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Artikel: Wolf Biermann: Ein Drachentöter ist 80

Die blau-weißen Hemdsärmel aufgekrempelt, schnauzbärtig, auf einem Barhocker sitzend, bewaffnet mit seinem Holzschwert: der Gitarre. So säuselt, singt und poltert Wolf Biermann am 13. November 1976 in sein Mikrofon. Elf Jahre lang hat das repressive DDR-Regime ihm verboten, aufzutreten und zu publizieren. Dass er nun aus dem eingemauerten Osten Berlins nach Köln reisen und vor siebentausend Besuchern in einer Sporthalle spielen darf, erstaunt den 39-Jährigen. Viereinhalb Stunden spottet er klampfend und singend über das DDR-Regime. Zuhause darf Biermann zwar längst keine Zeile mehr verbreiten, doch im Westen sind seine Lieder so populär, dass sie - heimlich kopiert - sogar wieder den Weg in die DDR finden.

Biermann 1976 in Köln. Die kritischsten seiner Lieder hat er damals nicht gespielt - aus Vorsicht

Noch immer auf West-Tournee, erfährt Biermann am 16. November 1976 aus dem Autoradio, dass er in der DDR nicht mehr erwünscht ist. Ihm sei "das Recht auf den weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen", liest der Nachrichtensprecher vor. Biermann habe die DDR verraten und verleumdet. "Ich war wie in die Tonne getreten. Mir wurde elend vor Angst, dunkel vor Augen", schreibt Biermann in seinen Memoiren, die zu seinem 80. Geburtstag erschienen sind. In denen nimmt der Liedermacher seine Leser mit auf die anekdotenreiche und poetische Reise durch sein bewegtes Leben als einer der berühmtesten DDR-Dissidenten.

Seine Ausbürgerung löst wütende Proteste aus: In einer Petition an die Regierung erheben führende Intellektuelle der DDR ihre Stimme; darunter Stephan Hermlin, Christa Wolf, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller und Jurek Becker. Das Regime wird nervös, weitet die Überwachung der Aufmüpfigen aus, erteilt Berufsverbote, inhaftiert. Prominente wie die Schauspieler Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl verlassen das Land. "Auf den wütenden Medienkrach im Westen waren die SED-Oberen gefasst, aber nicht darauf, dass zum allerersten Mal eine Gruppe von anerkannten Schriftstellern und Künstlern aus der DDR einen Protest, als Bittbrief kaschiert, öffentlich macht", schreibt Biermann.

Was er damals nicht weiß: Er hätte genauso gut "Hänschen klein, ging allein" singen können - seine Ausbürgerung war schon längst beschlossene Sache. Die DDR, seine Wahlheimat, in die er aus Begeisterung für den Kommunismus von Hamburg aus übergesiedelt war und in der er 23 Jahre gelebt hatte, hat ihn wieder ausgespuckt.

Eltern machen Biermann zum Kommunisten

Biermann (l.) kurz nach seiner Ausbürgerung aus der DDR mit dem Journalist Günter Wallraff (r.)

Seinen Eltern verdankte es Biermann, dass er zu einem glühenden Verehrer des Kommunismus wird. Sein Vater Dagobert, Werftarbeiter, Kommunist, Jude, hat den Nationalsozialisten Widerstand geleistet und mit Gefängnis bezahlt. Die Mutter, Emma, will, dass sich der Junge an seinen inhaftierten Vater erinnert und versteckt jeden Morgen eine Kleinigkeit in dessen Namen: mal ein kleines Spielzeug, mal eine Süßigkeit. Der Papa habe ihm das Geschenk "über den Mondstrahl geschickt", erklärt sie, wenn der kleine Wolf es findet. Als der Vater vom Gefängnis nach Auschwitz deportiert und 1943 dort ermordet wird, landet seine Sterbeurkunde ohne Briefmarke im Briefkasten der Biermanns. Ein "absurder Witz aus dem Holocaust", wie Biermann schreibt.

Quasi-religiös werden Wolf Biermann Kommunismus und Antifaschismus eingetrichtert. Mit sechseinhalb Jahren entgeht Biermann dem Feuersturm von Hamburg, dem Flächenbombardement der Alliierten. "Meine Mutter hatte seit den finsteren Zeiten nur ein Ziel", erinnert sich Biermann, "ich sollte durchkommen, damit ich, wie sie es pathetisch nannte, später mal meinen Vater rächen kann. Und ich sollte den Kommunismus aufbauen."

Die DDR, die ihn als 16-Jährigen aufnimmt, wird Hoffnungsland, "Vaterland", wie Biermann es heute nennt. Die Chance auf ein Paradies auf Erden. Sein Vater bleibt als Mahner des wahren Kommunismus, als "Schicksalsmacht" allgegenwärtig.

In Ost-Berlin studiert Biermann politische Ökonomie, Mathematik und Philosophie. Bertolt Brecht wird zu seinem großen Vorbild. "Ich leckte, ich kaute, ich schluckte und genoss den großen Dichter", schreibt Biermann. Als Regieassistent fängt Biermann am Berliner Ensemble an, das Theater wird zum "Drehpunkt" seines Lebens. Als er beginnt, eigene Lieder zu spielen, gefallen diese auch dem Komponisten Hanns Eisler, dem musikalischen und politischen Weggefährten Bertolt Brechts.

Vom Brecht-Verehrer zum Politbarden

Biermann lässt sich einen Schnurrbart wachsen - anfangs muss er etwas nachhelfen und färbt ihn schwarz. Er spielt das "Spiel der Geschlechter", schart Frauen "wie ein Schmetterlingssammler" um sich - insgesamt wird Biermann Vater von zehn Kindern. Die anfängliche Liebesbeziehung zur DDR verfliegt schnell. Als er 1963 das Theaterstück "Berliner Brautgang" aufführen will, das vom Mauerbau handelt, schließt das Regime sein gerade erst gegründetes "Arbeiter- und Studententheater". 1965 verbieten ihm die DDR-Behörden aufzutreten und zu publizieren.

In seiner Wohnung trifft Biermann (r.) auch Freund und Mitstreiter Robert Havemann (l.)

Biermanns verwanzte und überwachte Ost-Berliner Wohnung in der Chausseestraße 131 wird bald zum Treffpunkt der Kritischen - sie sei ihm wie die "Wartehalle für die Weltrevolution zwischen den Welten" vorgekommen, schreibt Biermann über damals. Da gibt er noch Konzerte. Seine bitterbösen Lieder spenden den Dissidenten Hoffnung, sein Lied "Ermutigung" wird in der DDR zur Hymne der Unterdrückten.

Liedtext von "Ermutigung" "Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich. Und brechen ab sogleich. Du, lass dich nicht verbittern in dieser bitteren Zeit. Die Herrschenden erzittern, sitzt du erst hinter Gittern, doch nicht vor deinem Leid. Doch nicht vor deinem Leid. Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Das wollen sie doch bezwecken, dass wir die Waffen strecken schon vor dem großen Streit. Schon vor dem großen Streit. Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit. Du kannst nicht untertauchen, du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit. Grad deine Heiterkeit. Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit. Das Grün bricht aus den Zweigen, wir wollen das allen zeigen, dann wissen sie Bescheid. Dann wissen sie Bescheid." Abkehr vom Kommunismus

Blinde Systemtreue zur DDR ist für ihn Verrat am Kommunismus und an der Revolution. Das Ministerium für Staatssicherheit, die Stasi, fürchtet den Einfluss seiner frechen Texte - Biermann hat bereits sechs Langspielplatten und mehrere Gedichtbände in West-Deutschland veröffentlicht - und erarbeitet einen Plan zur "Zersetzung" seiner Person. Ein Teil davon: "Alle Liebesverhältnisse zerstören." Allein seine Popularität schützt Biermann vor der Haft.

Biermann kritisiert die Partei "Die Linke" bei einer Feierstunde im Bundestag

Auch nach seiner Ausbürgerung glaubt Biermann noch an den Kommunismus - aber nicht an die DDR. Endgültig bricht er 1983 mit der Ideologie. "Und das war der entscheidende Sprung in meinem Leben", weiß er rückblickend. Der Kommunismus, "ein Weg in die Hölle, um das Paradies auf Erden zu erzwingen", nehme für eine soziale Idylle auch Unterdrückung und Ausbeutung in Kauf.

Bis heute meldet sich Biermann zu politischen Streitthemen zu Wort. Er selber stilisiert sich zum "Drachentöter", dessen Waffe die Gitarre ist. 2014 durfte er bei einer Feierstunde zum Mauerfall im Bundestag musizieren. Er nutzt die Gelegenheit, um über die Nachfolgepartei des DDR-Regimes zu wettern.

Autobiografie ist ein Stück deutscher Geschichte

Auch mit 80 Jahren steht Biermann noch auf der Bühne - manchmal zusammen mit seiner Frau, der Sängerin Pamela Rüsche. Er liebt das Rampenlicht und die öffentliche Kritik. Viel ist Biermann deswegen schon selbst kritisiert worden. Ichbezogenheit und Rechthaberei werden ihm oft vorgeworfen. In seiner Autobiografie begegnet er solchen Vorwürfen mit Selbstironie.

Beim Lesen von "Warte nicht auf bessre Zeiten!" taucht man ein in die Gedankenwelt des Dichters und wird mitgenommen auf die zahlreichen Begegnungen seines Lebens - allein 14 Seiten seiner Memoiren umfasst das Personenregister. Biermanns Leben, seine Familienhistorie ist ein beeindruckendes Stück deutscher Geschichte. Seine Autobiografie macht diese erlebbar.

Wolf Biermann: Warte nicht auf bessre Zeiten!, Propyläen Verlag, 543 Seiten, ISBN 978-3-549-07473-2
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