Schwestern werden unterschätzt - von der Psychologie, der Gesellschaft und manchmal sogar von der eigenen Familie. Weil die Beziehung zur Schwester aber Männer wie Frauen fürs Leben prägt, widmen wir diesem besonderen Verhältnis unseren Schwerpunkt "Hurra, es ist eine Schwester".
An einem sonnigen Tag im September treffen wir Margot Käßmann und ihre beiden älteren Schwestern, Ursula Muth und Gisela Schmidt, in Käßmanns Wohnung in Hannover. Sie haben sich bereits zwei Stunden vorher getroffen, um in Erinnerungen zu schwelgen. Erstmals werden sie mit uns öffentlich über ihre Beziehung sprechen, über Ungerechtigkeiten in der Kindheit und darüber, wie es ist, der Jüngsten bei der Karriere zuzusehen. Margot Käßmann öffnet die Tür, nach einer herzlichen Begrüßung führt sie die Gäste in die Wohnküche an den großen Holzesstisch und setzt sich zu ihren Schwestern.
ZEIT ONLINE: Frau Muth, Sie sind die Älteste. Können Sie sich daran erinnern, wann Sie und Ihre Geschwister sich zuletzt so richtig gezofft haben?
Ursula Muth: Ich kann mich ehrlich gesagt an gar keinen offenen Streit erinnern, das gab es in unserer Familie nicht. Sobald sich auch nur ein Zwist andeutete, tauchte unsere Großmutter auf und sagte: "Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen!" Das hat mich jedes Mal nur noch wütender gemacht, ich konnte es nicht mehr hören.
Margot Käßmann: Ich erinnere mich gut! Hab ich meinen Töchtern allerdings später auch gesagt.
Muth: "Seid freundlich und herzlich miteinander, vergebt einander", steht an der Stelle auch in der Bibel. Da trauten wir uns natürlich nicht weiter zu streiten.
Gisela Schmidt: Und unsere Mutter fand schon das Wort "Diskussion" furchtbar.
ZEIT ONLINE: Wenn offener Streit verboten war, haben Sie sich dann heimlich gezankt?
Muth: Schon. Ich erinnere mich, wie Gisela und ich uns unter dem Esstisch ordentlich getreten haben und dass dann schon mal die Türen knallten. Aber unsere Mutter versuchte, Streit zu verhindern, indem sie uns ständig Aufgaben gegeben hat. Wenn wir etwa alleine zu Hause waren, bekam jede von uns schon beim Frühstück einen Zettel, auf dem stand, was zu tun war - Waschbecken sauber machen, Staub wischen. Du musstest immer Staub wischen, oder, Margot?
Käßmann: Und die Treppe putzen!
Muth: Ich fand das ganz furchtbar und habe mich immer mit auf die Toilette verzogen. Und Margot hat gepetzt.
Käßmann: Karl May auf der Toilette war ein echtes Vergehen!
Schmidt: Ihre Erziehung war autoritär, aber auch liebevoll. Wir sollten möglichst keine Probleme machen, das haben wir verinnerlicht. Wenn man merkt, dass die Eltern sehr belastet sind, dann will man als Kind nicht auch noch Schwierigkeiten machen. Das hat dann eher Margot übernommen. Als Nesthäkchen konnte sie ihr eigenes Ding machen. Du hast von Klein auf immer das Neue ergriffen.
Käßmann: Disco, Amerika, Karriere.
Muth: Und die jungen Herren kamen immer mit dem Moped auf den Hof gefahren, Margot stieg auf und fuhr davon. Was habe ich dich darum beneidet! Unsere Eltern hat das eher mit Sorge erfüllt.
ZEIT ONLINE: Können Sie die Sorgen Ihrer Mutter heute nachvollziehen, Frau Käßmann?
Käßmann: Meine Mutter hatte Angst um mich. Sie wusste ja nicht, wo wir hingehen und wer die Leute sind, mit denen ich losziehe. Sie hat mal gesagt, dass sie sich mit 36 zur damaligen Zeit schon sehr alt fühlte als Mutter. Sie war müde, abgearbeitet. Damals konnte ich das natürlich noch nicht einordnen und habe sie immerzu als streng empfunden. Immer musste ich Sachen machen, auf die ich gar keine Lust hatte. Geigespielen zum Beispiel ...
Schmidt: ... und durftest kein Französisch lernen.
Käßmann: Ich musste als zweite Fremdsprache Latein lernen. Da war ich sauer.
ZEIT ONLINE: Warum kein Französisch?
Käßmann: Weil sie Latein wichtiger fand für die Bildung. Französisch habe ich dann als dritte Fremdsprache genommen.
Schmidt: Wir haben das alle total unterschiedlich erlebt. Als Margot ihre Karriere machte, hatten wir eine Zeit lang wenig direkten Kontakt, und ich musste in der Zeitung lesen, wie streng und gefühlskarg unsere Mutter gewesen sei. Da habe ich gedacht: Das ist doch nicht meine Mutter.
Käßmann: Gefühlskarg habe ich aber nie gesagt!
Schmidt: Ich habe mich schon als Jugendliche stark mit meiner Mutter solidarisiert. Mit ihren Sorgen und dem Druck durch die Arbeit. Ich habe mal freiwillig sämtliche Schuhe geputzt und fand das irgendwie schön. Diese Zettel, die sie uns hingelegt hat, habe ich nicht als nervig empfunden. Margot und Ursula hat das immer schlechte Laune gemacht. Ich dachte: Ist doch schön, wenn man ...
Käßmann: ... der Mutti eine Freude macht! Darum ging's. Darauf hatte ich wenig Lust. Du hast mich sogar beim Abwaschen korrigiert, weil ich nicht heiß nachgespült habe.