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Selbst motivierte Flüchtlinge haben ein Handicap

Dass Qadir Mughel im Restaurant des wohl bekanntesten Kaufhauses Deutschlands arbeitet, macht ihn stolz. Der 19-Jährige ist Afghane und vor eineinhalb Jahren nach Deutschland geflohen. Heute steht er hinter den Edelstahl-Küchenzeilen des „Le Buffet“ im Berliner „Kaufhaus des Westens“, kurz KaDeWe.

Er ist Praktikant. Sein Job dort: Tomaten vierteln, Gurken schneiden, Hilfsarbeiten. „Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit hier“, sagt Mughel. Zwischen Januar 2015 und Dezember 2016 sind rund 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wie gut sie sich hier einleben und dauerhaft integriert werden, hängt maßgeblich davon ab, ob sie einen Arbeitsplatz finden, der ihnen und ihren Familie eine Perspektive bietet. Und erstaunlich viele Unternehmen sind dazu bereit – wohlwissend, dass das den Fachkräftemangel nicht lindert. Vorerst zumindest nicht. 

Nach einer Studie des Instituts der Wirtschaft Köln (IW) beschäftigen derzeit knapp ein Viertel (23 Prozent) der rund 3,6 Millionen Unternehmen in Deutschland Geflüchtete oder haben es in den vergangenen Jahren getan. Im Handwerk ist es sogar jeder dritte Betrieb, in Unternehmen ab 250 Mitarbeiter jeder zweite. 


Immer wieder anlernen ist kräftezehrend

Die Erfahrungen in den Firmen sind überwiegend positiv. Die Mehrheit der Unternehmen, die bereits Flüchtlinge beschäftigen, planen, in diesem Jahr weitere Geflüchtete einzustellen.

Auch das KaDeWe stockt immer wieder auf. Neben Qadir Mughel arbeiten derzeit noch zwei weitere Flüchtlinge als Praktikanten im KaDeWe-Restaurant. „Zeitweise sind es auch mal fünf“, sagt Restaurantleiter Harald Eck. Sie alle bleiben zwischen vier und sechs Wochen. 

Von 70 Flüchtlingen nur noch einer da

Von den 70 Flüchtlingen, die in der Unternehmensgruppe GP Günter Papenburg in Halle ausgebildet werden sollten, ist nur einer übrig geblieben. „Ein ernüchterndes Fazit“, sagt die Geschäftsführerin Angela Papenburg. 

Verdienen könne Eck mit der Beschäftigung von Flüchtlingen aber nichts. Sie müssten jedes Mal neu angelernt und begleitet werden. „Am Ende kommen wir wieder bei null heraus.“ Er sieht es vielmehr als gesellschaftliche Aufgabe. Und die, sagt Eck, sei manchmal kräftezehrend. Das fängt bei den Verständigungsproblemen an.

Die meisten Flüchtlinge können kein Wort Deutsch, wenn sie hierher kommen, vielen fehlt zudem jede Grundqualifikation, um einen Beruf auszuüben. Laut IW haben nur 18 Prozent der Erwachsenen, die in den vergangenen zwei Jahren nach Deutschland gekommen sind, einen Berufs- oder Universitätsabschluss. 


Scheitern an Sprachbarrieren

Und die Bereitschaft, in Deutschland eine Berufsausbildung zu beginnen, ist gering. Nur sieben Prozent derer, die bereits in einem deutschen Unternehmen arbeiten, tun das dort als Azubi.

„Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, die kein gut ausgebautes Bildungssystem haben. Denen ist die Bedeutung einer Ausbildung gar nicht bewusst“, sagt IW-Direktor Michael Hüther. „Zudem wollen viele am liebsten gleich voll arbeiten“, ergänzt Harald Eck. 

Der Grund: die Familie in der Heimat. Denn die würde oftmals erwarten, dass sie einen Teil des Gehalts bekommt. Auszubildende im ersten Lehrjahr verdienen im „Le Buffet“ des KaDeWe 650 Euro brutto – gerade einmal genug für den eigenen Lebensunterhalt.

Zudem scheitert der Einstieg in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis oft an den Sprachbarrieren. „Vielen Flüchtlingen fällt es schwer, Deutsch zu lernen“, ist die Erfahrung von Restaurantleiter Eck. Er hat Verständnis dafür, die Verständigung im Berufsalltag mache das aber schwer. 

Die Dienstpläne muss Eck immer den Deutschkurs-Terminen seiner ausländischen Hilfskräfte anpassen. Doch auch kulturelle Unterschiede würden sich bemerkbar machen. „Das Frauenbild passt manchmal nicht.“ Einige männliche Flüchtlinge würden auf die Anweisungen von Frauen anders reagieren, despektierlicher. „Wir erklären ihnen dann, dass es hier keinen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann etwas sagt“, so Eck.

Was er berichtet, ist die Erfahrung vieler Vorgesetzter, die Flüchtlinge beschäftigen. Drei von vier Firmen haben laut IW angegeben, dass sich Flüchtlinge zunächst an die deutsche Arbeitsmentalität gewöhnen müssten. Gemeint sind damit Tugenden wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit. 

Dafür sind Motivation und Leistungsbereitschaft oft unerwartet hoch. Harald Eck hat die Erfahrung gemacht, dass sich seine Praktikanten nicht nur durchweg arbeitswillig zeigen – sondern, dass viele sogar motivierter sind als so manch deutscher Berufsschüler, meint der Restaurantleiter. 

Insgesamt fallen die Erfahrung deutscher Unternehmen mit beschäftigten Flüchtlingen trotz mancher Anpassungsschwierigkeiten gut aus – so gut, dass nach Umfrage des IW rund zwei Drittel (65,8 Prozent) der befragten Unternehmen, die bereits Flüchtlinge beschäftigen, in diesem Jahr weitere Geflüchtete einstellen wollen. 

Und von den Unternehmen, die das bislang noch nicht getan haben, plant jedes Vierte, Flüchtlingen Angebote zur Qualifizierung oder Beschäftigung zu machen.


Wohnsitzauflage verhindert Weiterbeschäftigung

Von einer regulären Beschäftigung oder einer Berufsausbildung sind aber viele weit entfernt. Das Gros der Flüchtlingen, die in deutschen Unternehmen arbeiten, tut das auf Basis von mehrwöchigen Praktika.

Mehr ist oft schon deshalb nicht möglich, weil der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge ungeklärt ist, zum Beispiel ein Verfahren zur Anerkennung als Asylbewerber läuft. Vielen Unternehmen, die willens wären, Flüchtlinge einzustellen fehlt zudem häufig der Kontakt zu Geflüchteten oder der erwartete bürokratisch Aufwand schreckt sie ab. 

Bei Harald Eck war das nicht so. Einem Flüchtling hätte er gerne eine längere Perspektive in seinem Restaurant geboten. Doch eine Wohnsitzauflage hat den Traum vom Job zunichte gemacht. Der junge Mann musste an seinen ursprünglichen Wohnort zurückkehren. 

So will es das neue Integrationsgesetz. In vier Wochen ist auch Qadir Mughels Praktikumszeit im Restaurant des KaDeWe zu Ende. Was dann kommt, weiß er nicht. Doch der junge Afghane hat einen Wunsch: Er möchte irgendwann eine richtige Ausbildung machen – am liebsten, sagt Mughel, gleich hier im Restaurant des KaDeWe.

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