1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Die Mauern von Belfast

Um eine Stadt und ihre Bewohner wirklich zu verstehen, muss man in ihre Geschichte eintauchen. In Belfast geht das am besten mit dem Taxi. Hier bieten Taxiunternehmen Touren mit einheimischen Fahrern an, die einem die Hintergründe der gewalttätigen Vergangenheit der nordirischen Hauptstadt auf spannende Weise nahebringen.


Bomben, Bier, Black Taxis - lange gehörte das zum Alltag in Belfast. Die nordirische Hauptstadt galt - wie auch Beirut und Bagdad - als zu gefährlich für Besucher. In Belfast wütete bis Ende 1990 der im Lande tief verwurzelte politische Konflikt um die Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien oder der Republik Irland. Er zeigte sich in einem erbitterten Krieg zwischen pro-britischen Protestanten und pro-irischen Katholiken. Bombenanschlägen, Ausgangssperren und Leibesvisitationen standen auf der Tagesordnung.


Heute ist die Gewalt von Belfasts Straßen verschwunden. Die Heimatstadt des Luxusliners Titanic zeigt sich in neuem Licht: das ausgelassene Nachtleben, Livemusik, Kultur stehen im Vordergrund. Frei von Konflikten ist die Stadt jedoch nicht. Der Stadtteil West Belfast ist immer noch in protestantische und katholische Wohnviertel unterteilt. Wer Ursprung, Verlauf und Hintergründe der Spannungen verstehen will, sollte unbedingt eine Black Taxi Tour durch das Viertel machen.


Die Tour führt zu den politischen Wandgemälden (Murals) in der katholischen Falls Road und der protestantischen Shankill Road. "Ich bin Katholik, mir würde niemand ein Haus in der Shankill Road verkaufen. Überall muss man seine Konfessionszugehörigkeit angeben - auf dem Arbeitsamt, in der Schule, beim Hauskauf", erzählt unser Taxifahrer Tom. An der Shankill Road entlang verläuft auch die bekannteste der etwa 100 Friedensmauern (Peace Lines) der Stadt. Die etwa acht Meter hohe Mauer aus Stein und Draht trennt Katholiken von Protestanten. Auf katholischer Seite reichen die Häuser - deren Balkone mit Gittern gegen Wurfgeschosse wie Steine geschützt sind - bis an die Mauer heran. Auf Seite der protestantischen Shankill Road können Besucher eine Botschaft an die Wand schreiben - neben die des Dalai Lamas und des früheren US-Präsidenten Bill Clinton. Selbst Lady Gaga hat Tom hier schon getroffen.

Laut dem Institut of Conflict Research haben alle Friedensmauern Belfasts eine Gesamtlänge von etwa 21 Kilometern und verlaufen quer durch Straßen und Gärten. Tore in den Mauern ermöglichen den Durchgang auf die andere Seite; bei Krawallen sind sie geschlossen.

Die Taxifahrer kennen die Geschichte der Stadt, sind dort groß geworden und schmücken die historischen Fakten mit persönlichen Anekdoten - manche lustig, manche dramatisch, wie die Geschichte der jungen katholischen Apothekerin, die Tom uns erzählt: Sie habe in den 70er Jahren und im Höhepunkt der Gewalt Medikamente an Menschen beider Konfessionen geliefert. Bis ihr ein Protestant ins Gesicht schoss, damit ihre Beerdigung entgegen der katholischen Tradition mit geschlossenen Sarg stattfinden musste. Solche Gewalt gibt es in Belfast nicht mehr. Zum Abschied sagt Tom noch: "Früher habe ich meinen Kindern gesagt: ‚Macht eure Ausbildung und zieht weg'. Heute sage ich ihnen: ‚Macht eure Ausbildung und bleibt'."


Kosten Eine Tour durch West Belfast dauert knapp zwei Stunden und kostet etwa 36 Euro (30 Pfund). Bei Gruppen ab vier Personen sinkt der Preis. Am besten fragt man an der Hotelrezeption nach, dort kennt man die besten Unternehmen und kümmert sich um die Reservierung.


Was es sonst noch gibt:

Belfast ist der Heimathafen der RMS Titanic. Ein Besuch des Trockendocks, Pumpenhauses, des angrenzenden Museums und des " Titanic Quaters" sollte bei einem Besuch in Belfast nicht fehlen.


Neben der Innenstadt mit ihren zahlreichen Geschäften wartet das Studentenviertel um die "Queens University" mit einem botanischen Garten, kleinen Bars und Restaurants auf Studenten, Dozenten und Besucher. Empfehlenswert ist auch ein Spaziergang am Ufer des Lagan Flusses.

Zum Original