Offene, helle Räume, Holzmöbel zwischen den Hörsälen. Eine futuristisch anmutende Bibliothek mit Terrasse und gepolsterten, zurückklappbaren Fauteuils, in der Maschinen Bücher automatisch den richtigen Abteilungen zuordnen und ein Lift direkt zur U-Bahn führt. Hier, an der University of Helsinki, werden künftige Mediziner, Juristen, Lehrer, Psychologen und Mathematiker ausgebildet. Im aktuellen World University Ranking des Magazins "Times Higher Education" schaffte es die größte und älteste Universität Finnlands unter die besten 100 Hochschulen der Welt.
Die Lehre soll aber nicht nur einigen vorbehalten bleiben, möglichst alle sollen studieren können. Dazu wurde vor rund 40 Jahren die sogenannte Open University geschaffen. Für Kurse der offenen Universität kann sich jeder und jede anmelden, egal ob er oder sie ein Maturazeugnis in der Tasche hat oder nicht. Ein Aufnahmetest ist nicht notwendig. Einen Abschluss kann man an der offenen Uni allerdings auch nicht machen, Studienerfolge werden nur durch ein Zertifikat bescheinigt.
Alle 15 finnischen Universitäten bieten solche Parallelangebote an. Teilnehmerzahlen zeigen, wie beliebt sie sind: An der Universität Helsinki stehen 20.000 Open-University-Studenten 30.000 regulären "degree students" gegenüber. Zum Vergleich: An der Universität Wien sind aktuell rund 90.000 ordentliche und nur 5.000 außerordentliche Studierende inskribiert. "Die Open University ist in Finnland seit jeher ein wichtiger Teil der Erwachsenenbildung", sagt Sakari Ahola, Hochschulexperte bei der Research Unit for the Sociology of Education der University of Turku.
Gefahr: Abstellgleis?Der typische Student an der offenen Universität ist mit mehr als 30 Jahren älter als der durchschnittliche ordentliche Studierende (27,6 Jahre). "Er geht häufig bereits einem Job nach und will sich zu neuen Trends im Fach weiterbilden", sagt Jaakko Kurhila, Rektor der Open University. Viele würden auch von ihren Arbeitgebern geschickt.
Im Gegensatz zu postgradualen Weiterbildungskursen seien Seminare an der offenen Universität preisgünstiger - sie kosten pro Studiencredit etwa zehn Euro. Außerdem werde kein praktisches Wissen, sondern theoretische Grundlagen vermittelt. "Viele bevorzugen das", sagt Kurhila. Die am meisten nachgefragten Studiengänge seien derzeit Pädagogik, Psychologie, Sprechtherapie, Sozialarbeit und Politikwissenschaft. Medizin und Jus werden nicht angeboten.
Einige der an der Open University Inskribierten studieren auch "rein aus Interesse", sagt Kurhila, manche nützten sie zur Orientierung. Dann gibt es noch jene Studierenden, die es nicht in ein reguläres Studium geschafft haben. "Aufnahmetests sind sehr anspruchsvoll", sagt Bildungsexperte Ahola. An der Uni Helsinki etwa bewerben sich jedes Jahr 25.000 für einen Studienplatz und werden nicht akzeptiert. Die Gefahr: Die offene Universität wird für sie zu einer Art Abstellgleis. Nachträglich in ein ordentliches Studium zu wechseln, ist nämlich schwierig. An der Uni Helsinki ist zwar in jedem Fach pro Jahr eine gewisse Anzahl von Plätzen für außerordentliche Studierende, die 60 Credits absolviert haben, reserviert. Allerdings schaffen es so nur einige wenige - durch besonders gute Noten oder einen Extraaufnahmetest - in ihr Studienfach und bestenfalls zu einem Bachelor- oder Masterabschluss.
Keine Vorteile in der ArbeitsweltAuch bei der Jobsuche bringen freiwillig absolvierte Seminare nicht unbedingt Vorteile, sagt Ahola. "Was Arbeitgeber sehen wollen, ist ein Studienabschluss." Häufig werde auch die Qualität der Kurse angezweifelt - denn an der offenen Universität unterrichten meist nicht dieselben Lehrenden, Studierende haben nicht denselben Stoff zu lernen und nicht dieselben Prüfungen zu absolvieren wie an herkömmlichen Universitäten. Ob die Open University letztlich zu mehr sozialer Chancengleichheit führen kann, sei also fraglich, so Ahola. Zumindest aber erleichtere sie den Zugang zu Bildung.
Das hat auch ein kürzlich in der Nähe der Universität eingerichtetes Café, genannt Think Corner, zum Ziel: Hier sollen Studierende und Lehrende mit der Bevölkerung zusammentreffen. Regelmäßig finden Diskussionen, Ausstellungen und Workshops statt. "Wir bringen Wissenschaft auf die Straße", so der Anspruch. (Lisa Breit, 2.11.2016)