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Vorsprung durch Technik: Passgenau zum Erfolg

In der Spur. Der Schlitten von Martin Fleig ist exakt auf seine Bedürfnisse angepasst. FOTO: IMAGO

Mit voller Kraft um die Kurve, durch den Schnee geglitten, abgebremst. Martin Fleigs Puls rast, als er mit dem Skischlitten auf der Seite liegt und zum Gewehr greift. Dass der 28-jährige Biathlet danach in kürzester Zeit wieder aufrecht sitzt und davonpreschen kann, verdankt er vor allem der exakten Passgenauigkeit seines Schlittens. Eine unabdingbare Eigenschaft, wenn im Wettbewerb jede Sekunde zählt .

Wie Fleig ist ein Großteil aller paralympischen Athleten auf technische Hilfsmittel angewiesen - sei es ein der Sportart angepasster Rollstuhl, spezielle Prothesen oder ein Skischlitten im Wintersport. „Die enge Kooperation zwischen den Athleten und ihren Technikern erweist sich heute als entscheidend, um das individuelle Leistungspotenzial optimal abrufen zu können. Da geht es um das Finetuning", sagt Peter Franzel. Als Direktor für Sportmarketing und Sponsoring wird unter seiner Leitung das Engagement von „Ottobock" bei den Spielen in Pyeongchang ausgerichtet. Bereits seit 1988 unterstützt der Partner die Paralympische Bewegung.

Kurvenfahrten, eine optimale Gleitfähigkeit, Seitendruck beim Schießen - auch Fleigs Sportgerät muss den hohen Anforderungen in unterschiedlichsten Aktionen standhalten. Gerade zu Beginn einer Karriere ist die Finanzierung da oft ein Problem: „Nur mit Glück und den richtigen Ansprechpartnern kann soetwas reibungslos funktionieren. Leider ist das noch lang keine Selbstverständlichkeit hierzulande", sagt der Freiburger. Im letzten Weltcup 2017 fuhr der Biathlet, der in der Kategorie der Sitzenden antritt, sogar Doppel-Gold mit seinem Skischlitten.

Das IPC gab die Nutzung der Prothese auch ohne Skischuh frei

Während der Winterspiele in Pyeongchang kommen Prothesen in den Disziplinen Ski Alpin und Snowboarding zum Einsatz. Durch die spezielle Skiprothese „ProCarve" kann die benötigte Körperhaltung eingenommen und Bewegungen abgedämpft werden. „Alle Optimierungen müssen natürlich regelkonform sein, damit die Athleten auch bei den Wettkämpfen starten können", sagt Franzel von Ottobock. Eine Neuerung bei den diesjährigen Paralympics: Nach Tests und erfolgreicher Zulassung gab das zuständige Internationale Paralympische Komitee (IPC) die Nutzung der Prothese auch ohne Skischuh frei. Dadurch können die Sportler direkt mit seinem Fußpassteil in die Standard-Abfahrtsbindung steigen. Vorteil: Er wird nicht mit dem zusätzlichen Gewicht des Skischuhs belastet und besitzt eine bessere Kontrolle über seine Bewegung.

Mit technischen Innovationen müssen einige Sportler sogar ihre Trainingsgewohnheiten anpassen. So etwa Fleig, als dieser von seinem alten Skischlitten mit gestreckten Beinen zum neuen Modell in die kniende Position wechselte. Plötzlich habe der Biathlet, der durch eine Querschnittlähmung seit Geburt im Rollstuhl sitzt, mehr Muskelgruppen benötigt als zuvor und sich an die hohe Belastung seines Knies gewöhnen müssen. Nicht nur kniet Fleig während des gesamten Fahrens. Der Sprint zur Schießstation, das blitzschnelle Hinlegen und anschließende Aufrichten fordern dem Athleten vielseitig Kräfte ab. Doch sein neuester Langlaufschlitten hilft ihm dabei. Den hat er sich in Feinabstimmung vom Sanitätshaus und Orthopädietechnik „Rapp und Seifert" aus Carbon maßschneidern lassen. Er wiegt nun nur noch 3,2 Kilogramm.

Technische Hilfen bedeuten vor allem Fortschritt

Wie in anderen Bereichen der Technik, könnte auch der 3D-Druck die Welt der Pro- und Orthesen und damit auch der Sportler revolutionieren. Kleinteile werden bereits auf diese Weise hergestellt. Bei den Paralympischen Spielen in Sotschi startete Martin Fleig sogar mit einem Schlitten aus dem Drucker. Doch ganz ausgereift ist die Sache noch nicht. „Das Problem sehe ich noch in der Stabilität, wenn keine Carbonfasern verwendet werden. Aber Carbon kann man bislang noch nicht drucken", sagt Sven Rapp, Leiter der Orthopädietechnik bei „Rapp und Seifert". Weil das Feld extrem wächst, sieht er in der Zukunft aber durchaus auch für seine Firma Potential im 3-D-Druck.

Peter Franzel von Otto sieht in der Weiterentwicklung große Vorteile. Das IPC kontrolliere außerdem genau, dass zugelassene Hilfsmittel mit denen gegnerischer Sportler im Wettbewerb vergleichbar sind. So können sich auch finanziell besser gestellte Länder keinen ungerechten Vorteil verschaffen. Für Franzel bedeuten technische Hilfen vor allem Fortschritt, sie seien ein bedeutsamer Motor des paralympischen Gedankens: „Die Bestleistungen bei den Paralympics werden von den meisten Menschen ohne Behinderung nicht erreicht. Das rüttelt an den Barrieren in den Köpfen."


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