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Abmahnwellen nach Urteil des Berliner Landgerichts: Wie Experten die Situation für das Influencer-Marketing einschätzen

Influencerin Vanessa Blumenthal ist sauer, genauso wie Bloggerin Vreni Frost. In den letzten Tagen ging es auf Instagram nur um ein Thema: Abmahnungen. Die beiden wollen endlich aufmerksam machen, auf die Missstände bei der Werbekennzeichnung auf Instagram. Schuld daran ist das Urteil gegen Bloggerin Vreni Frost und andere Influencer, die ihre Fälle in ihren Stories austauschen.

Als selbsternannter "Sinnfluencer" musste Frost dies vor kurzem am eigenen Leib erfahren. Sie postete ein Luftballon-Foto, verlinkte Marken und Online-Shops. Die Mode-Bloggerin argumentierte jedoch, es handele sich nicht um Werbung, weil sie für die Posts nicht von den jeweiligen Firmen bezahlt werde. Der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW), ein Verein der gegen unlauteren Wettbewerb vorgeht, sah das allerdings anders und sendete eine Abmahnung. Frost verstand die Welt nicht mehr. Für sie galt die Regel: Alle bezahlten Partnerschaften muss sie für ihre mittlerweile rund 55.500 Abonnenten als Werbung kennzeichnen, wie sie es auch in den letzten Jahren getan hatte. Im Prozess am Berliner Landgericht musste sie jedoch eine Niederlage einstecken. Das Gericht entschied: Markiert die Bloggerin Marken auf ihren Instagram-Bildern, muss sie den Post als Werbung kennzeichnen.


Der Fall Frost

Rechtsanwalt Dominik Schmidt von der Kanzlei Schürmann Rosenthal Dreyer hat sich auf Urheber- und Medienrecht, Werbe- und Wettbewerbsrecht, IT-Recht sowie Lizenz- und Vertragsrecht spezialisiert. Für ihn zeigen die aktuellen Fälle eine Grauzone im Influencer Marketing auf: „Gerade in den letzten Tagen sind die Fälle unter anderem von Vreni Frost, Louisa Dellert und Kimberly Devlin-Mania publik geworden, die allesamt aus sehr zweifelhaften Gründen für angebliche ‚Schleichwerbe-Postings' auf Instagram vom ‚Verband Sozialer Wettbewerb' (VSW) abgemahnt wurden, weil Posts nach der - sehr gewagten - Ansicht des VSW bezahlt gewesen seien sollen und daher als Werbung hätten gekennzeichnet werden müssen. Diese Ansicht des VSW wurde nach unseren Informationen offenbar von einigen Landgerichten tatsächlich bestätigt und es wurden entsprechende einstweilige Verfügungen erlassen, obwohl alle drei Influencer - recht glaubhaft - versichern, dass es sich jeweils um keine kennzeichnungspflichtigen Partnerschaften gehandelt habe."

Auch Martin Gerecke, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS, sieht das Verfahren rund um die Influencer skeptisch. Er berät Unternehmen und Einzelpersonen im Urheberrecht, Presse- und Äußerungsrecht sowie zum Recht der neuen Medien: "Der Sinn sozialer Netzwerke besteht darin, sich mit anderen auszutauschen, sich zu inspirieren und über Verlinkungen, Hashtags und Markierungen Anregungen, Informationen und häufig auch Kritik zu vermitteln. Viele Influencer - gerade im Fashion-Bereich - interagieren auf diese Weise mit ihren Followern. Die Verlinkung von Marken - genau wie die Verlinkung auf Personen - ist dann häufig nur ein Hinweis auf das Unternehmen, mit dem deren Auffindbarkeit dem Follower erleichtert wird. Eine solche Verlinkung pauschal als Werbung anzusehen, verkennt den Zweck von Social Networks." Aus seiner Sicht führe dies dazu, dass Influencer in den sozialen Medien Beiträge pauschal als Werbung kennzeichnen, obwohl es sich nicht um werbliche Inhalte handele. "Mehr Transparenz bewirkt dies nicht - im Gegenteil. Das ist der Ausverkauf des Trennungsgebotes."


Anders sieht es der VSW. Wie der Branchendienst Lead digital berichtet, hat der umstrittene Verband nach Angaben des Kammergerichts Berlin 142 Verfahren allein im Jahr 2017 ins Rollen gebracht. Dieses Jahr könnte diese Zahl getoppt werden, denn im ersten Halbjahr gab es bereits 82 Verfahren. In einer Podiumsdiskussion mit Vreni Frost „Transparenz: Was ist Werbung, was ist Meinung" erklärte Rechtsanwalt Momme Funda zu den Massenabmahnungen: „Für mich sieht das nach missbräuchlichem Verhalten aus."

Der VSW, der die Abmahnungen im Fall Frost verschickt hatte, äußerte sich auf Anfrage zu den Abmahnungen gegen Influencer so: „Personen mit einer großen Anzahl von Followern (z.B. 50.000), die noch dazu Verlinkungen auf eine Seite eines Unternehmens vornehmen, müssen ihre Posts als Werbung kennzeichnen, selbst wenn sie das präsentierte Produkt von einem Unternehmen kostenlos und ohne Vorgaben erhalten haben", erklärt es Ferdinand Selonke, Anwalt beim VSW. Weiter heißt es zu den Auswirkungen des Urteils:

„Ausweislich der bislang vom Verband erstrittenen Urteile ist eine Tendenz dahingehend zu erblicken, dass zumindest dann, wenn der Influencer das Interesse an dem Produkt dadurch weckt, indem er dieses am eigenen Körper bzw. im Zusammenhang mit seiner Person präsentiert und den Produktabsatz dadurch erleichtert, dass der Interessent bei Betätigung eines im Post befindlichen Links, auf den jeweiligen Account des Produktanbieters geleitet wird, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschäftliche Handlung besteht. Ob der Influencer die Weiterleitung mit der Verlinkung im Einzelfall honoriert bekommt, ist hierbei ohne Bedeutung, da nach dem Gesamtzusammenhang durch entsprechendes Tun zumindest auch das eigene gewerbliche Handeln gefördert werden soll."


Was Blogger wirklich nervt

„Jetzt kommen wir zu dem Punkt, der mich am meisten bei dieser Geschichte interessiert: Was bringt es, wenn wir nun alles kennzeichnen? Denn hier lauern schon wieder rechtliche Fallen auf uns", erklärt Vanessa Blumenthal in einer ihrer Instagram-Stories. Sie erreicht mit ihren Lifestyle-Themen täglich 320.000 Nutzer. Seit Tagen spricht sie mögliche Folgen des Urteils immer wieder an, um andere Influencer vor der Abmahnfalle zu schützen. „Nehmen wir ein Beispiel: Ich trage ein Shirt, wo Levis drauf steht. Levis kennt mich gar nicht und die finden meinen Account sowieso total doof. Jetzt schreib ich drüber, das es sich um Werbung handelt. Das heißt ich erwecke den Anschein, ich würde mit Levis kooperieren. Die finden das aber unlustig, wollen nicht mit mir in Zusammenhang gebracht werden. Jetzt schicken die mir eine Abmahnung und wollen noch Schadensersatz haben, weil ich ihrem Image geschadet habe." Es ist nur ein Beispiel, zeigt aber die ganze Misere, in denen die Influencer und Blogger in ganz Deutschland seit dem Urteil stecken.

Klar ist aber auch, einen Fall wie ihn Vanessa Blumenthal schildert, gab es bis jetzt noch nicht: „Theoretisch ist es denkbar, dass auch der Inhaber einer Marke einen Influencer abmahnt. Doch häufig schadet sich so die Marke selbst und es könnte zu negativer Berichterstattung kommen. Im privaten Bereich darf auch jeder mit einem Markenlogo rumlaufen, ob es dem Markeninhaber passt oder nicht. Sobald es den Anschein hat, dass jemand auf dem Rücken der Marke eigene gewerbliche Position stärken will, kann der Markeninhaber jedoch dagegen vorgehen", erklärt Arne Neubauer, Rechtsanwalt bei Osborne Clarke aus Hamburg. Wenn die ganze Aufmachung nach Werbung schreit, dann spricht einiges dafür, dass die Abmahnung berechtigt ist. „Regel sollte sein: Keine Verlinkungen oder Hashtags zum Unternehmen", so Neubauer.


Verbände wollen zur einheitlichen Rechtslage beitragen

Influencer müssen zurzeit selbst ihre Freunde als Anzeige kennzeichnen und auch Produkte, die selbstgekauft sind, benötigen ein Etikett. Sonst könnte es Mahnschreiben von Organisationen geben. Martin Gerecke erklärt, dass erst einmal entscheidend ist, ob es sich um einen kommerziell genutzten Account handelt oder nicht. Seine Einschätzung:

"Mit dem Urteil des Landgerichts Berlin ist klar, dass Verlinkungen auf Unternehmen als Werbung anzusehen sind, weil - so das Gericht - auch dies bereits objektiv der Förderung des Absatzes des Unternehmens diene und es diesem ermöglicht werde, einem interessierten Publikum seine Produkte zu präsentieren und gegebenenfalls zum Kauf anzubieten. Dafür muss keine Kooperation mit dem Unternehmen vorliegen; das Unternehmen muss nicht mal wissen, dass es vom Blogger verlinkt wird. Voraussetzung sei lediglich, dass der Influencer geschäftlich handele, was nach Ansicht des Gerichts bei einem Instragram-Account mit mehr als 50.000 Followern der Fall sei."

In Deutschland gibt es Hunderte von Verbänden, von denen jeder andere Regeln hat. Zusätzlich entscheidet jedes Bundesland in Sachen Werbekennzeichnung unterschiedlich. Und Verbände wie der VSW beziehen sich auf Nachfrage zunächst auf das Presserecht. Dessen Anwalt Selonke sagt dazu: „Der Verband stützt sich bei der bisherigen Bewertung auf das für den Pressebereich entwickelte Gebot der Trennung von Werbung und redaktionellem Teil."

Anders als der VSW, der in der Vergangenheit auch in anderen Kontexten durch rigide Abmahnungen in Erscheinung trat, will die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (Wettbewerbszentrale) nicht nur abmahnen, sondern auch zur Klärung von Rechtsfragen beitragen. „Influencer Marketing findet nicht im rechtsfreien Raum statt", meint Christina Kiel, Juristin bei der Wettbewerbszentrale. „Influencer, die Schleichwerbung betreiben, wie auch die Unternehmen, für die Schleichwerbung betrieben wird, müssen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen." Weil aber etliche Einzelfragen zur Kennzeichnung von Instagram-Werbepostings bisher ungeklärt sind, braucht es einen Leitfaden.

So gilt die Wettbewerbszentrale neben der Landesmedienanstalt als einzige Instanz der deutschen Wirtschaft, die der Verfolgung wirklich gravierender Wettbewerbsverstöße nachgeht - und das schon seit 1913 als Selbstkontrollorgan. Vergangenes Jahr gaben sie einen Leitfaden für Influencer Marketing heraus. Was sofort auffällt: Oft wird mit Worten wie „könnte", „sollte genügen" formuliert. Eine aktuelle Version liegt zurzeit nicht vor.


Richtig gekennzeichnete Werbung sieht so aus:

Was also nun tun, um der Abmahnung aus dem Weg zu gehen? Hier eine Liste, wie Anwälte die Lage zurzeit einschätzen:


- Eine richtige Kennzeichnung ist transparent und sieht deshalb so aus, dass die jeweiligen Adressaten die Werbung auch als solche erkennen können. - Unterschiedliche Medienformen, unterschiedliche Regeln. Die Regeln für Bewegtbild (also zum Beispiel YouTube, Vlogs oder Instagram Video Stories) sind teilweise etwas anders als für klassisches Blogging, Facebook- oder Instagram-Posts. - Grundsätzlich muss bezahlter Content als solcher verstanden werden. - Wenn man die Marke verlinkt und einen Hashtag für die Marke setzt, muss man es als Werbung kennzeichnen. - Grauzonen beginnen dort, wo Influencer auf Läden verlinken, die sie besucht haben, aber selbst zahlen. Hier entscheidet das Gericht, ob Empfehlungsmarketing als Werbung gekennzeichnet werden muss. - Quittungen für bezahlte Einkäufe sollte man erst einmal aufbewahren. - Privatpersonen, die noch nie eine Werbung auf ihrer Seite hatten, die keine Kooperationen mit Marken eingegangen sind oder Geschenke erhalten haben: Sie sind erst einmal sicher.

Sicher scheint sich noch keiner genau zu sein, wie Werbung in der Timeline und in den Stories gekennzeichnet werden muss. Klar ist, Stand heute, dass laut Gericht und Anwälten gewerbliche Accounts lieber alles als Anzeige oder Werbung kennzeichnen. Sonst flattert die nächste VSW-Abmahnung ins Haus.

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