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Vom Strich auf die Theaterbühne - Transsexuelle in Buenos Aires

Emma Serna, Präsidentin der Kooperative «ArteTrans», bei einer Dialogprobe. Emma will mit Theaterstücken Transsexuellen, Transgender und Travestiten eine Alternative zur Prostitution aufzeigen. Foto:​ Laurine Zienc/dpa

Diskriminiert und verstoßen - so sieht das Leben von Transsexuellen in vielen Weltregionen aus. Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires gilt hingegen als tolerant und modern. Doch auch hier landen die meisten in der Prostitution. Ein besonderes Projekt kämpft dagegen an.

Buenos Aires (dpa) - An der Einfahrt zu den «Wäldern von Palermo» bildet sich nachts eine Schlange. Die Autos fahren Schritttempo. Leicht bekleidete Prostituierte beugen sich zur Beifahrerseite vor, zeigen ihre Silikonbrüste, manchmal mehr. Es sind Transsexuelle, die hier in der Parkanlage im Norden von Buenos Aires anschaffen.

«Für uns Trans ist der Zugang zu Arbeit sehr schwierig. Keine Arbeit, kein Geld. Ohne Geld kein Essen, und deswegen arbeiten viele als Prostituierte», sagt Emma Serna (28). Sie ist auch eine von Tausenden Transsexuellen in der argentinischen Hauptstadt. Eine, die viel Glück hatte. Serna verdient ihr Geld als Angestellte der Stadtverwaltung in ihrer Heimatgemeinde 25 de Mayo - und nicht auf der Straße. Sie will mit einem besonderen Theaterprojekt Transsexuellen Perspektiven bieten.

Transsexuelle haben zwar eindeutige Geschlechtsmerkmale, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig und daher als Mensch im falschen Körper. Oft wird versucht, die Geschlechtsorgane operativ in Richtung des angestrebten Geschlechts zu verändern. «Seit meiner Geburt habe ich mich weiblich gefühlt», sagt Serna. Aber erst mit 13 Jahren habe sie es auch nach außen gezeigt. «Aber nur leicht. Ich war damals in der Schule.» 

Nach der Schule zog sie in die Hauptstadt, die «ícono Gay», das Köln Lateinamerikas. «Buenos Aires ist die toleranteste Stadt des Kontinents. Hier konnte ich mich mehr entfalten, mich besser verwandeln.» Mit Verwandlung meinen Trans chirurgische Eingriffe, Hormonbehandlungen oder die Eintragung des gewünschten Geschlechts im Ausweis.

Seit 2012 kann man in Buenos Aires ohne psychologische oder medizinische Gutachten Vornamen und Geschlecht im Personalausweis ändern lassen - auch ohne geschlechtsangleichende Operation. Rund 450 Menschen haben das bisher getan. «Für mich persönlich hat das Gesetz einen kulturellen Wandel in der Gesellschaft bewirkt. Es positioniert Transsexuelle als gleichwertige Bürger», sagt Serna. Wohnungssuche, Arztbesuche - das gefühlte Geschlecht im Ausweis stehen zu haben, habe alles einfacher gemacht. «Das ist weltweit einzigartig.» 

Trotzdem landen viele in der Prostitution. Laut einer Studie der Vereinigung der Transvestiten, Transsexuellen und Transgender von Argentinien (ATTTA) haben 95 Prozent der 430 Befragten sexuelle Dienstleistungen angeboten. Das will Serna mit «ArteTrans» ändern. 2010 hat sie mit zwei Freundinnen begonnen, Theaterstücke aus dem Leben der Trans aufzuführen. Mittlerweile sind es 20 Mitglieder. 

Serna arbeitet als Präsidentin der Kooperative an vier bis fünf Stücken gleichzeitig. Alle werden kostenlos in Kulturzentren aufgeführt. Die Besucher geben, was sie wollen - «a la gorra» heißt das in Argentinien. Die 28-Jährige sitzt mit einer «Miss Argentina Trans»-Kandidatin, einem Regierungsangestellten und einem Puppenspieler an einem Tisch. Zwischen einem summenden Kühlschrank und einem abgebauten Schlagzeug gibt die Regisseurin des Theaterstücks Anweisungen. Sie proben «Made in Argentina». Nicht nur von Trans für Trans. «Wir wollen uns nicht autodiskriminieren, sondern das Gegenteil: mit anderen Geschlechtern austauschen, eine reale Eingliederung», sagt Serna. 

Das will auch die Politik. Zumindest auf dem Papier. 2015 erließ die Provinz Buenos Aires ein Quotengesetz: Im öffentlichen Dienst soll ein Prozent der Stellen bei gleicher Eignung mit Trans-Menschen besetzt werden. Soll. Bisher wird das Gesetz nicht konsequent durchgesetzt. «Es gibt gut ausgebildete Trans», sagt Serna. Sie gehören aber zur Minderheit. Laut ATTTA brechen mehr als 80 Prozent die weiterführende Schule ab. Grund dafür sei die Diskriminierung, die auf das Coming-out meist im Alter von 11 bis 20 Jahren folge.

Doch trotz der fortschrittlichen Gesetze, hinkt die argentinische Gesellschaft hinterher. Lucas Goye, der Puppenspieler in der Gruppe, arbeitet mit Serna am Wandel. «Für die Mehrheit der Menschen sind Trans nicht normal. Sie haben Angst und stellen keine Trans ein, weil sie denken, das würde die Kunden verscheuchen», sagt der Künstler. Gesetze bewirkten da wenig.

Trans sollen nicht mehr nur mit Prostitution in Verbindung gebracht werden - das ist das Ziel von Serna und «ArteTrans». In einem Vorort von Buenos Aires wird der Hauptsitz der Kooperative eröffnet. «Ein Ort, wo wir unsere eigenen Theaterstücke aufführen können. Ein Ort der Zugehörigkeit. Es wird Unterricht im Gesang, im Schauspiel und auch im Textilhandwerk geben», sagt Serna. Goye werde Schauspiel unterrichten. «Weil Argentinien unter der hohen Arbeitslosigkeit leidet, sollen die Schüler schnell eigene kleine Stücke in Theatern, Bars oder Parks aufführen können», sagt der Künstler. Geld verdienten seine Schützlinge wie er «a la gorra».

Eine richtige Berufsausbildung kann «ArteTrans» aber nicht bieten. Das wolle die Kooperative auch nicht. «Wir geben einen Anreiz, damit Trans ihren Horizont erweitern. Sie lernen neue Berufe oder andere Personen kennen, die nicht aus dem Rotlichtmilieu kommen. Bei uns kommen sie aus ihrem alltäglichen Umfeld heraus», sagt Serna.


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