Riesige Hotelblöcke verdrängen einheimische Pensionen, die Skipässe werden immer teurer und: Wo ist eigentlich die Idylle aus dem Urlaubspanorama hin? Die Alpen befinden sich inmitten in einer Gentrifizierungswelle. Was man bisher vor allem aus hippen Großstadtvierteln kannte, hat nun auch den Berg erreicht. Doch noch gibt es sie, die gallischen Dörfer, die Skifahren abseits von der Piste und Après-Ski-Ballermann anbieten. Nur: wie lange noch?
La Grave, ein abgelegenes Dorf in den französischen Alpen, etwa eine Stunde und viele Serpentinen-Kilometer entfernt von Grenoble, ist ein Freeride-Juwel: Ohne Pisten und ohne viel Luxus kann man hier die abenteuerlichsten Touren wagen - allerdings nur mit Lawinenausrüstung. Die Newcomer bekommen einen Guide an ihre Seite gestellt. „La Grave ist einzigartig. Du steigst auf 3.200 Metern aus der Gondel aus und bist alleine - auf dich gestellt", sagt der schwedische Buckel-Pistenmeister und Freerider Pelle Lang, der in La Grave das Hotel „Skiers Lodge" betreibt. In La Grave ist alles recht einfach, nach Luxus muss man hier lange suchen. Aber danach sucht Pelle auch gar nicht: „Du triffst hier interessante Menschen aus der ganzen Welt."
Vor der ZeitenwendeKilometerweit nur Schnee, keine Hütten, keine befestigten Pisten - La Grave ist ein Paradies für Freerider, in dem sich die Szene aus der ganzen Welt trifft. Bisher von Investoren verschont, steht das Dorf jetzt vor einer Zeitenwende: Der 82-jährige Skiliftbetreiber hört in diesem Jahr auf, die Bahn muss dringend renoviert und modernisiert werden. Dafür wird nun ein Investor gesucht. Unter den Freeridern geht nun die Angst um: Wenn tatsächlich ein Großinvestor den Zuschlag erhält, dann wird eine Veränderung kaum zu verhindern sein. Das Horrorszenario der Freerider: La Grave wird mit anderen Skigebieten zusammengeschlossen, Pisten werden anlegt, der Berg domestiziert.
Domestizieren der AlpenGenau wie im französischen La Grave überlegt man auch in den bayerischen Alpen, wie man am besten auf die Klimaveränderungen reagiert: Welches Businessmodell macht Sinn? Wie verlängern wir die Saison? Welche alternativen Märkte gibt es abseits vom Skitourismus? Wie am Riedberger Horn schließen sich in den Alpen immer mehr kleine Skigebiete zusammen, um mit mehr Pistenkilometern auf dem Markt attraktiver zu werden. „Man versucht dabei einfach den schwindenden Markt der Skifahrer für sich zu gewinnen", erklärt Tobias Hipp vom deutschen Alpenverein. Landschaft und Natur würden aber oft unter diesen Entwicklungen leiden, erklärt Hipp: „Die Gefahr ist, dass damit eine Zone erschlossen wird, die seit den 70er Jahren durch den bayerischen Alpenplan mit einem Tabu für Erschließungen belegt ist."
Fun- und Eventtourismus auf dem VormarschFür Hasardeure wie Pelle Lang aus La Grave könnte der natürliche Lebensraum bald knapp werden. Längst drängen riesige Firmen ins Business, multinationale Investoren, die den Ski-Markt auch für chinesische und russische Kunden öffnen wollen. Die Deals beschränken sich dann meist nicht auf das Betreiben einer Gondel. Die Geldgeber wollen nicht nur an der Liftkarte verdienen, sondern Hotels bauen und dann Packages, sprich Skitickets, Hotelübernachtung und Essen auf einmal verkaufen. Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein sieht eine klare Entwicklung in Richtung Fun- und Eventtourismus: „Wenn das normale Skifahren, Wandern, Mountainbiken nicht reicht, dann wird eben mit Funparks, mit Alpine-Coasters, Seilrutschen und großen Spielplätzen auf 200 Metern nachgeholfen." Ein Massentourismus würde vor allem die Struktur der historischen gewachsenen Bergdörfer verändern.
Ist Gentrifizierung immer negativ?Aber Gentrifizierung muss nicht immer nur negativ sein. Manchmal gibt es sogar innerhalb von Familien unterschiedliche Positionen. Auch La Grave hat eine Fraktion, die den Einstieg von Investoren begrüßt. Wie Ayse, die türkische Ex-Frau von Pelle Lang, zusammen betreiben sie die „Skiers Lodge": „Wir brauchen jemand, der sich langfristig engagiert und hier etwas aufbaut." Angst davor, dass die großen Investoren dann zu Konkurrenten werden und ihr die Kunden streitig machen, hat Ayse nicht. Schon jetzt ist sie ausgebucht und muss Kunden an andere Pensionen abgeben. Der Ort kann mehr Touristen vertragen, findet Ayse. Vielleicht auch ein paar mehr Geschäfte, eine Bäckerei oder ein Schwimmbad. Für sie steht jedenfalls fest: In La Grave muss sich etwas ändern. Denn manchmal muss man verändern, um zu bewahren.