Gutes Erbe
Nichts ist falsch daran, Vermögen an die nächste Generation zu übertragen. Im Gegenteil, die Gesellschaft profitiert davon, glaubt unsere Autorin Laura Díaz. Und der Staat muss sich nicht in alles einmischen
Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit macht viele Menschen nachdenklich. Manche treibt es an: Nach dem Tod soll etwas übrig bleiben von einem. Und zwar mehr als nur Erinnerungen. „Dass am Ende dieses Lebens mehr als ’ne Trophäe bleibt“, rappt der deutsche Sänger Cro in seinem Song „Unendlichkeit“. Der Wunsch, den Nachfahren etwas zu hinterlassen, ist groß. Rund jeder zweite Deutsche, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, ist fest entschlossen, seinen Liebsten etwas zu vererben.
Die einen gründen ein Unternehmen, um es ihren Kindern eines Tages zu überlassen. Andere wollen nach ihrem Ableben ihr Haus im sicheren Familienbesitz wissen. So oder so: Es geht um Geld, um Vermögen, welches von einer Generation in die andere transferiert werden soll. Dieser Wunsch ist legitim und verständlich.
Wer Erben unfair findet, neigt zur Missgunst
Doch bei diesem privaten Moment, dem Erben, dem ja das Sterben einer Mutter, eines Vaters oder eines anderen Verwandten vorangeht, spalten sich die Geister. Als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 das Erbschaftsteuerrecht in seiner damaligen Form für weitgehend unzulässig erklärte, entbrannte eine gesellschaftliche Debatte ums Erben. Obwohl sich im September 2016 Bund und Länder auf eine Reform des Erbschaftsteuergesetzes einigten, kam auch bei der jetzigen Bundestagswahl erneut die leidige Frage auf: Ist Erben gerecht?
Die Antwort lautet: Ja. Diejenigen, die glauben, verschenktes Vermögen fördere die soziale Ungleichheit, neigen zur Missgunst. Für manche Menschen ist es unerträglich, dass andere reicher werden, obwohl sie augenscheinlich für dieses Geld nichts geleistet haben. Genauso gut kann man sich darüber ärgern, dass die Nachbarin bessere Gene vererbt bekommen hat.
Kurzum: Man kann den Neid auf die Ungleichheit ad absurdum führen. Nicht zu Unrecht wird die Erbschaftsteuer auch „Neidsteuer“ genannt. Manche Menschen können mit dem geerbten Geld tatsächlich große Sprünge machen, andere vielleicht nur einen Kurzurlaub an der Ostsee. Fakt ist: Laut der eingangs zitierten Umfrage hat mehr als jeder dritte Erwachsene in Deutschland schon einmal geerbt.
Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, eines Tages in die Rolle des Nehmers als auch des Gebers zu schlüpfen. Beides ist mit Hoffnungen und Gefühlen verknüpft. Es ist kein Wunder, dass das Thema Erbe in William Shakespeares „König Lear“ oder Thomas Manns „Buddenbrooks“ behandelt wird und somit den Eingang in die Weltliteratur geschafft hat. Erben ist ein ewiges Motiv.
Ohne Erbe wäre vieles nicht möglich
Wer meint, Erben sei etwas Verächtliches, möge an die eigenen Eltern denken: Wie zufrieden diese sein werden, wenn sie für ihre Kinder und Kindeskinder so viel Erspartes zur Seite gelegt haben, damit es ihnen besser geht, als es ihnen selbst ging. Damit sie sich etwas Gutes leisten können. Was ist daran falsch, wenn Mama und Papa genug dagelassen haben, damit man sich beispielsweise schon mit 43 Jahren eine Eigentumswohnung in Frankfurt oder Berlin-Mitte leisten kann? Selbst wenn man noch eigenes Geld drauflegen muss. Ohne geerbtes Vermögen wäre vieles heutzutage nicht möglich.
So sparen viele Familien nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern wollen auch die nachfolgende Generation an ihrem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben lassen. Ist das denn so schlimm? Und vor allem: Was wäre die Alternative? Sollen Eltern ihr ganzes Geld verpulvern, soll Vermögen erst gar nicht angehäuft werden? Ausgerechnet für die Generationen Y bis Z, die in naher Zukunft den demografischen Wandel hart zu spüren bekommen werden, wäre das fatal.
Vererben ist ein Akt der Freiheit
Für die junge Generation ist es in Zeiten von explodierenden Mietpreisen und spätem Berufseintritt sowieso schon schwer, ein finanzielles Polster aufzubauen. Das Erbe kann ein stabilisierender Faktor für die Volkswirtschaft sein, so wie es in der Vergangenheit schon entscheidend zum Erfolg zahlreicher Familienunternehmen im deutschen Mittelstand beigetragen hat.
Vererben ist ein Akt der Freiheit und Liebe vor dem letzten Atemzug. Selbst wenn Letzteres nicht zutrifft: So manche Tochter pflegt die Mutter im Wissen, dass diese Fürsorge im Testament belohnt werden wird. Der moralische Skandal besteht also nicht im Erben an sich. Unverschämt ist eigentlich nur, dass der Staat bei diesem letzten Geschenk mitmischt und in die familiäre Privatsphäre eingreift.
Die Erbschaftssteuer gehört abgeschafft
Die Erbschaftsteuer sollte, wie in Österreich oder Schweden, ganz abgeschafft werden. Denn das vererbte Geld wurde bereits zu Lebzeiten versteuert. Richtig unfair wird es bei der Erbschaftsteuer, wenn dasselbe Vermögen über mehrere Generationen hinweg vererbt wird. Denn jedes Mal nimmt sich der Staat ein neues Stück vom selben Kuchen. Mit knapp sieben Milliarden Euro trägt die Erbschaftsteuer nur minimal zur Staatsfinanzierung bei. Für den Fiskus ist die Erbschaftsteuer mehr als entbehrlich. Für die trauernden Hinterbliebenen ist sie ein bürokratisches Ungeheuer.
Laura Díaz ist Redakteurin bei ZDF Digital und schreibt als freie Journalistin. Sie wird wahrscheinlich erst in ein paar Jahrzehnten die Hälfte eines Reihenhauses im Ruhrgebiet erben.