Die Pandemie hat die Wünsche an das eigene Zuhause
verändert. Das zeigt eine Umfrage von ZEIT und ZEIT ONLINE unter
Tausenden von Mietern in Deutschland. Was Mieter derzeit erleben – und was das für die
Wohnungskrise bedeutet.
Zehn Jahre lang war Hartmut Kasper seine Wohnung gut genug. Sie lag in einem Mehrfamilienhaus, mitten in Bochum. Die Innenstadt mit ihren Läden und Cafés: keine zwei Kilometer entfernt. Auch sein Arbeitsplatz war zu Fuß erreichbar. 45 Quadratmeter, gut bezahlbar von seinem Gehalt als Krankenpfleger. Aber dann kam Corona, die Stadt machte dicht. Draußen blickte Kasper jetzt in misstrauische Augen seiner Nachbarn. Er mied die engen Busse und fühlte sich unwohl, wenn er im Supermarkt Schlange stand. Also blieb er drinnen. "Während der Pandemie bleibt einem in der Stadt fast nichts mehr übrig, als durchs Fenster aufs nächste Haus zu starren", sagt der 62-Jährige, "was macht man denn da?"
Ja, was macht man da? Diese Frage wird gerade oft gestellt. Aber nur wenige finden Antworten, die sich auch umsetzen lassen. Das zeigt eine Befragung von ZEIT ONLINE und der ZEIT unter rund 6400 Mieterinnen und Mietern im Alter von 18 bis 69 Jahren. Das auf Statistikdaten spezialisierte Institut Statista Q hat sie so ausgewertet, dass sich repräsentative Aussagen treffen lassen. Viele Befragte haben ihre Erfahrungen geteilt, einige zitieren wir hier anonym, manche haben wir persönlich zu ihrer Lage befragt. Unter ihnen Hartmut Kasper aus Bochum, aber auch eine Familie mit einem umfunktionierten VW-Bus aus und ein Paar in Not aus Düsseldorf.
Der große ZEIT-Mietermonitor
Wie verändert die Pandemie die Lage der Mieterinnen und Mieter in Deutschland? Um das herauszufinden, haben ZEIT ONLINE und die ZEIT im Februar 2021 rund 6400 Menschen befragt. Marktforschungs-Experten des Instituts Statista Q haben diese Daten ausgewertet und nach soziodemografischen Merkmalen repräsentativ gewichtet, sodass die Befragung valide Rückschlüsse auf die Lage von Mietern im Alter von 18 bis 69 Jahren in Deutschland zulässt. Zudem lassen sich die Ergebnisse mit denen einer ersten Befragung 2019 vergleichen.
Was viele verbindet: Vier von zehn Befragten sagen, dass sie eigentlich umziehen müssten. Manche hätten gerne ein kleineres, manche ein altersgerechtes Domizil. Öfter als vor der Pandemie mangelt es an Platz: 31 Prozent der Umzugswilligen finden ihre Wohnung zu klein.
Doch eine neue Bleibe zu finden ist schwierig - auf ein Inserat kamen beim Portal Immobilienscout zuletzt im Schnitt 33 Anfragen, in sogar 155. Es bedeutet auch meist: mehr Miete. Kurzum, in der Pandemie haben viele Menschen einen Lockdown im doppelten Sinne erlebt: Sie mussten in ihren vier Wänden bleiben, statt rauszugehen - und anstatt umzuziehen.
Die Folge: Viele Menschen wollen raus aus den Städten. Sie suchen ihr Glück dort, wo sie mehr Platz haben - etwa in den Speckgürteln oder stadtnahen Regionen. Und sie wollen andere Unterkünfte als früher: größere und grünere. Die neuen Wünsche fallen in eine Zeit, in der die Lage auf dem Wohnungsmarkt ohnehin angespannt ist. Das zeigt eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis der Daten des Mikrozensus. Danach haben die Bewohner jedes zweiten Mieter-Haushalts nicht den Platz, der im Sozialrecht als angemessen gilt, oder sie zahlen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete - aus Sicht von Experten eine kritische Schwelle. Selbst in schrumpfenden Städten entspanne sich die Situation nicht, so die Autoren der Studie.
Woran der Umzug scheitert
42 % der Mieter sagen, sie müssten eigentlich umziehen. Es gelinge ihnen nicht, weil*...
In der ZEIT-Umfrage antwortet ein Mann aus einer Kleinstadt in Bayern auf die Frage nach seiner Mietsituation: "Günstige Miete, allerdings eine Bruchbude. Zu wenig Platz für drei Kinder. Es fehlt ein Zimmer. Nur ist eine größere Wohnung selbst mit unseren guten Gehältern fast nicht zu bekommen. Bei einem Kauf wären wir bei 1,2 Millionen Euro. Das geht einfach nicht."
Eine Frau aus Thüringen sagt: "Um mehr Geld für Ausflüge zu haben, haben wir uns an einen Kompromiss gewöhnt: Das Wohnzimmer ist Elternschlafzimmer und Arbeitszimmer in einem. Allerdings hat die Pandemie die Vor- und Nachteile vertauscht: Eine größere Wohnung wäre besser, Ausflüge sind sowieso kaum drin."
Viele Apartments in der Stadt verlieren in der Pandemie ihren Charme - doch kehrt sich das nicht wieder um, sobald der Ausnahmezustand endet?
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