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Planwirtschaft mit Gras

Medizin Cannabis gibt es bald auf Rezept. Das kann der Anfang eines Wandels in der Drogenpolitik sein


Im Jahr 2019 soll die erste Ernte THC-haltigen Hanfs eingefahren werden, staatlich zertifiziert: Die Bundesrepublik steigt ins Cannabis-Geschäft ein. Mit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes wird die medizinische Nutzung von Cannabis in Deutschland vereinfacht. Damit der von Apotheken gestellte und von den Krankenkassen bezahlte Stoff eine „angemessene und gleichbleibende Qualität" hat, wird eine staatliche „Cannabisagentur" eingerichtet. Die braucht laut dem UN-Einheitsabkommen für Betäubungsmittel von 1961 jeder Staat, der ansonsten illegale Stoffe legal vertreiben will.

Diese Agentur wird den Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland „kontrollieren und steuern", erklärte Lutz Stroppe, Staatssekretär im Gesundheitsministerium, jüngst auf einer Pressekonferenz. Das sei „ein wichtiger Schritt, um die Versorgung schwerkranker Patienten zu verbessern". Die Darreichung sei in Form getrockneter Blüten oder als Extrakt geplant. Allerdings: „Vom Konsum durch Rauchen wird abgeraten." Verdampfen sei mitunter besser, auch die orale Einnahme sei denkbar. Also lieber Vaporizer statt Joint, alles klar. Nicht müde wurde Stroppe, zu betonen, dass es sich nicht um „Kiffen auf Rezept" handelt. Auch habe man sich bewusst gegen die Variante Eigenanbau für medizinische Zwecke entschlossen, um die „pharmazeutische Qualität" des Cannabis, die „reproduzierbar" sein müsse, zu gewährleisten.

Hilfe für Schwerkranke

Tatsächlich verbessert das Gesetz die Lage der Patienten nicht unerheblich. Bisher brauchten schwer Erkrankte eine Sondergenehmigung, um die Behandlung mit Cannabis gestattet zu bekommen. Dies war seit 2005 möglich. Über ihren Antrag entschied allerdings eine Behörde, kein Arzt. Dieser konnte lediglich beratend fungieren, die Therapie erfolgte weitgehend in Eigenregie der Betroffenen.

Sobald das neue Gesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist, wird das anders. Fortan soll Cannabis wie andere Betäubungsmittel vom Arzt verschrieben werden können. Voraussetzung dafür ist, dass es keine vergleichbaren Therapien gibt. Das allerdings entscheidet der Arzt, es ist also nicht vonnöten, wie bisweilen kolportiert, „austherapiert" zu sein und somit eine Reihe starker Mittel inklusive Nebenwirkungen hinter sich zu haben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird selbst keine Beratungen bezüglich Therapie und Anwendungsbereichen bieten. Um Ärzten, die noch keine Erfahrungen im Bereich Medizinal-Cannabis haben, die Arbeit zu erleichtern, wird eine Monografie herausgegeben.

Zur Sicherstellung einer Versorgung mit gleichbleibender Qualität wird es eine europaweite Ausschreibung zum Anbau in Deutschland geben. Um welche Mengen es geht, steht noch nicht fest. Das BfArM kalkuliert fürs Erste folgendermaßen: Derzeit gibt es etwa 1.000 Patienten mit Sondergenehmigung. Für diese wird ein Tagesbedarf von einem Gramm veranschlagt, was eine Menge von etwa 365 Kilo Cannabis ergibt. Wenn an jeder Pflanze 36,5 Gramm Blüten wachsen, kommt man auf etwa 10.000 Pflanzen. Ob diese Rechnung aufgeht, muss sich zeigen. Es ist schwer vorauszusagen, wie sich die Patientenzahl entwickeln wird. Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, fordert, der Staat solle den Cannabisbedarf „großzügig" planen. Denn trotz der restriktiven Regelungen der letzten Jahre habe sich der Bedarf verdoppelt. Während es 2012 noch unter 200 Sondergenehmigungen gab, waren es 2015 schon fast tausend, Tendenz steigend. Bis das erste Gras „Made in Germany" über den Apothekentresen gehen kann, wird die Versorgung - wie bisher - durch Importe sichergestellt. Auch hier achtet das BfArM auf pharmazeutische Qualität, geliefert wird meist aus den Niederlanden und Kanada.

Wer sich auf die Ausschreibung bewerben wird, ist noch unklar, ebenso, was das Ganze kosten soll. Sicher ist: Die Kassen übernehmen die Kosten. Eine Genehmigungsfrist von drei bis fünf Wochen ist vorgesehen, in der Palliativmedizin wird diese nur drei Tage betragen. Einmal geerntet, wird das Cannabis von der zuständigen Agentur aufgekauft. Mit Nachdruck betonen die Zuständigen jedoch: Es wird in den Räumen der Agentur kein Cannabis gelagert werden, der Vertrieb wird direkt vom Feld zu den Herstellern der Medikamente oder den Apotheken gehen. Das BfArM setzt dabei einen Herstellerabgabepreis fest, mit dem es jedoch keinen Gewinn machen darf. Bedarfskalkulation, staatlich genehmigter Anbau, festgelegte Preise, kontrollierter Vertrieb? Es ist ein Traum von einer Planwirtschaft. Im Bereich der Betäubungsmittel ist das gar nicht so unüblich. Das internationale Recht gibt sehr strenge Regeln vor, auch Medikamente auf Opiat-Basis, wie bestimmte Schmerzmittel, werden streng planwirtschaftlich angebaut, weiterverarbeitet und vertrieben.

Wer wird in den Genuss staatlichen Grases kommen? Es gebe keine verlässlichen Daten, erläuterte Karl Broich, Präsident des BfArM, zur Wirksamkeit und zu möglichen Indikationen von Cannabis. Allerdings gebe es „deutliche Hinweise", dass Cannabis bei Krankheiten wie multipler Sklerose oder bei Krebspatienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen, Linderung verschaffen kann. Weil das Wissen über Wirkungen und Nebenwirkungen noch begrenzt ist, soll die Bundesopiumstelle eine Begleiterhebung durchführen. Zu diesem Zweck werden die Ärzte über einen Zeitraum von fünf Jahren anonymisierte Daten zu Diagnose, Therapie, Dosis und Nebenwirkungen an die Bundesopiumstelle übermitteln. Am Ende soll ein umfassenderes Bild entstehen, denn das mittelfristige Ziel ist es, Cannabis nicht nur als Betäubungsmittel, sondern als reguläres Medikament mit klaren Indikationen verschreiben zu können.

Lernprozess für alle

Bei der Vorstellung der Cannabisagentur im Haus der Bundespressekonferenz gaben sich die die Vertreter des Staates betont sachlich und unaufgeregt. Fünf grauhaarige Herren aus Gesundheitsministerium und dem BfArM stellten sich den Kameras und Fragen der Journalisten. Erstaunlich viele waren gekommen, dafür, dass es letztendlich nur um eine arzneimittelrechtliche Angelegenheit ging. Doch die Herren von den Behörden können es noch so runterspielen: Es ist ein Politikum. Auch wenn man von einer Politik der kleinen Schritte sprechen muss, die anstehende Veränderung für schwerkranke Patienten gibt eine Richtung vor: Es tut sich was in der Drogenpolitik. Wenn in fünf Jahren die ersten Ergebnisse der Begleiterhebung zur Verfügung stehen und sich zeigen sollte, dass Cannabis in gewissen Dosen nur bedingt Nebenwirkungen hat, wird es schwerer werden, ein generelles Verbot noch zu rechtfertigen. Die Verantwortlichen wehren sich gegen eine solche Einschätzung natürlich. Für das Verbot von Cannabis spreche nach wie vor eine erhöhte Gefährdung von Jugendlichen. Studien aus den USA würden zeigen, dass gerade junge Menschen, in deren Familien es psychische Erkrankungen gab, das Risiko einer Psychose eingehen. Das ist richtig, rechtfertigt jedoch kein Verbot. Wer Schäden minimieren will, muss aufklären, nicht kriminalisieren. In den Genuss einer solchen Aufklärung werden in den nächsten Jahren mehr Patienten kommen. In dieser Zeit werden alle dazulernen: die Patienten, die Ärzte, die Krankenkassen - und hoffentlich auch der Gesetzgeber.


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