Leon Igel

Journalist , Zürich/Mannheim/Fulda

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Artikel

Mein virtueller Semesterbeginn: Das professorale Bücherregal ist jetzt schon ikonisch

An diesem Montag hat an den meisten deutschen Hochschulen das Semester mit digitalen Veranstaltungen begonnen – und fast überall heißt es „Zoom“ oder „down“. Fünf Studenten schildern ihre ersten Eindrücke.


Universität Mannheim: Bitte ausreden lassen ...


Ich studiere an der Uni Mannheim. Die hat internationale Semesterzeiten, das Semester beginnt im Februar. Für mein Seminar zur Filmgeschichte des europäischen Melodramas treffen wir uns also schon seit Wochen vor dem Computer - Einblick in die Wohnungen der Kommilitonen und Professoren inklusive. Da zwei Professoren das Seminar leiten, kann man deren Arbeitszimmer gut vergleichen. Im Bildhintergrund der Professorin (Romanistik) thront ein mächtiges Bücherregal und eine Topfpflanze, der Professor (Germanistik) inszeniert sich filmisch hingegen spartanisch. Außer einer weißen Wand, an der zwei gemalte Bilder seiner Kinder hängen, zeigt er uns 24 Studierenden nichts. Auch ich sitze mit meinem Laptop vor einer Wand, das Bücherregal müsste ich erst noch aufräumen.

Abgesehen von den Fragen des Bildausschnittes hat sich am Seminar nicht viel geändert. Die Technik (Zoom) funktioniert zuverlässig, wir können die 90 Minuten vollständig nutzen. Es gibt Referate, die Diskussionen sind rege, die Professoren moderieren und man schreibt fleißig mit. Am Ende verlässt man den digitalen Seminarraum klüger, als man ihn betreten hat. Eines fällt aber auf: Die Schwachstellen der Seminare verschärfen sich. Es ist immer verlockend, aus dem Fenster zu schauen statt zuzuhören. Im Uni-Raum siegt der Anstand, im digitalen Raum merkt es niemand, wenn man an der Kamera vorbeischaut. Gleichzeitig ist es viel wichtiger als sonst, höflich zu sein und einander aussprechen zu lassen. Man kann niemandem elegant ins Wort grätschen und hitzige Wortgefechte bleiben aus. Vielleicht hatte man genau davor Angst, als man digitale Uni-Seminare noch für unmöglich hielt.

Literaturwissenschaftler haben ein schwieriges Verhältnis zum Digitalen. Zwar weiß man um die Vorteile des digitalen Arbeitens, man betont aber stets dessen Nachteile. Die persönliche Diskussion im Seminarraum wird als Grundlage des Erkenntnisfortschritts gepriesen. Corona zeigt, dass der Digital-Pessimismus übertrieben ist.


 Leon Igel, 24 Jahre, Master Germanistik, 2. FS

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