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Matondo Castlo: „Sexismus in Rap-Texten fand ich noch nie gut"

„Hier gibt es nicht viel, aber was wir durch unsere Kinderaugen gesehen und mit unserer Fantasie gemacht haben - das war einfach schön", sagt Matondo Castlo und steht vor einem kleinen Spielplatz in Berlin-Tempelhof. Hier hat er viele Nachmittage verbracht, hier sind seine ersten Raptexte entstanden.

„Irgendjemand hat Beatbox gemacht, der andere hat ein paar Worte gerappt", erzählt er. Zwölf Jahre alt seien sie da etwa gewesen. Ob er sich damals hätte vorstellen können, später mal Rapper, HipHop-Dozent und Fernsehmoderator zu werden? „Nein, niemals", sagt er und lächelt. „Ich dachte, ich würde später irgendwo in einer Fabrik in Latzhose an Autos schrauben, obwohl ich das noch nie gerne gemacht habe." Denn egal ob in der Schule oder auf der Ausländerbörde, er habe immer wieder geringschätzige Blicke und Worte abbekommen. Heute unterstützt er die Kids im Kiez, macht ihnen Mut, sich durch Musik auszuprobieren und in Rap-Texten Erlebtes zu verarbeiten.

„Wie kann es sein, dass der Junge kein Deutsch spricht?"

Castlo hat die ersten drei Jahre seines Lebens in einer Geflüchtetenunterkunft in Neukölln gewohnt. Mit seinen vier Geschwistern ist er in Tempelhof aufgewachsen. Er wohnt heute immer noch hier, kennt jede Ecke in seinem Kiez. Mehrfamilienhäuser mit grünen Gärten und Bäumen säumen die Straßen.

Als er in den Kindergarten kam, erlebte er die erste bewusste Diskriminierung: Er sprach nur Französisch. Seine Eltern bekamen Ärger. „Wie kann es sein, dass der Junge kein Deutsch spricht?", fragten die Erzieherinnen und Erzieher mit vorwurfsvollem Ton. Heute bedauert Castlo, dass er fast kein Französisch mehr spricht.

Immer wieder ziehen sich unangebrachte Verhaltensweisen von Pädagoginnen und Pädagogen durch seine Kindheit und Jugend und bilden einen Kontrast zu seinem liebevollen und fürsorglichen Elternhaus, die vor der Flucht aus dem Kongo selbst als Pädagogen tätig waren. Nach der Grundschule folgte die Hauptschule. „Die Hauptschule war ein Ort, wo wir zwar viel gelernt haben, aber halt nicht im schulischen Kontext", erinnert er sich. Drogenverkauf, Körperverletzung, Diebstahl und Betrug: Einige Mitschüler waren schon Anfang des Teenageralters in kriminelle Machenschaften verstrickt. Er selber hat nie Drogen verkauft, dafür andere „Geschäfte" gemacht.

Matondo: „Was Bushido gerappt hat, war unsere Realität"

Zum HipHop kam Castlo unter anderem durch seine großen Brüder. Immer wieder haben die zwei älteren „Changes" von 2Pac gehört. Er war neugierig, warum seine Brüder einen toten Rapper so toll fanden. Internet hatten sie zu Hause noch keins. Also ging er in die Stadtbibliothek, recherchierte, wer 2Pac war, hat seine Texte übersetzt und sich in die Hip-Hop-Kultur eingelesen. Da war Castlo zwölf Jahre alt. „Das war direkt meins", sagt er. Eine schwarze Person, die gesellschaftskritische Musik machte - das faszinierte ihn sofort.

„Ich kannte keinen Schwarzen hier in Deutschland, der auch rappte", sagt er. Das hat ihn angespornt, es selbst auszuprobieren. Allerdings mit einem Unterschied zu den meisten anderen Rappern: „Was Bushido gerappt hat, war unsere Realität. Aber den Sexismus und die Beleidigungen in den Texten fand ich noch nie gut", sagt er. Also entscheidet er sich, Texte zu schreiben, in denen es eher um Gefühle als pure Gewalt geht.

Das Leben in Thüringen war ein Kulturschock

Gemeinsam mit einem Freund hat er sich eine kleine Aufnahmekabine aus Sperrholz gebaut. „Wir haben dann mit einem Telefon-Headset erstmal aufgenommen", erzählt Castlo. Zur Musik kam noch der Einfluss der Mitschüler dazu: „Wir hatten den Unterricht mal wieder selbst beendet und kamen dann auf eine dumme Idee", erinnert er sich. Sie haben einen kleinen Drogeriemarkt in der Nähe der Schule überfallen, etwa 250 Euro aus der Kasse genommen und sind wegerannt.

Ein paar Tage später stand die Kriminalpolizei bei Castlo vor der Tür. Einer der Freunde musste in den Jugendknast, die anderen kamen in Hausarrest. Castlo hatte im Gegensatz zu den anderen noch nicht so viel Mist gebaut. Deshalb bekam er erstmal einen Betreuer von der Jugendgerichtshilfe zugeteilt. „Der Betreuer hat mich daran erinnert, dass ich immer gerne Fußball gespielt habe, er meinte, ich sei ein Talent und schlug mir vor, dass ich Berlin verlasse und auf ein Fußballinternat gehe."

Castlo war zunächst skeptisch, seine Familie, seine Freunde und Berlin zu verlassen. Aber seine Eltern befürworteten den Vorschlag des Betreuers. „Vielleicht ist es besser, wenn du neue Luft schnappst", habe sein Vater damals zu ihm gesagt. Also entschied er sich für das Internat, und war plötzlich mitten in Thüringen.

„Es war ein Kulturschock", Castlo grinst. „Auf der Fahrt dorthin habe ich plötzlich Felder und Kühe gesehen. Ich bin bis dahin nie wirklich aus der Stadt rausgekommen. Es war der Wahnsinn." Die Begeisterung sieht man ihm bis heute an. „Die Ruhe hat mir geholfen, zu mir selbst zu finden", sagt Castlo. Die geregelte Struktur im Internet tat ihm gut. Schule, Mittagessen, Hausaufgaben, Sport. Die Internatsleiterin hat zu Castlo gesagt, dass sie in ihm einen Erzieher sehe. Sie hatte beobachtet, wie sozial und hilfsbereit er mit den jüngeren Mitschülern umging, ihnen Dinge beibrachte und sich gerne um sie kümmerte

Er erzählt in seinen Texten die Geschichte von Anne Frank oder Oury Jalloh

Nach zwei Jahren im Internat hat er sich bereit gefühlt, zurück nach Berlin zu ziehen, und wurde tatsächlich Erzieher. Als er zurück nach Tempelhof kam, war er verwundert, was sich alles verändert hatte: Freunde von ihm waren abgeschoben worden, andere hatten eine Psychose oder saßen im Gefängnis. Castlo widmete sich der Schule, seiner Ausbildung und dem HipHop. Er begann, sich mehr für die Geschichte seiner Familie und für den Kongo zu interessieren: „Als ich mich mit etwa 17 Jahren mit der Kolonialgeschichte beschäftigte, war es mir sehr wichtig, meine Muttersprache Lingala zu lernen, damit die Kultur nicht verloren geht." Als Kind und Teenager schämte er sich für kulturelle Unterschiede, heute trägt er mit Stolz auch traditionelle Kleidung.

Die Sensibilisierung für Diskriminierung spiegelt sich auch in seiner Musik wider: Er erzählt in seinen Texten die Geschichte von Anne Frank oder Oury Jalloh, thematisiert die deutsche Kolonialgeschichte, Islamfeindlichkeit oder Sexismus und tritt als Sänger bei Kundgebungen oder Demonstrationen auf.

Castlo versteht die Sorgen der Jugendlichen

Mit den steigenden Klickzahlen seiner Musikvideos kamen auch die ersten Anfragen in sein Postfach geflattert. „Ich wurde gefragt, ob ich einen Workshop für Jugendliche gebe. Ich wusste nicht genau, was ein Workshop ist", erzählt er. Doch es lief gut. Die Jugendeinrichtungen waren von seinen Workshops begeistert, und so wurde Castlo von Einrichtung zu Einrichtung empfohlen. Der Unterschied zu vielen anderen Pädagogen: Er versteht die Jugendlichen. Er versteht die Jugendsprache, er versteht ihre Sorgen und er teilt die Liebe zum HipHop mit ihnen. Über die Textarbeit bekommt er einen Zugang zu den Teenagern: Er spricht mit ihnen über Diskriminierung, darüber, dass Sexismus, Antisemitismus oder Rassismus weder in Rap-Texten noch sonst irgendwo etwas verloren haben.

Nach der Ausbildung hat er sich mit den Workshops selbstständig gemacht, mit gerade mal 24 Jahren. Seit etwa einem halben Jahr ist er außerdem noch KiKa-Moderator bei dem Format „Baumhaus". Ein Vorbild sein für nicht-weiße Kinder und Jugendliche - das ist Castlo besonders wichtig.

Zusätzlich zu den offiziellen Workshops ist Matondo aber auch für die Kids aus dem Kiez da. Ein Vater hat ihm einen Kellerraum zur Verfügung gestellt. Sein Workshophonorar investiert Castlo in Technik und baut den Keller zum Studio um. Dort dürfen nun alle Jugendlichen, die Lust haben, mit Castlo aufnehmen. Sie sprechen ihn auf der Straße an oder schreiben ihm per Instagram.

Er nimmt sich Zeit für sie, verlangt kein Geld für die Studionutzung, sondern schafft einen Ort, an dem sich Jugendliche frei entfalten können und ihren Fokus auf Kreativität statt auf Kleinkriminalität legen. Castlos Motivation: Jugendliche von der Straße holen, aber auch den Zugang zur kreativen Selbstentfaltung niederschwellig zu gestalten. „Die sollen nicht ihre Playstation verkaufen oder krumme Dinger drehen, um es sich leisten zu können, einen Song im Studio aufzunehmen", fügt er hinzu.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen - jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.
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