Lea Fauth

Redakteurin bei der taz und freie Journalistin, Berlin

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Artikel

"Refugees Welcome": Die Entpolitisierung des arabischen Frühlings

Viele, die Geflüchteten helfen, interessieren sich nicht für die politische Identität der Personen. Dabei wäre das gar nicht so kompliziert.


Schon längst ist es zum Modeartikel geworden: Das kleine Bildchen, auf dem ein Paar rennt, die Frau hält ein Kind an der Hand. Darüber bogenförmig die Aufschrift Refugees Welcome. Die flüchtende Familie gibt es als T-Shirt, als Beutel, als Plakat, als Banner, als Sticker.

Und sicherlich steckt dahinter eine gute Absicht: Dem rechtspopulistischen Bild der Sozialschmarotzer oder der Kriminellen, die angeblich nach Deutschland kommen, wird entgegengesetzt: Eine Familie in Not, die es sich nicht ausgesucht hat, ihr Land zu verlassen. „Say it loud, say it clear - Refugees are welcome here" - lautet dementsprechend der Slogan auf Demonstrationen.

Schaut man allerdings hinter die guten Absicht, so zeigt sich eine latente Überheblichkeit. Die Geflüchteten, die man meint, werden in der dritten Person genannt, als seien sie abwesend. Es gibt ein „Wir" mit politischen Forderungen, das über scheinbar hilfsbedürftige Abwesende redet, die selbst gar nicht gefragt werden. Solche Solidaritätsbekundungen machen die „Refugees" einmal mehr zu Objekten, zu „den Anderen", über die geredet wird, die aber unsichtbar und stimmlos bleiben.

Tatsächlich ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie auf der betreffenden Demo gerade nicht mitlaufen. So wie am vergangenen Samstag, als in Berlin eine Demonstration gegen Rassismus stattfand. Syrer*innen waren an diesem Tag aber ganz woanders unterwegs - nämlich auf einem Protestmarsch gegen Assad, unter dem Motto „Die syrische Revolution lebt". Die parallel laufende Demonstration gegen Rassismus - der ja viel mehr umfasst als Rassismus gegen Geflüchtete - war zweifelsohne wichtig. Aber es ist befremdlich, Menschen willkommen zu heißen, über die man so wenig weiß, dass man deren wichtigsten politischen Mobilisierungstag nicht auf dem Zettel hat.

Wo bleibt die politische Dimension?

Das Othering im „Refugees Welcome" ist somit kein rein rhetorisches Problem. Denn ob nun aus Elend oder wegen politischer Verfolgung - jeder, der oder die ihr Land unter bedrohlichen Umständen verlässt, ist ein politisches Subjekt, das sich gegen strukturelle Zwänge auflehnt, ihnen entflieht.

In vielen arabischen Ländern gab es den Versuch einer Revolution. Der Versuch, eine Diktatur in eine Demokratie zu verwandeln - Menschen gingen dafür ins Gefängnis, wurden gefoltert, verloren Freund*innen und Angehörige oder sogar ihr eigenes Leben. Viele wollen von ihrem hiesigen Exil aus weiterhin auf die Zustände in ihrer Heimat einwirken. Die ausschließlich Reduzierung auf den humanitären Aspekt - der wichtig ist - lässt die politische Dimension verschwinden.

Das hat mit einem heimlichen Wunsch von Weißen zu tun, sich selbst als Helfer*innen zu fühlen. Denn, Hand auf's Herz: Wie heißen diejenigen, die in Syrien die säkulare Opposition angeführt oder mitgestaltet haben? Wie steht es um demokratische Bewegungen in Afghanistan? Was ist aus dem Arabischen Frühling im Jemen geworden, und was ist eigentlich Deutschlands Rolle in diesen Ländern, wenn es zum Beispiel um militärische Intervention geht? Das große Unwissen ist Symptom eines gesellschaftlichen und medialen Desinteresses. Und es zeigt, dass es letztlich darum geht, sich selbst als Retter*innen, als Großzügige fühlen zu können. Aus dieser Position heraus kann aber keine Begegnung auf Augenhöhe stattfinden.

Die Augenhöhe ist auch deshalb so schwierig, weil sie strukturell nicht gegeben ist. Trotzdem kann es innerhalb systemisch angelegter Machtverhältnisse zumindest ein erster Schritt sein, zuzuhören, sich für die Anliegen derer zu interessieren, die in diesem hierarchischen Gefälle nicht zu Wort kommen. Wohlgemerkt, ohne sich die Kämpfe anzueignen und sie zu vereinnahmen.

Die Verantwortung der Medien

Die Berichterstattung trägt in dieser Hinsicht unrühmliche Verantwortung. Bei rund 700.000 in Deutschland lebenden Syrer*innen gäbe es Grund genug, sich für den Krieg dort und in den Nachbarländern zu interessieren. Dafür, dass Assad ganze Städte hat einkesseln und verhungern lassen, um seine Gegner*innen zu schwächen; dafür, dass beim Kampf gegen den IS, bei den Bombardierungen durch die US-Allianz, auch zahlreiche Zivilist*innen ihre Lebensgrundlage verloren haben; für das Schicksal verschiedener Minderheiten und verschiedener Städte; dafür, wie es sich anfühlt, acht Jahre nach dem Beginn der Rebellion immer noch denselben Diktator regieren zu sehen; für Enttäuschungen und Hoffnungen.

Stattdessen konkurrieren Medien je nach Lager darum, den gut oder den schlecht „integrierten" Geflüchteten zu zeigen, als belaufe sich dessen Lebensinhalt auf seinen Bezug zu Deutschland, und als könne man sich herausnehmen, das zu bewerten. Die Reaktionen „Hau ab" versus „Willkommen" sind sich darin ähnlicher als man gern wahrhaben möchte.

Der humanitäre Aspekt des „Refugees Welcome" hat zwar einen wichtigen Punkt, weil er klarstellt: Schutz und Asyl dürfen keine Frage von moralischer Integrität sein, Grundrechte keine Frage von gesellschaftlichem Verdienst oder politischem Engagement. Eben in diesem Sinne aber müsste der „Refugee"-Status nach Jahren des Exils nicht mehr so sehr der Rede wert sein.

Was deutsche Anteilnahme in Syrien hätte bewirken können, ist dabei vielleicht gar nicht so sehr die Frage - auch wenn öffentlicher Druck durchaus etwas bewegen kann. Vielmehr würde es vielleicht denen, die schon hier sind, etwas bringen - nämlich eine Alternative zum Status „armer Flüchtling". In Algerien und im Sudan gibt es aktuell große Protestbewegungen gegen die jeweiligen Regierungen. Interessiert das? Kaum. Erst wenn es schlecht ausgehen sollte und die Menschen aus diesen Ländern notgedrungen hierherkommen sollten - was nicht zu hoffen ist - wird es von rechts Hetze geben und von links ein Willkommen.

Von wegen offene Gesellschaft

Dass es nicht schon vorher Interesse gibt, ist so blind, wie etwa die Auftaktaktion der Organisation Die offene Gesellschaft, die im Sommer letztes Jahr zu einem gemeinsamen Mittagessen und Kennenlernen an vielen verschiedenen Orten in Deutschland aufgerufen hatte. Dafür errichtete Die offene Gesellschaft Holztische und Bänke an öffentlichen Orten, zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld in Berlin.

Alle durften mitmachen - nur machte eben überwiegend eine weiße Mittelschicht mit. Auch schien niemand auf dem Zettel zu haben, dass an diesem Tag auch das Zuckerfest, das Ende des Ramadan gefeiert wurde. Das Bankett der offenen Gesellschaft stand somit hoch aufgestellt inmitten eines Feldes, umgeben von muslimischen Familien, die mit Grill und Campingkocher auf dem Boden saßen. Von dem Tisch schallten manchmal Applaus-Ausbrüche herüber, die sicherlich sich selber galten. Die Welten blieben getrennt.

Nein, die gute Absicht reicht nicht. Denn wenn „Refugees" und andere Nichtweiße und Nichtdeutsche wie arme Würmchen behandelt werden, damit weiße Deutsche sich in ihrer Barmherzigkeit feiern können, dann hat das reale Konsequenzen für den Alltag all jener, die damit zum hilfsbedürftigen Objekt degradiert werden.

Nun mag man entgegnen, dass es in Zeiten von wiedererstarkendem Rechtsextremismus und rechtsextremer Gewalt doch eigentlich Wichtigeres gibt als solche Nuancen - Hauptsache, man setzt dem Hass etwas entgegen. Jein. Erstens sollte rechte Hetze nicht die Standards setzen. Zweitens: Wenn die deutsche Öffentlichkeit vom „Refugees Welcome" wegkäme, und die Menschen im Exil als politisch aktive Menschen wahrnähme, könnte auch der rechte Diskurs gebremst werden - denn der Fokus läge dann woanders: Statt über vermeintlich Kriminelle oder namenlose Opfer würde über namhafte Aktivist*innen, Künstler*innen, Journalist*innen gesprochen werden.

Klar: Auch die Reduzierung auf diesen politischen Background ist anstrengend, vor allem, wenn man im Exil irgendwann mal so etwas wie einen ganz normalen Alltag wiederfinden möchte. Warum also nicht ganz normal reden - oder auch mal überhaupt nicht. Wenn du weiß oder deutsch oder beides bist, kann es zuweilen wahnsinnig politisch sein, einfach mal die Klappe zu halten. Und zuzuhören.

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