Seit Anfang Januar läuft der Dokumentarfilm "Das Geheimnis der Bäume" in den deutschen Kinos. Gemeinsam mit dem französischen Botaniker Francis Hallé drehte der Regisseur und Oscarpreisträger Luc Jacquet einen einzigartigen Film über das pflanzlich Genie. Im Interview erzählt Jacquet über seine Zeit im Urwald, die größte Herausforderung beim Dreh und die Intelligenz der Bäume.
Herr Jacquet, wie sind Sie auf die Filmidee des französischen Botanikers Francis Hallé aufmerksam geworden?
Nachdem ich 2006 den Oscar für den Dokumentarfilm „Die Reise der Pinguine" bekam, sprach ich mit vielen Wissenschaftlern, die einen Film über ihre Arbeit drehen wollten. Allen ging es darum, eine deutliche Botschaft zu senden - ohne Schuldzuweisungen. Francis Hallé erzählte mir, dass er seit über 50 Jahren Urwälder erforscht. Er beobachtet, wie sie verschwinden. Darüber wollte er einen Film drehen.
Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?
Mir gefiel die Emotion, mit der Hallé seine Botschaft transportieren wollte. Wenn wir heute eine ökologische Botschaft für den Erhalt der Natur senden wollen, müssen wir das auf eine neue Weise tun. Wir müssen Gefühle und Wissen verbinden, um zu zeigen, wie faszinierend die Natur ist.
Wie muss man sich den Prozess von der ersten Idee bis zum fertigen Drehbuch vorstellen?
Nach meinem Gespräch mit Hallé bin ich in den Urwald gereist. Ich war noch nie dort, aber fühlte mich sofort wohl. Der Zuschauer sollte diese komplexe Reise in die Welt der Bäume gemeinsam mit mir erleben. Um die richtige szenische Linie für das Drehbuch zu finden, die diese Komplexität vermittelt, führte ich lange Interviews mit Hallé und seinen Kollegen. Das dauerte über ein Jahr. Im Urwald habe ich außerdem etwas entdeckt, was ich bisher komplett ignoriert hatte.
Was meinen Sie damit?
Erstmals verstand ich, dass Bäume und Pflanzen unglaublich lebendig sind, welche Macht das pflanzliche Genie hat. Zwar haben Bäume kein Gehirn - zumindest soweit wir wissen -, aber komplexe und raffinierte Strategien, um sich auszubreiten und zu überleben. Das hat mich beeindruckt und mir einen neuen Blick auf die Welt und das Universum eröffnet. Ich spürte, dass die Welt viel komplexer ist, als mir bewusst war.
Was war der spektakulärste Moment während der Dreharbeiten?
Die Luftaufnahme der Eingangssequenz. Wir hatten Prototypen von Kameras erstellt, um die Kamerafahrt von über 200 Metern zu realisieren. Geschafft haben wir es mit einer Kombination aus Kranfahrten und Drohnen, die wir extra konstruiert hatten. Diese beiden Arten der Bildaufnahme zu koordinieren, war schwierig.
War das auch die größte Herausforderung?
Nein, das war tatsächlich der Wald als solches. Ganz oben in den Wipfeln gibt es sehr viel Licht, im Unterholz dagegen ist es dunkel. Das optisch darzustellen, war schwierig.
Wie viel Geduld brauchten Sie, um die einzigartigen Nahaufnahmen der Lebewesen zu machen?
Keine, diese kleinen Insekten finden Sie überall im Urwald. Die eigentliche Herausforderung war, das richtige optische Mittel zu finden, um diese Mikrowelten auf eine emotionale Weise abzubilden. Der Zuschauer sollte alles miterleben, nicht nur sehen. Normalerweise dreht man so etwas mit Makroobjektiven, wir haben aber ein Periskop verwendet. Das ist ein Sehrohr, das ursprünglich im Krieg verwendet wurde, um aus der Deckung heraus den Feind zu beobachten. Damit konnten wir die winzige Welt der Insekten gut darzustellen. Das war eine reine Regie-Entscheidung.
Sie erzählen in Ihrem Film die Geschichte des Urwaldes ausgehend von einem Kahlschlaggebiet über den Sekundärwald bis zum unberührten Primärwald. Wie muss man sich das vorstellen?
Der Film zeigt die 700 Jahre, die ein Wald braucht, um neu zu wachsen, welche Querverbindungen dafür nötig sind, in welchem Gleichgewicht Pflanzen und Tiere sein müssen. Diese Komplexität galt es zu rekonstruieren, um einen Primärwald entstehen zu lassen, wir können ja nicht 700 Jahre warten und zusehen. Deshalb habe ich auf ein Kinomittel zurückgegriffen - die Animation. Dadurch kann ich im Zeitraffer zeigen, dass Bäume nicht starr sind, sondern sich bewegen. Es gab von Beginn an ein Storyboard, die Filmaufnahmen wurden mit dem Wissen konzipiert und gedreht, dass später noch eine Animation hinzukommt.
Wo ist das riesige Kahlschlaggebiet, das Sie im Film zeigen?
Leider überall. Es ist viel einfacher entwaldete Flächen zu finden als intakte Wälder. Dieser Film hat eine andere Zeitdimension und drückt etwas sehr Allgemeines aus. Es wird gar nicht präzisiert, wo alles stattfindet. Es geht viel mehr um den Urwald, den es noch vor 50 Jahren im gesamten Äquatorgürtel gab.
Was hat Ihre Begeisterung für die Natur geweckt?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen und hatte schon immer ein sehr intimes Verhältnis zur Natur. Darum habe ich Biologie studiert, das Verhältnis der Lebewesen zur Natur. Als ich begann, Filme zu drehen, hat es mich ausschließlich interessiert, dieses Verhältnis zu filmen. Das inspiriert mich.
Sie haben 14 Monate in der Antarktis gelebt. Können Sie Ihre Zeit dort mit der Zeit im Urwald vergleichen?
Nein. Die Antarktis und der Wald sind wirklich zwei entgegensetzte Pole. Die Antarktis ist eine Art Wüste, sie hat etwas unglaublich Weites. Der Wald hat ein extremes und intensives Leben, er dringt wirklich zum Kern des Menschen vor. Ich hatte das unglaubliche Glück, lange an beiden Orten zu leben und einen seltenen Überblick über die Welt zu erhalten.
Nach Ihrem letzten Film „Der Fuchs und das Mächen" warfen Ihnen manche Kritiker vor, den Fuchs zu vermenschlichen. Könnte das bei Ihrem neuen Film wieder passieren?
Die Kritiker können glauben, was sie wollen. Mir ist wichtig, dass wir Tiere und Pflanzen anders betrachten, die Natur besser verstehen. Darum drehe ich Filme. Es geht nicht darum, Tiere zu vermenschlichen, sondern zu zeigen, wie unmenschlich der Blick ist, mit dem der Mensch teilweise auf die Natur schaut. Es ist absolut unmöglich, Bäume zu vermenschlichen. Der Film zeigt den fundamentalen Unterschied zwischen Mensch und Baum, da kann von Vermenschlichung keine Rede sein.
Haben Sie schon ein neues Projekt im Auge?
Mein nächster Film "Eis und Himmel" wird ein wissenschaftlichen Epos, das den Forscher Claude Lorius begleitet. Er ist Experte für Eiswelten und bewies als erster, dass das Eis der Antarktis das Geheimnis des Klimas beinhaltet, und der CO2 Ausstoß zur Klimaerwärmung führt.