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Bröckelnde Gruften

Die durchlöcherte Tür einer Krypta auf dem Friedhof Recoleta in Buenos Aires. (Laurine Zienc, dpa)

Buenos Aires. Der Putz bröckelt, darunter kommt schwarzer Schimmel zum Vorschein. Die gesprungenen Scheiben der einst glänzenden Bronzetür geben die Sicht frei: Einige Särge sind verstaubt, andere verrottet zusammengesackt.


Es ist ein Trauerspiel, das täglich etwa 1500 Touristen in Recoleta, auf einem der berühmtesten Friedhöfe Lateinamerikas, zu sehen bekommen. Sie kommen vor allem wegen einer Toten: Eva Perón, die berühmte Evita, die Frau des legendären Präsidenten Juan Domingo Perón. Sie, die für die Armen kämpfte, wird bis heute wie eine Heilige verehrt - auch wenn ihre letzte Ruhestätte eher unscheinbar ist. Ganz anders als viele andere üppige Grabstätten. Diese sind Relikte der wohlhabenden Ära Argentiniens, exklusive Krypten der reichen Familien aus dem 19. Jahrhundert. Doch das ist lange passé.


„Diese Familien existieren nicht mehr", sagt Soledad Vallejos. Sie widmete in ihrem Buch „Vida de Ricos" („Das Leben der Reichen") ein ganzes Kapitel dem Totenkult auf dem Friedhof in Buenos Aires. „Es gibt keine Nachfahren mehr, weil sie ausgewandert oder verstorben sind. Oder sie haben einfach kein Geld." Mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre hatten viele argentinische Patrizierfamilien ihr Vermögen verloren. Die Nachfahren können oder wollen sich die jährliche Friedhofsgebühr der Stadt nicht leisten. 2017 waren es 580 Pesos (29 Euro) pro Quadratmeter.


Laut Susana Gesualdi von der Historischen Abteilung des Friedhofs zahlen von 4870 Grabstätten rund ein Viertel der Familien die jährliche Abgabe nicht und lassen die Gruften verfallen. Da es sich aber um Privatbesitz handelt - ähnlich einer Eigentumswohnung - kann die Friedhofsbehörde nur begrenzt einschreiten.


Seit 2014 ermöglicht ein Gesetz der Stadt, stark vernachlässigte Krypten zwangszuverwalten. „Wenn die Gebäude eine Gefahr für die Mitarbeiter oder Besucher des Friedhofs darstellen, informieren wir die Hinterbliebenen. Wenn sie nach einer gesetzten Frist die Krypta nicht instandsetzen, werden wir aktiv", sagt Gesualdi. Abriss nicht ausgeschlossen. So weit ist es laut Gesualdi jedoch noch nicht gekommen. „Wir wissen erst seit Kurzem, welche der Grabstätten vernachlässigt werden. Man sollte sich aber um sie kümmern, weil dort die Familiengeschichte steckt."


Die Familiengeschichte interessiert María Celia Saravia eher wenig. Sie will verkaufen. Die Witwe steht in der Familiengruft in Recoleta. Die Sonne lässt die schwarze Marmorfassade glitzern. Ihr Mann liegt hier seit 15 Jahren, neben neun weiteren Verwandten. „Ich glaube, die Überreste der Familie so lange aufzubewahren, macht wenig Sinn. Keiner wird sich darum kümmern und die Abgaben bezahlen." Das habe sie mit ihren sieben Kindern bereits besprochen. Saravia wolle lieber verbrannt und über dem Meer verstreut werden. „Dort gibt es viel Licht und Wasser, das bedeutet Leben."


Die Grabstätte könne um die 38 000 Dollar einbringen. Das meint ihre Maklerin María Reynal. Der Zustand ist gepflegt, hochwertige Materialien verarbeitet sind und der Standort ist leicht zu finden. „Außerdem sind nur drei Erben beteiligt", sagt die Maklerin. Das mache die Bürokratie einfacher. All das habe Einfluss auf den Preis. Ihm sind nach oben hin keine Grenzen gesetzt.


Ob sich ein Käufer findet, kann die Maklerin nicht versprechen. „Es gab schon bessere Zeiten, um Krypten zu verkaufen. Die Nachfrage sinkt." Der Umgang mit dem Tod habe sich geändert. Die Verstorbenen werden nicht mehr aufgebahrt, die Zeit für Grabbesuche fehle. Dennoch gibt es Interessenten. „Erfolgreiche Geschäftsleute, die sich durch ihre Ruhestätte in Recoleta von anderen abheben wollen. Aber auch Menschen aus dem Showgeschäft, der Mode oder der Politik." Sie alle wollen sich ein Denkmal inmitten des Touristenmagneten setzen.


Doch Recoleta war nicht immer ein Friedhof der Reichen. Als Erster fand hier der Sohn eines Sklaven, Juan Benito, seine letzte Ruhe - noch in einem Erdgrab. Bei seiner Gründung 1822 lag Recoleta noch außerhalb von Buenos Aires. Die Bevölkerung wuchs, bis der Friedhof mitten in der Stadt lag. Der Platz reichte nicht mehr aus, sodass 50 Jahre später ein zweiter Friedhof eröffnet wurde. Für die Autorin Vallejos war das ausschlaggebend: „Die Wahl der letzten Ruhestätte wurde damit zur Klassenfrage - und für eine kleine Welt ist es das immer noch."


Die Gräber wurden immer aufwendiger, immer kostspieliger. „Im 19. Jahrhundert haben die Menschen mehr Wert auf den Tod gelegt. Deswegen diese großen Krypten, Mausoleen und Pantheons. Die Reichen residierten nicht nur in Palästen, sie legten auch großen Wert darauf, wo sie den letzten Frieden finden", sagt Gesualdi. Materialien und Kunstwerke importierte die Oberschicht extra aus Europa.


Dieser Aufwand wird fast zwei Jahrhunderte später nicht mehr gewürdigt. Die Reichen von früher liegen in jetzt morschen Särgen zwischen Müll und Schimmel. Der einstige Glanz von Recoleta bröckelt wie der Putz von den exklusiven Grabwänden.


Ein kurzer 360-Grad-Rundgang über den Recoleta-Friedhof.

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