Fast 1.700 tatverdächtige Kinder gab es im vergangenen Jahr in Leipzig. 2015 waren es etwa 600. Der Linken-Politiker Rüdiger Ulrich ist von diesem Anstieg überrascht. Im Jugendhilfeausschuss der Stadt Leipzig, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, seien die Zahlen bisher nicht zur Sprache gekommen: "Wir werden über eine Anfrage im Stadtrat hinterfragen, was hinter den Zahlen steckt. Was sind das für Tatverdächtige, wie lässt sich das erklären?"
Achim Haas von der CDU kann sich den rapiden Anstieg auch nicht erklären, hat aber eine Vermutung: "Das ist mit Sicherheit eine Fortsetzung der Dinge, die wir seit Jahren anmahnen - Thema Schulabbrecher, Schulschwänzer. Hier fordern wir seit Jahren, dass die Stadt den Eltern eine konkrete Hilfestellung gibt." Auch Haas will das Thema in seinem Ausschuss besprechen.
Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen, zieht bei der Suche nach Antworten die Kriminalstatistik für ganz Sachsen zu Rate. Die zeigt: Die Delikte, mit denen die unter 14-Jährigen landesweit in Verbindung gebracht wurden, haben in jedem zweiten Fall mit Verstößen gegen das Aufenthalts- oder Asylgesetz zu tun: "Insbesondere betrifft das Verstöße gegen Meldeauflagen, gegen Aufenthalts- oder Wohnbeschränkungen. Und das sind halt Straftaten, die ein Deutscher nicht begehen kann."
Das gleiche gilt für das Aufenthaltsgesetz. Gegen das verstößt, wer zum Beispiel sein Visum nicht verlängert und trotzdem in Deutschland bleibt. "Das sind solche klassischen Straftaten. Da geht es also nicht um Raub, Diebstahl oder Mord", erklärt Kasek.
Hinzu komme: Die Kriminalstatistik gebe nur Auskunft über das, was tatsächlich angezeigt wurde - nicht über die konkrete Zahl der Straftaten. Zeige ich nicht an, dass mein Fahrrad gestohlen wurde, wird der Fall zur Dunkelziffer. Bei der sogenannten Ausländerkriminalität sei das anders: "Da gibt es im Grunde keine Dunkelziffer, weil nahezu alle Straftaten direkt abgebildet werden. Das hängt damit zusammen, dass die Daten der Personen sofort offenkundig und bekannt sind."
Dennoch: In keiner anderen Altersgruppe gab es ein so großes Mehr an Tatverdächtigen wie bei den unter 14-Jährigen. Wie kommt der enorme Zuwachs von 172 Prozent zustande? Die Nachfrage von MDR AKTUELL bei der Leipziger Polizei blieb unbeantwortet. Innerhalb von zwei Tagen war kein Ansprechpartner zu finden. Und auch die Stadt tat sich schwer mit einer Antwort. Erst nach mehrmaliger Aufforderung gab es eine kurze schriftliche Stellungnahme. Darin heißt es: "Eine Erklärung für die wachsende Jugendkriminalität könnten der kontinuierliche Anstieg der Geburten ab dem Jahr 2000 sowie ein verändertes Anzeigeverhalten sein."
Anmerkung der Redaktion: Nach Veröffentlichung dieses Beitrags hat sich die Polizeidirektion gegenüber MDR AKTUELL zu dem Thema geäußert.
Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: Radio | 18.05.2017 | ab 06:38 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 18. Mai 2017, 07:51 Uhr