McNeill hat diese Form der Gesten in den 1990er Jahren in vier Basistypen unterteilt. Er unterscheidet zwischen deiktischen, ikonischen und metaphorischen Gesten sowie den so genannten „Beats." Letztere kann man als eine Art Taktstock-Gesten verstehen: Während einer Rede werden die zentralen Worte von Armschlägen oder Klopfbewegungen unterstrichen und erlangen so eine besondere Bedeutung. Die deiktischen, also zeigenden Gesten, werden schon von Kleinkindern genutzt. Sie verweisen auf Orte oder Dinge, aber auch auf Personen oder den Sprecher selbst. Ikonische Gesten hingegen beziehen sich auf bildhafte Vorstellungen, etwa wenn man die Form einer Statue beschreibt, und die Hände dabei den Sockel formen oder man von einem Boxkampf erzählt und die Fäuste währenddessen die zentralen Schläge nachahmen. Ähnlich funktionieren die metaphorischen Gesten - sie beziehen sich allerdings eher auf abstrakte Begriffe. So kann ein Redner etwa die Worte: „Dieses Thema lassen wir jetzt erst einmal beiseite", mit einer Geste verdeutlichen, in der eine Hand ein imaginäres Ding fortschiebt. Es gibt aber auch symbolische Gesten, die für sich sprechen - die so genannten sprachersetzenden Gesten: So verstehen wir ohne Probleme den erhobenen Zeigefinger, der nach links und rechts ausschlägt, als klares "Nein" oder die offene Handfläche am ausgestreckten Arm als Signal: "Stopp!"
Gesten sind angeboren oder kulturell erlerntSolche sprachersetzenden Gesten werden in der Regel gelernt wie eine Sprache und können sich daher auch kulturell unterscheiden. So begrüßt man sich in afrikanischen Ländern vielerorts mit einem Händeklatschen oder Schnalzen der Finger, während in Deutschland unter Unbekannten meist die Hände geschüttelt werden. Im Gegensatz zu solchen bewusst gewählten, sprachersetzenden Gesten gibt es aber auch spontane Hand- und Armbewegungen, die anscheinend angeboren sind. So reißen Sportler ohne lange nachzudenken ihre Arme in die Höhe, wenn sie einen Wettkampf gewonnen haben. Wie Jessica Tracy und David Matsumoto von der University of British Columbia beobachteten, verleihen selbst blinde Judokas ihrem Stolz nach dem Gewinn eines Wettkampfs durch diese markante Geste Ausdruck. Umgekehrt sackten bei der Untersuchung alle nach einer Niederlage enttäuscht zusammen. "Da Blinde sich diese Zeichen zum Ausdruck von Stolz oder Scham nicht von andern abgeguckt haben können, beruhen sie vermutlich auf inneren Mechanismen", seien also angeboren, schließt die Psychologin Jessica Tracy aus ihren Beobachtungen. Allerdings beobachteten die Psychologen auch einen Unterschied im Verhalten der Judokas. Demzufolge zeigten asiatische Sportler ihre Schamgefühle offener als ihre westlichen Kollegen. Die Forscher vermuten, dass Europäer und US-Amerikaner den Ausdruck von Scham eher vermeiden, weil das Gefühl in ihren individualistischen Gesellschaften negativ gedeutet wird und man sich lieber keine Blöße geben möchte.
Unzertrennlich: Gesten und SpracheDie verschiedenen Gestentypen zeigen: Sprache und Gestik sind eng miteinander verflochten. Das zeigt sich auch im Gehirn, wie ein Forscherteam um den US-amerikanischen Neurowissenschaftler Allan Braun bei einer Studie aus dem Jahr 2009 entdeckte: Zwanzig Teilnehmer sahen ein Video mit pantomimischen Gesten wie etwa das Öffnen einer Flasche oder hörten den passenden lautsprachlichen Ausdruck dazu. Währenddessen wurde ihr Gehirn in einem Magnetresonanztomographen gescannt. Dabei zeigte sich im Gehirn eine erhöhte Aktivität vor allem in einem als Sprachzentrum bekannten Areal. Dieses umfasst den inferioren sowie den posterioren temporalen Cortex, welche einen markanten Spalt, die Fissura Sylvii umgeben. In diesem Bereich befinden sich auch das Broca- und das Wernicke-Areal, die für die Verarbeitung grammatischer und syntaktischer Information bekannt sind. "Unsere Ergebnisse passen zu einer lange bestehenden Theorie, die sagt, dass die gemeinsamen Vorfahren aller Menschen und Affen durch bedeutungsvolle Gesten kommunizierten", erklärt Allan Braun vom National Institute of Deafness and Other Communication Disorders. Mit der Zeit hätten sich diese Gesten verarbeitenden Gehirnregionen so ausgebildet, dass sie heute auch bedeutungsvolle Laute verarbeiten könnten. "Wenn diese Theorie richtig ist, dann sind unsere Sprachareale tatsächlich die Überreste eines uralten Kommunikationssystems. Und dieses System verarbeitet auch weiterhin die Bedeutung von Gesten, daneben aber auch menschliche Sprache."
Gesten und Sprache beeinflussen sichIn eine ähnliche Richtung weist auch eine Entdeckung des Linguisten Jan-Peter de Ruiter, der an der Universität Bielefeld lehrt. Er beobachtete, dass Menschen in einem Gespräch Gesten und Worte zeitlich aneinander anpassen. Wurde etwa eine lange anhaltende Zeigegeste ausgeführt, verzögerte sich das Sprechen etwas. Umgekehrt führte ein Versprecher oft dazu, dass eine zeitgleich ausgeführte Geste stoppte, bis die richtigen Worte gefunden waren. Die Sprache passte sich also der Gestik an, ebenso wie Gestik an Sprache. Auch in der kindlichen Sprachentwicklung scheinen Gesten eine entscheidende Rolle zu spielen: So verfügen Kinder Untersuchungen von Susan Goldin-Meadow von der University of Chicago zufolge über einen größeren Wortschatz, wenn sie in den ersten Lebensmonaten oft Zeigegesten benutzt haben. Zudem gelinge das Verstehen von komplexen Zusammenhängen im Unterricht besser, wenn der Lehrer auch Gesten zur Erklärung verwendet. Selbst wenn ein Großteil unserer Kommunikation durch die wörtliche Sprache geprägt ist, spielen Gesten dennoch eine entscheidende Rolle für das Verständnis. Auch unsere Hände sind also durchaus beredt und verdienen hin und wieder ein bisschen Aufmerksamkeit.