Der moderne Mann, so scheint es, ist auf der Suche nach seiner Männlichkeit - und findet Hilfe in Youtube-Tutorials oder Ratgeber-Büchern mit Titeln wie "Männlichkeit stärken" oder "Die wahre Kraft des Mannes". Die Message dieser Männercoaches ist: Frauen haben ihren Platz in der Gesellschaft gefunden - nun sind wir Männer dran. Allerdings ist das männliche Ideal, das sie präsentieren, eine Mischung aus Stereotypen wie Stärke, Macht und Erfolg. Weit ab von diesem Klischeebild "Mann" bewegt sich der Journalist Jack Urwin, Jahrgang 1992. In seinem Buch "Boys don't cry" - Männer weinen nicht - stellt er das traditionelle Männerideal in Frage und damit auch gleich die Unterteilung in männliche und weibliche Identität generell.
"Ihr" Aufstieg ist "sein" AbstiegWer denkt, Maskulinisums und Frauenhass sei längst überwunden und der Feminismus habe gesiegt, liegt falsch. Noch immer ist "die Frau" Feindbild vieler Männer. "Ihr" gesellschaftlicher Aufstieg sei schuld an "seinem" gefühlten Abstieg. Oder wie Jack Urwin schreibt: an seiner "Entmannung". Die Folge: Männer suchen Wertschätzung in Gewalt und Kleinkriminalität. Toxische Männlichkeit - das ist ein strukturelles Problem, das sich nicht nur in krassen Beispielen wie Massenmord, Vergewaltigungskultur oder im Hooliganismus zeigt. Es lässt sich auch im Alltag finden, zum Beispiel in der Mob-Mentalität bei Fußballspielen und in Filmen wie Fight Club.
Die Gesellschaft leidet unter "toxischer" MännlichkeitDie Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann sich umbringt oder seinen Kummer im Alkohol ersäuft, ist im Durchschnitt höher als bei Frauen. Schuld daran: der Mann selbst, der zu stolz ist, sich Hilfe zu suchen. Der Mythos vom starken, mutigen und erfolgreichen Mann schadet nicht nur ihm selbst, sondern vor allem seinen Mitmenschen, seiner Partnerin, seinen Kindern. Jack Urwin weiß, wovon er spricht: Seinen Vater hat er früh verloren. Im Badezimmer war er vor seinen Augen zusammengesunken und an einem Herzinfarkt gestorben. Das wäre nicht passiert, wäre der mal zum Arzt gegangen, glaubt Urwin. Sein Credo: Wir müssen nicht wie unsere Großväter sein, kriegsversehrt und unfähig, über Gefühle zu sprechen. Dieses starre Männlichkeitsbild muss sich endlich ändern. Noch immer ist es jedoch Vorbild für viele, egal ob in Erziehung, Beruf, Werbung oder Mainstream-Medien.
Stärke, Macht und Erfolg - männliche StereotypeZwar hat Jack Urwin das Gefühl, dass sich in seiner Generation nun endlich etwas tut - trotzdem ist er zurzeit eher pessimistisch gestimmt. Der Grund dafür: zum Beispiel Donald Trump.
Trump steht symbolisch für eine Bewegung, zu der Jack Urwin auch die extrem Rechten in Europa zählt. Für den Autor ist sie eng mit dem traditionellen Ideal von Männlichkeit verknüpft - und das bedeutet einen Rückschritt in Sachen moderner Männlichkeit. Jack Urwin liefert mit seinem Buch "Boys don't cry" keine völlig neuen Überlegungen, die nicht schon seit vielen Jahrzehnten im feministischen Diskurs behandelt werden. Trotzdem ist dieses Buch wichtig: weil es die Stimme eines jungen, feministischen und männlichen Selbstverständnisses ist. "Boys don't cry" ist der Anti-Ratgeber für all die einsamen männlichen Wölfe.