die Bildunterschrift: "Unser Albumrelease".

Was eigentlich als Scherz gemeint war, fand überraschend Anklang: Am nächsten Tag seien in der Akademie viele Studierende auf die beiden zugekommen, reagierten erstaunt. "Die meinten: 'Hey, ich wusste gar nicht, dass ihr eine Band habt'", sagt Tamy und lacht. Und was blieb ihnen da noch anderes übrig, als einfach mitzuspielen?

Sie sponnen die Geschichte weiter, baten Freunde und Tamys Bruder um Hilfe - Bühnenbildner und Fotografen -, ihre Bandbilder authentischer wirken zu lassen. Darauf folgten eigens designte Tourplakate und Autogrammkarten, aber auch das war nicht genug. Eine gute Geschichte lässt sich nicht selten immer weiter aufblasen. Warum nicht auch echte Platten in einem Musikladen ausstellen?

"Als wir die Platten gemacht haben, haben wir Plattenlabels angefragt, ob sie uns einen Specialdeal anbieten als Künstlerinnen. Das haben sie tatsächlich auch gemacht", sagt Leontine und lacht. Vergangenen Sommer sei das gewesen. Am Ende hätten sie die Alben jedoch einzeln in der Akademie geplottet, ausgeschnitten und kaschiert. Kein geringer Aufwand. Besonders nicht für ein Fake.

"Das Projekt hat ein bisschen überhandgenommen. Man ist gar nicht mehr zu seiner eigenen künstlerischen Arbeit gekommen", sagt Tamy. Schließlich fragten auch das Café Kosmos und das Import Export die Band an - Leontine und Tamy sagten zu, gaben eine Autogrammstunde. "Die Veranstalter wussten natürlich, dass wir ein Fake sind. Aber es gab Besucher, die etwas enttäuscht waren, dass wir keine Musik gespielt haben", sagt Tamy und grinst. Dennoch: Die meisten hätten den Witz gut aufgenommen.

Ausweichstrategien wie diese beherrschen die beiden inzwischen gut. Spricht sie etwa jemand auf ihre fehlende Musik an, behaupten Leontine und Tamy, ihr Spotify-Account sei derzeit deaktiviert. Aber sie würden sich natürlich bemühen, ihn bald wiederherzustellen.

Die beiden trieben den Identitätsschwindel immer weiter. Mit der Zeit wurde es anstrengend

Wirklich auf die Spitze trieb das Duo den Identitätsschwindel vermutlich dann, als sie sich einen fiktiven Bandmanager ins Team holten: Jürgen. Oder auch genannt: "The Berg". "Bei der letzten Jahresausstellung haben wir Autogrammkarten rausgegeben. Jürgen hat neben uns mit Perücke gestanden und für uns gesprochen: 'Die Künstlerinnen kommen gerade von einer Tour zurück und sind leider noch etwas verkatert.' Das waren sehr witzige Momente", sagt Tamy.

Ihr gefakter Manager, gleichsam ein guter Freund und Studienkollege, nahm sie kurz darauf in das Portfolio seiner Künstlervertretung auf, die sich "Bureau089" nennt. Der Fake? Danach wohl kaum mehr als solches zu erkennen.

Und dennoch: Eine Identität aufrechtzuerhalten, so zu tun, als sei man jemand, der man gar nicht ist - das sei ihnen nicht immer leichtgefallen. "Ich habe deswegen zwischendrin wirklich ambivalente Gefühle gehabt", sagt Tamy. "In diesen Plattenladen kamen echte Musiker rein, die fragen: Und welches Instrument spielst du? Da kommt man sich schon bisschen bescheuert vor, dass man sagt: Ich singe." Leontine fügt hinzu: "Das Schöne an dem Projekt und auch das Schwierige ist, dass es sich oft in Alltagssituationen reinträgt." Es sei das eine, während einer offiziellen Performance etwas vorzuspielen. Schwieriger sei es, wenn die beiden etwa auf Partys von Bekannten oder Mitstudierenden auf ihre Band angesprochen werden.

Dass sie ausgerechnet eine Band erfunden haben, ist in mehrerlei Hinsicht amüsant. Ihre Songs seien "flexible music", was so viel bedeutet, als dass sie "eben jedes" Genre bedienen. "Wir bewegen uns musikalisch zwischen Mozart, Marilyn Manson und Madonna", sagt Tamy. Das zeigt sich auch auf ihren Plattencovern: Mal präsentieren sie sich dort als zerbrechliche Schlagersängerinnen, mal als wilde Punks aus den Siebzigerjahren.

Allein vergangenes Jahr hätten sie zusammen mehr als zehn Platten veröffentlicht. Eine sportliche Leistung. Dabei haben sie mit der Musik, zumindest in der Realität, herzlich wenig am Hut. Tamy war früher lediglich einmal im Schulchor. Leontine hat zwar 15 Jahre lang Klavier gespielt, doch hielt sich ihr Talent, so sagt sie es selbst, eher in Grenzen. Dafür malen die beiden lieber.

Tamy studierte zuvor Kunstgeschichte im Bachelor an der LMU, fand vor neun Jahren ihren Weg an die Kunstakademie. "Ich wollte schon immer hierin, habe mich aber nie bereit gefühlt", sagt sie. Ähnlich sei es Leontine ergangen, die aus Berlin stammt. Auch sie kam über Umwege an die Akademie, studierte zuvor Jura. " Kunst habe ich immer parallel gemacht, habe mich aber nie wirklich getraut", sagt Leontine.

"Leute haben uns gefragt, wann das nächste Konzert sei, das war wahnsinnig lustig"

Bis einer weint begann als ein Spaßprojekt. Bis die beiden bemerkten, dass es gut funktioniert, Erinnerungen herbeizurufen, die so nie stattgefunden haben. "Leute haben uns gefragt, wann das nächste Konzert sei, das ist wahnsinnig lustig gewesen", sagt Leontine. Einmal habe sie sogar ein Fremder auf der Straße angesprochen, ob sie nicht von der Band bis einer weint seien. Er habe erzählt, dass er kürzlich auf einem Konzert von ihnen in der Akademie gewesen sei. Er fragte, ob nicht bald das nächste stattfinde. "Das ist, als ob dir jemand erzählt, er hat ein Buch gelesen, das er gar nicht gelesen hat", sagt Leontine und lacht.

Wie es in Zukunft weitergehen soll mit ihrer Band, das ist noch unsicher. Worüber sie sich einig sind: "Sollten wir das Projekt jemals beenden, werden wir natürlich ein riesiges Break-up-Drama inszenieren. Das würde nicht sang- und klanglos untergehen", sagt Tamy.

Auch, wenn inzwischen die meisten Studierenden der Akademie wissen, dass die Band als solche nicht existiert: Manche trügt der Schein noch immer. Auf Nachfrage bei einem Studenten - braunes Haar, gemustertes Hemd, Nickelbrille -, ob er bis einer weint kenne, nickt er zögerlich, sagt dann: "Schon. Ich wollte mal auf ein Konzert von ihnen. Aber ich habe keine Ahnung, was für Musik sie machen."

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