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Mit Nazis reden? Dortmunder Professor macht Ausstiegsarbeit zu seinem Hobby

"Ich gebe niemanden auf"

Dieser Mann macht Ausstiegsarbeit für Rechtsextreme zu seinem Hobby

Dierk Borstel, Professor an der FH Dortmund: Er findet es wichtig, mit Rechtsextremen zu reden, während sie noch in der Szene sind. (Quelle: Lena Heising)

Mit Nazis reden? Für Dierk Borstel ist das selbstverständlich. Im Jahr 2000 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Neonazi-Aussteigerorganisation EXIT-Deutschland. Heute leistet der Politikwissenschaftler in seiner Freizeit Ausstiegsarbeit in Dortmund. Dabei verfolgt er eine andere Strategie als die Dortmunder Organisation "U-Turn".

Wenn Rechtsextreme Dierk Borstel teils wütende Mails schreiben - sei es wegen einer Aussage von ihm oder wegen einer politischen Veranstaltung - schüchtert das den Politikwissenschaftler nicht ein. Im Gegenteil: Er antwortet, nimmt den Hörer ab, wenn ihn jemand anruft, und lässt sich auf eine Diskussion ein.

"Mit Rechten reden" - ob wir das tun sollten oder ob es pure Energieverschwendung ist, wird in unserer Gesellschaft immer wieder heftig diskutiert. Dierk Borstel streitet sich liebend gerne mit Rechtsextremisten. Im Jahr 2000 war er Gründungsmitglied der Aussteigerorganisation EXIT-Deutschland. Mittlerweile hat er sein Büro in Berlin gegen die Hörsäle der Fachhochschule Dortmund eingetauscht, wo er eine Lehrstelle als Professor für Politikwissenschaften hat. Die Ausstiegsarbeit machte er von seinem Beruf zu einem etwas ungewöhnlichen Hobby.

Reichsflaggen hängen aus den Fenstern eines Gebäudes in der Emscherstraße in Dorstfeld: Diese Straße ist eine Hochburg von Rechtsextremen. (Quelle: Jochen Tack/Archivbild/imago images)

"Ich werde den Teufel tun und betteln"

Im Gespräch mit Neonazis versucht Borstel, sie kennenzulernen, Zweifel an der menschenverachtenden Ideologie zu sähen und ihnen - falls er Erfolg hatte - beim Ausstieg zu helfen. Er hält Kontakt mit Menschen am Rand der rechten Szene und verprellt damit auch ein paar Facebook-Freunde. "Wir müssen mit den Leuten reden, solange sie noch in der Szene drin sind", sagt Borstel. Zu helfen, sobald ein Neonazi "Ich will raus" sagt, setze voraus, dass er von sich aus Zweifel an der Gruppe bekommen habe. Der Politikprofessor sagt, ihm sei bewusst, dass man mit Ausstiegsarbeit keine Massenbewegung in Gang setzen könne. "Ich halte grundsätzlich aber jeden für ausstiegsfähig. Ich gebe niemanden auf", sagt Borstel. "Aber ich werde den Teufel tun und betteln."

Borstel ist der festen Überzeugung, dass sich Menschen verändern können. "Wenn ich da einen kleinen Mosaikstein zu beitragen kann, sehe ich das auch als pädagogische Aufgabe an." Er zögert kurz. "Ein weiterer Punkt ist: Es schützt einfach Opfer." Anfang der 90er-Jahre betreute er Opfer der Verbrechen von Neonazis, darunter schwere Gewalttaten und eine Massenvergewaltigung. "Mir war aber auch immer klar, dass die Menschen auf der Täterseite die Chance haben müssen, andere Wege zu gehen - unter der Voraussetzung, dass sie Verantwortung dafür übernehmen, was sie anderen Menschen angetan haben. Das schützt einfach auch die Nächsten." Verbrechen müssten natürlich trotzdem bestraft werden. "Was schwächt die andere Szene denn am meisten? Wenn man ihnen die Leute entzieht, wenn man Zweifel sät. Das war mir immer ein Herzensanliegen: dass sie nicht die Oberhand gewinnen."

Projekt "U-Turn" setzt auf Prävention

In Dortmund helfen Mitarbeiter des Projekts "U-Turn" von dem Verein "Backup-Comeback" Menschen, die die rechte Szene verlassen möchten. Unterstützung bekommt der Verein auch von der Stadt Dortmund: 35.000 Euro fließen jedes Jahr in die Arbeit gegen Rechtsextremismus. "U-Turn" verfolgt einen anderen Ansatz als Dierk Borstel: Die Mitarbeiter dieses Projekts setzen vor allem auf Präventionsarbeit. "Ausstieg kann man nur bedingt beeinflussen, Einstieg ganz gut", sagt Lukas Schneider, Projektleiter von "U-Turn". Die Sozialarbeiter klären über Rechtsextremismus auf, gerade in Gegenden, in denen die Neonazis versuchen, neue Mitglieder zu rekrutieren. Außerdem beraten sie Eltern und Lehrer von Jugendlichen, die drohen, in die rechte Szene abzurutschen, sowie die Jugendlichen selbst.

Thusneldastraße/Emscherstraße in Dorstfeld: "Antifa umboxen!!!" steht auf einer Hauswand. (Quelle: Lena Heising)

"Neonazis können sich aber immer noch an uns wenden", betont Schneider. Momentan betreue das Projekt acht Aussteiger, jedes Jahr melden sich zwei bis vier Dortmunder bei dem Verein, weil sie die Szene verlassen möchten. "U-Turn" führt mit ihnen dann ein Beratungsgespräch und hilft ihnen anschließend, sich ein neues Leben ohne Rechtsextremismus aufzubauen. Mit Menschen in der Szene, die kein Interesse an einem Ausstieg zeigen, sprechen die Mitarbeiter nicht. Studien haben bewiesen, erzählt der Vereinsleiter Hartmut Anders-Hoepgen, dass diese Methode nicht effektiv sei.

Tür zum Ausstieg

Von der Universität sind es nur zwei S-Bahn-Stationen bis nach Dortmund-Dorstfeld, den Stadtteil, den die Neonazis als "Nazi-Kiez" für sich beanspruchen. Eine Unterstellung gegenüber eines gesamten Stadtteils: Die dort ansässige Neonazi-Szene zählt gerade mal 80 Leute. Der Unterschied zu anderen Städten sei, so Borstel, dass die Dortmunder Neonazis außerordentlich präsent und militant sind. "Wir haben es hier mit einer sehr gewaltbereiten Szene zu tun", sagt Borstel.

Doch die Szene wurde in den letzten Jahren und Monaten stark geschwächt. Das meterlange "Nazi-Kiez"-Graffiti an der Emscherstraße ließ die Stadt mit einem bunten "Our colours are beautiful"-Schriftzug übermalen, zahlreiche führende Köpfe der Rechtsextremen sitzen Haftstrafen wegen Körperverletzung ab. Borstel begrüßt diese Maßnahmen, sorgt sich aber gleichzeitig, dass die geschwächte Szene sich immer weiter radikalisiert. "Ich bin für eine starke Ausführung rechtsstaatlicher Maßnahmen", sagt Borstel. "Aber es braucht auch immer eine Tür, aus diesem Druck wieder herauszukommen. Und diese Tür muss glaubhaft sein."

"Nazi Kiez" auf einer Hauswand: Die Stadt ließ den Schriftzug übermalen. (Quelle: imago images/Jochen Tack/Lena Heising)

Terror von rechts

Laut Borstel neigt die Dortmunder Neonazi-Szene zu Rechtsterrorismus. "Wir haben bei Einzelfällen eine Radikalisierung, wir wissen auch von Bewaffnung", sagt Borstel. Vor allem ein, zwei Personen in der Szene seien momentan in einer Lebensphase, in der sie Fantasien entwickeln wie: "Das macht hier sowieso keinen Sinn, ich mache jetzt mal das ganz große Rad". Dann sei es den Leuten auch egal, ob sie lebenslang ins Gefängnis gehen oder sterben.

"Das sind Fantasien, die mir riesige Sorgen machen", sagt Borstel. "Die Personen sind da, und die Mittel sind ebenfalls da", sagt Borstel. "Wir müssen ran an die Leute. Professionell." Man müsse die Leute identifizieren, die in der Lage sind, mit ihnen zu reden. "Auch schon, um im Zweifelsfall etwas mitzukriegen."

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