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Krankenhaus-Report: AOK stellt jede fünfte Entbindungsstation in Frage

Die Krankenkasse AOK fordert mehr Mindestmengen bei Behandlungen. Diese Pläne würden besonders Entbindungsstationen treffen. Müssen Hochschwangere künftig viel länger in die nächste Klinik fahren? 

Übung macht den Meister. Dieses Sprichwort soll künftig noch häufiger für Ärzte gelten – geht es nach den Forderungen der AOK. So soll jedes Krankenhaus mindestens 500 Geburten pro Jahr vorweisen, wenn es Geburtshilfe anbieten will. Dafür setzt sich die Krankenkasse in ihrem Krankenhaus-Report 2017 ein. Für rund jede fünfte Entbindungsstation könnte das jedoch das Aus bedeuten. 

Die AOK entfacht damit erneut die Diskussion um sogenannte Mindestmengenvorgaben. Krankenhäuser sollen bestimmte medizinische Eingriffe nur dann anbieten, wenn sie pro Jahr auch eine Mindestanzahl dieser Eingriffe vornehmen.Der Grund: Je häufiger ein Eingriff erfolgt, desto besser seien die Behandlungsergebnisse. Das belege eine Reihe wissenschaftlicher Studien. Dieser Zusammenhang zeigt sich dem Krankenhaus-Report zufolge besonders bei Schilddrüsenoperationen: Das Risiko einer permanenten Stimmbandlähmung ist in Krankenhäusern mit weniger als 56 Fällen doppelt so hoch wie in Kliniken mit mehr als 383 Eingriffen pro Jahr. 

Mindestmengenregelungen gelten bereits für sieben Bereiche – darunter für Leber- und Nierentransplantationen sowie bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen. Nach Ansicht der AOK ist das nicht genug. Sie sollen ausgeweitet und verschärft werden. 

Eine Mindestmenge für Entbindungen würde zwar zu einer deutlichen Konzentration der derzeitigen Standorte führen. „Aber nur so kann sichergestellt werden, dass 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ein Facharzt präsent ist“, sagt Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Das sei wichtig, weil jederzeit eine komplizierte Situation auftreten könne. 

In Deutschland werden wieder laut Statistischem Bundesabend mehr Babys zur Welt gebracht. Nachdem die Geburtenrate jahrzehntelang zurückging, sieht es jetzt nach einer Trendwende aus. „Wir reden hier nicht über Zahlen, die eine flächendeckende Versorgung in Frage stellen“, erklärt Litsch. In entlegenen Regionen könne es vielleicht dazu kommen, dass Schwangere etwas weiter fahren müssen. Wie viele Kliniken von Mindestmengenvorgaben betroffen wären, dazu habe die AOK aber keine einzelnen Szenarien entwickelt.

In Deutschland gab es im vergangenen Jahr mehr als 700 Kliniken mit Entbindungsstationen. Rund jede Fünfte kam nicht auf die geforderte Mindestmenge von 500 Geburten. Das geht aus der Geburtenliste des Babynahrungsherstellers „Milupa“ hervor. An der Spitze lag die Berliner Charité mit über 5000 Geburten. Schlusslicht war das St. Joseph-Krankenhaus im rheinland-pfälzischen Prüm mit gerade einmal 42 Entbindungen. Für die betroffenen Geburtsstationen würde die Forderung das Aus bedeuten.


Ländliche Regionen bangen um Versorgungssicherheit

„Mindestmengen haben ihre Berechtigungen“, sagt auch Gerd Antes, Professor am Forschungszentrum Cochrane in Freiburg. Ob Kliniken alles, jedoch nur in beschränkter Anzahl machen, oder sich auf Bereiche spezialisieren, beeinflusse die Versorgungsqualität. „In akuten Fällen können Mindestmengen allerdings die Versorgungssicherheit gefährden“, schränkt Antes ein. „Besonders in ländlichen Regionen.“ Es mache schließlich einen Unterschied, ob Patienten zu einer geplanten Operation anreisen oder eine schwangere Frau im Auto entbinden muss, weil das nächste Krankenhaus zu weit entfernt liegt.

Antes plädiert für das richtige Mittelmaß. Doch das zu finden, erfordere Aufwand. Für die Bestimmung der Mindestmenge bei Geburten müsse man dann ein Lineal anlegen und messen: „Wie weit ist die nächste Entbindungsstation entfernt und welches Risiko bedeutet das für Frau und Kind?“

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