Zuhause, in seinem Zimmer, sieht es so aus, als sei Jonny gerade aufgestanden. Die Vorhänge sind halb zugezogen, im offenen Schrank hängen gebügelte Hemden, im Schuhregal stehen Basketballstiefel von Nike, auf dem Schreibtisch steht eine Flasche Eau de Toilette, die Bettdecke ist zerwühlt. Darauf liegt eine geöffnete Tüte Chips. Als sei Jonny nur kurz aus dem Zimmer gegangen. Aber Jonny ist tot. Er wurde erschlagen. „Nicht einmal das wurde er", sagt Jonnys Vater, „zertreten wurde er. Was sind das für Kerle, die jemanden zertreten?"
„Er war doch bloß mit Freunden feiern"Lothar K. betrachtet Jonnys Kleidung, den Fernseher, die Schuhe, für die er ihm gerade noch Geld dazu gegeben hat. „Wenn Jonny in Afghanistan gewesen und dort erschossen worden wäre, dann wäre das eine Erklärung für seinen Tod", sagt er, „aber er war doch bloß mit Freunden feiern."
Tränen laufen über K.'s Gesicht. Seine Arme hängen schlaff am Körper, er zieht ein Bein nach. Der 68-Jährige wirkt hilflos, dabei ist er ein großer, kräftiger Mann. Er ist früher zur See gefahren, dann war er Koch. Danach hatte er zwei Schlaganfälle. Mitte der 90er Jahre war das, seitdem lebt K. von Hartz IV. Jonny war so etwas wie der Lichtblick in K.'s Leben.
„Er war immer perfekt, immer ordentlich. Alle zwei Wochen beim Friseur. Er hat mir nie vorgeworfen, dass wir von Hartz IV leben müssen." Jonny habe Versicherungsmakler oder so etwas werden wollen, genau weiß K. das nicht. Früher hatte Jonny Probleme in der Schule, „aber dann hat er seinen Realschulabschluss nachgemacht und wollte nun das Fachabitur."
K. versagt die Stimme. Seit Sonntag ist das fast durchgehend so. Er ist nicht ins Krankenhaus gefahren, „weil ich Jonny nicht zertreten an Maschinen sehen wollte". Er wollte zum Sozialamt, um Formulare für die Bestattungskosten zu holen, aber er hat seine 15-jährige Tochter geschickt. K. bleibt allein in der Wohnung am Spandauer Stadtrand, ein Tennisplatz trennt ihn von Brandenburg. Er weiß nicht, wohin er sollte.
Seine Frau, eine Thailänderin, sei im Tempel in Wittenau, „da halten sie die Totenfeier. Jonnys Freunde, meine ich. Den zweiten Tag nun schon." K. weint wieder.
Schweigeminute an Jonnys SchuleAm Oberstufenzentrum Handel II in Marzahn hat Schulleiter Eckehart Heidrich eine Trauerecke eingerichtet. Ein Tisch mit einem Foto von Jonny K. samt Trauerflor, dazu weiße Chrysanthemen und eine Kerze. Er sei fassungslos und wütend, sagt Heidrich. „Er war ein ganz lieber, netter Junge mit offenem Blick."
Zielstrebig habe Jonny K. auf einen guten Berufsabschluss hingearbeitet, nebenbei bei Saturn und Kaisers gejobbt. Heidrich kündigt an, ein Bild des Toten in der Schule aufzuhängen. Am Donnerstag soll auf dem Schulhof eine Schweigeminute für Jonny K. abgehalten werden.
In der St. Marienkirche am Alexanderplatz liegt seit Dienstag ein Kondolenzbuch aus. Dort stehen neben zahlreichen Beileidsbekundungen auch ausländerfeindliche Beiträge, die sich offenbar auf die Täter beziehen. Diese sollen einen Migrationshintergrund haben. „Wann werfen wir dieses Pack endlich aus unserer Heimat", schreibt beispielsweise ein Besucher. Sollten weiter solche Äußerungen eingetragen werden, will die Kirchengemeinde das Buch schließen.