Teile dein Auto, deine Wohnung, dein Essen - die Share Economy boomt bei den Mittzwanzigern. Das nervt. Hört auf zu schnorren!
Die jungen Menschen von heute sind manchmal eigen. Ich darf das sagen, denn ich bin einer von ihnen. Ein junger Mensch, der gerne schöne Dinge besitzt. Und genau darin liegt das Problem. Im Besitz. Denn meine Generation tauscht und teilt, leiht und verschenkt. Ich nicht, ich kaufe. Und ich teile ungern mit fremden Menschen Sachen, die mir lieb sind. In Zeiten der sogenannten Share Economy ist das eine Provokation. Wer seine Gegenstände als Eigentum sieht und in Besitzstandsdimensionen denkt, hat im sozialen Gefüge versagt. Er verhindert eine große Vision. Denn es gilt: Ich teile, also bin ich.
Sie kennen den Begriff Share Economy gar nicht? Schätzen Sie sich glücklich. Dann hat Sie das Diktat des Teilens noch nicht erreicht. Wundern Sie sich aber nicht, wenn Fremde demnächst an Ihrer Tür klingeln und nach Ihrem Nasenhaartrimmer fragen. Leihen statt kaufen, nutzen statt besitzen. Alles gaaanz normal. I ch kann mich von dieser neuen Vergemeinschaftung der Dinge, ja von dieser neuen Konsummentalität, kaum mehr befreien. Will ich die übrig gebliebene Lasagne in den Müll werfen (ich habe davon schon zwei Tage gezehrt), packt mich das schlechte Gewissen. Nicht wegen der hungernden Dritte-Welt-Kinder, nein, sondern wegen der 1793 Menschen in meiner Stadt, die meine Nahrungsreste gerne noch essen würden. Foodsharing nennt sich das Konzept. Auf diversen Plattformen und in den sozialen Medien kann man sich anmelden, um zu sehen, wer wo was abgibt. Schnorren mit Anspruch. Sehr angesehen bei den Mittzwanzigern. Denn es hat mehr Niveau, als in der Mülltonne zu wühlen. Letzte Woche beispielsweise dieses großzügige Angebot: "Seitan-Bällchen vom Wochenende kostenlos in Düsseldorf-Rath abzuholen, sie enthalten Seitan (Weizengluten), Kidneybohnen, Zwiebeln, Knoblauch und Gewürze. Bei Interesse PN". Dazu ein tristes Foto, auf dem man fünf mickrige braune Kügelchen in einer Plastikschale sieht. So sieht die lang ersehnte Revolution unseres Konsumverhaltens also aus.
Bio, Fairtrade, gluten- und tierfrei, ach, das ist doch mittlerweile alles selbstverständlich. Mainstream, ächzt der Hauptstadt-Hipster. Der echte Ressourcenfreund und Umweltliebhaber führt die Lebensmittelkette fort: Von der Kühltheke in die heimische und weiter in die fremde Küche. Denn das ist super politisch korrekt. Und Political Correctness, kurz PC, ist das Allerwichtigste für den ökologisch verantwortlichen Hipster. Politische Korrektheit ist quasi eine Lebenseinstellung, ja gar eine eigene Religion, der sich alles unterordnet. Es geht längst nicht mehr nur um die Herkunft der Lebensmittel, entscheidend ist auch, wo sie ihr Ende finden. Bei mir in der grünen Tonne - und nicht als Annonce bei Facebook. Damit handle ich in den Augen meiner Alterskameraden allerdings ziemlich unkorrekt. Denn ich weigere mich, die matschigen Reste meiner Lasagne als wertvoll anzuerkennen, sondern betrachte sie als das, was sie sind: Abfall. Entscheidend beim Foodsharing ist allerdings nicht die Qualität, wie Sie sicherlich merken, sondern der gute Wille. Jemand holt sich durch die fremde Mahlzeit Salmonellen - Mensch, passiert. Das Essen ist versalzen und ungenießbar - ja mei, kann der halt nicht so gut kochen. Hauptsache man ist nett zueinander. I care for you, I share with you. Anscheinend lebt meine Generation nur von Liebe und braunen Seitan-Bällchen. Die Share Economy kennt keine Gefahren, nur Harmonie. Sie appelliert ans Herz, nicht an den Kopf. Teile dein Essen, deine Wohnung, dein Auto. Alles gut, alles schön. Yippie yeah. Wer aber anfängt, über die Risiken zu sprechen ("Ich könnte vergiftet/reingelegt/beraubt werden"), der bekommt die Moralklatsche zu spüren. Auf einmal ist alles nicht mehr so easy und unbeschwert. Und die Moralklatsche, die tut weh. Denn der Vorwurf lautet: Böse ist, wer Böses denkt. Ich kann nun mal nicht leugnen, dass die Stimme meines freudschen Über-Ich alias meiner Mutter mir jedes Mal unheimliche Dinge ins Ohr säuselt, wenn ich in ein fremdes Auto einsteigen will.
Doch mit meinem Unmut und mit meinen Ängsten scheine ich alleine zu sein. Oder zumindest in einer sehr uncoolen Minderheit. Denn im Netz wimmelt es nur so von Nutznießern, die von dem Überfluss anderer leben wollen. Geteilt wird mittlerweile fast alles: Kinderspielzeug und Klamotten, Garten und Büro, jeglicher Krimskrams auf dem Speicher. Vielleicht zählt bald auch die Muddi zum Sortiment. Denn die Großzügigkeit scheint grenzenlos. "Teilen ist das neue Haben" lautet der Slogan einer der führenden Plattformen. Im Internet gibt es mittlerweile Aufkleber für den Briefkasten, auf denen Gegenstände abgebildet sind, die sich die Nachbarn bei einem ausleihen können. Auf der Sticker-Palette zu sehen: Ein Schlauchboot, eine Bananenkiste, eine Gugelhupfform, ein paar Schneeschuhe. Ja, kreativ sind sie schon. Bei meinen Nachbarn habe ich allerdings noch nie solche Aufkleber entdeckt. Entweder besitzen die kein Schlauchboot oder sie sind ziemliche Egoisten, weil sie es im Keller verkommen lassen (uiuiui, Asoziale im Haus). Die Share Economy besitzt vor allem einen großen Haken, den die meisten Konsumgegner nicht sehen wollen: Das System wird immer sich aufopfernde "Idioten" brauchen, die sich das besagte Schlauchboot tatsächlich für 79 Euro bei Amazon kaufen, damit auch die anderen im Sommer fröhlich umherpaddeln können. Denn wenn alle immer nur schnorren und schmarotzen und jeder sich denkt: "Ach, leih ich mir", dann erstickt die Share Economy auf Dauer an ihrer eigenen Kaufverweigerung. Nur wenige können es sich im dauerhaften Verzichten und Trotzdem-Haben bequem machen. Damit das fortwährende Teilen in Bewegung bleibt und nicht erstarrt, muss es Menschen geben, die weiterhin konsumieren. Teilen kann nur derjenige, der besitzt. Und genau diese Balance zwischen Besitzen und Teilen beziehungsweise Teilenwollen findet die Share Economy nicht. So ist beispielsweise das Hamburger Start-up "Why own it" nach drei Jahren mit seiner App gescheitert, mit deren Hilfe sich Nutzer gegenseitig Dinge leihen konnten. Das Problem der Geschäftsidee beschrieb der Gründer Philipp Gloeckler kürzlich in einem Interview: "Jeder ist sofort bereit, sich etwas auszuleihen, nur wenige wollten etwas verleihen." Es ist also weniger eine Ökonomie des Teilens als des Nehmens.
Der Gedanke des komplementären Besitzes - ich habe die Nägel, du leihst mir den Hammer - bleibt eine Utopie. Denn wer dauerhaft nur nimmt, aber nicht gibt, zerstört die Share-Economy-Bewegung im Kern. Ich teile zwar meine Lasagne nicht, esse aber dafür auch keine Seitan-Bällchen aus anderer Leute Plastikschalen. Die Wirtschaft versucht stetig aus dieser Ökonomie des Nehmens ein Geschäftsmodell zu machen. Unternehmen wie Uber, ein privater Fahrdienst, oder Plattformen wie Airbnb, auf der Wohnungen an Fremde vermietet werden können, haben das Potenzial gewittert und verdienen mit ihrer Vermittlung Millionen. Das halbseidene Geschäft lockt sowohl die Anbieter als auch die Nutzer mit attraktiven Angeboten und bietet zahlreiche Schlupflöcher: Taxilizenz, Mehrwertsteuer, Sozialabgaben - all das lässt sich einfach umgehen. Wo mit Güte und Hilfsbereitschaft gehandelt wird, kann Gesetzestreue ja nicht so wichtig sein. Der Schnorrer wird zum Kunden, die Share-Economy-Idee zum Kommerz. Der aufflammende Konsumtrend, der sich als neuer Sozialismus präsentiert, wirft mittlerweile einen langen Schatten. In dieses Dunkel geraten diejenigen, die ihre Dienste weiterhin konventionell anbieten. Vor allem in Berlin, wo alles, was trendig und hip wirkt, irgendwie Erfolg hat, fürchten Hotelbesitzer mittlerweile um ihre Existenz.
Denn das private Zimmergemauschel, das am Finanzamt vorbeimanövriert wird, lässt die Buchungen der Hoteliers, die mit ihren Preisen nicht mithalten können, zurückgehen. In zahlreichen Großstädten, wo Wohnraum eh schon knapp ist, werden Immobilien zur illegalen Untervermietung genutzt. Aus der ursprünglichen Gästezimmer-Vermittlung ist ein Geschäft geworden. So hat die Hauptstadt schon vor zwei Jahren das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz erlassen, um die Zahl der Ferienwohnungen einzudämmen. Bewirkt hat das bislang wenig. Aktuelle Airbnb-Angebote in Berlin für morgen Nacht: 893. Die Taxifahrer hatten da schon mehr Glück: In Deutschland ist der Fahrdienst Uber verboten worden, wettbewerbswidrig sei das Angebot und stifte Privatfahrer ohne Taxikonzession zum Rechtsbruch an, entschied das Frankfurter Landgericht im März. Geschützt werden so nicht nur die Taxi-Branche, sondern auch die Privatfahrer selbst - vor dem ausbeuterischen System. Denn Uber zahlt keinen Mindestlohn und bietet keinen Versicherungsschutz. Wer einen Unfall baut, muss zuschauen, wie er klarkommt. Teilen hin oder her, die Kosten trägt der Fahrer alleine.
Die Grundlage der Share-Economy-Bewegung ist in erster Linie zwar weiterhin Vertrauen. Vertrauen darein, dass der Eintopf tatsächlich vegan ist, dass der ausgeliehene Tennisschläger wieder zurückgebracht wird, dass die Wohnung nicht verwüstet hinterlassen wird. Die Währung bleibt aber das Geld. 30 Euro für eine Fahrt, 50 Euro für eine Übernachtung. Von der ursprünglichen Idee, basierend auf Barmherzigkeit und kleinen Gefälligkeiten, ist somit wenig übrig geblieben. Die meisten "sharen" ihr Auto oder ihre Wohnung, weil es ein lukrativer Nebenverdienst ist. Der Gedanke des gemeinnützigen Teilens gerät dabei in den Hintergrund. Genau hier offenbart sich die Scheinheiligkeit der Share Economy: Sie gibt uns vor, dass wir aus Nächstenliebe handeln, aber eigentlich gilt die Liebe doch dem Geld. Ihr, die "Sharer", strebt also angeblich den Ausstieg aus dem Hamsterrad des Kapitalismus an, doch eigentlich seid ihr die wahren Egoisten, die Gewinnmaximierer, weil ihr nur an euren Geldbeutel denkt. Früher hat man für das, was euch antreibt, einen anderen Begriff verwendet: Geiz. Jetzt hab ihr eurer Sparsamkeit einen hübschen Mantel übergeworfen. Ihr argumentiert mit Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung, schwadroniert über Ökobilanz, CO-Ausstoß und Klimasünden.
Doch ich lasse mich nicht irreführen von der neuen Pseudo-Nettigkeit. Denn der naive Gedanke "Wir teilen alles für eine bessere Welt" birgt auch Gefahren. Wenn wir beispielsweise Bücher nur noch tauschen und nicht mehr kaufen, dann ist das zwar umweltfreundlich, für den Buchhändler um die Ecke ist das auf lange Sicht aber tödlich. Auch für den Autor, der davon lebt, dass seine Bücher nicht nur gelesen, sondern auch bezahlt werden. Doch das will die Share Economy nicht hören. Denn die Generation Y, sie besteht aus vielen kleinen Despoten mit Jutebeuteln, die unterschwellig, aber mit fester Hand, Druck auf ihre Mitglieder ausübt. Teile und herrsche. Wer bei dem Trend nicht mitmacht, wird als spießig, uneinsichtig und asozial abgetan. "Von Gemeinschaft kannst du ja nichts verstehen", heißt es abfällig.
Die Anhänger feiern zwar permanent das Teilen, den großen Gedanken, sie entwerten ihn aber zugleich: Denn Teilen ist bei der Share Economy kein Gefühl der persönlichen Zuneigung mehr, kein christlicher Akt, sondern ein kollektiver Zwang. Es geht mehr ums Dabeisein als ums Teilen. Dabei bedeutet Teilen so viel mehr als das, was die Share Economy uns vorgibt. Teilen ist ein Zeichen der freundschaftlichen Begegnung, ein Zeichen der Nächstenliebe, ein elementarer Bestandteil des christlichen Glaubens. Teilen verbindet und versöhnt. Es stimmt friedlich und macht glücklich. Ich kann euch Trendsettern nur sagen: Wenn ich mein Hab und Gut mit jemandem teile, dann tue ich das, weil ich die Person mag und weil ich ihr vertraue. Das werdet ihr nicht nachvollziehen können. Denn ihr besitzt ja kaum etwas mehr, das euch lieb und teuer ist. Ihr teilt ja nicht. Ihr leiht euch die Dinge nur aus.