María José Coni, 22, und ihre Freundin Marina Menegazzo, 21, beide Studentinnen, waren unbeschwert im ecuadorianischen Städtchen Montañita unterwegs, als sie im Februar von zwei Männern ermordet und auf der Straße liegen gelassen wurden. Statistisch gesehen sind María José und Marina damit nur zwei von mehreren Tausend, die jedes Jahr der gezielten Frauentötung in Lateinamerika zum Opfer fallen. Zwei Tote mehr, mehr nicht.
Und doch hat der Mord an diesen argentinischen Backpackerinnen die angestaute Wut eines Kontinents zum Ausbruch gebracht. Denn die Behörden argumentierten: Die beiden waren selbst schuld an ihrem Unglück, weil sie als schöne Frauen alleine reisten. Eine ähnliche Denkweise äußerte der peruanischen Kardinal Juan Luis Cipriani in einem Interview, als er zum Thema Gewalt gegen Frauen letzte Woche sagte, die jungen Mädchen würden heutzutage den sexuellen Missbrauch durch "unangemessene Kleidung" und durch die "Zurschaustellung ihres Körpers" provozieren.
Nachdem der Erzbischof von Lima wegen dieser Aussage von allen politischen Lagern stark kritisiert wurde, gab er an, sich missverständlich ausgedrückt zu haben. Er verurteile sexuellen Missbrauch und jegliche Art von Misshandlung. Erst in der Woche zuvor waren zwei Frauen, darunter ein kolumbianisches Model, in Mexiko-Stadt brutal ermordet worden.
Die jüngsten Vorfälle haben in der spanischsprachigen Welt eine Welle der Empörung ausgelöst, die am Wochenende in einer großen Kundgebung in Peru ihren Höhepunkt fand. Auch in Bolivien, Brasilien, Kolumbien und Mexiko hat es unter dem Motto "Ni una menos", zu Deutsch "Nicht eine Frau weniger" Massendemonstrationen gegen die vorherrschende Machokultur und die damit einhergehende Gewalt gegen Frauen gegeben.
Just in diesen aufgeheizten Tagen wünschen sich viele Lateinamerikaner die Unterstützung ihres Papstes. So appellierte der peruanische Ex-Präsidentschaftskandidat Alfredo Barnechea, der an der Demonstration teilnahm: "Es ist sehr wichtig, dass die Hierarchien der Kirche die Gewalt gegen Frauen ablehnen und die Gleichstellung der Geschlechter unterstützen." Doch wo ist Franziskus, wenn ihn seine Landsleute brauchen? Der Aufschrei ist laut genug, dass er bis nach Rom hallt.
Bislang gab es keine Stellungnahme des Papstes zu dem, was derzeit in seiner alten Heimat passiert. Auch korrigierte die katholische Kirche nicht die missglückte Aussage des peruanischen Kardinals Cipriani. Diese hätte von vornherein lauten müssen: Wenn Frauen verprügelt werden, gibt es nur einen Verantwortlichen, und zwar den Täter.
Seit Beginn des Pontifikats gibt sich Franziskus als Frauenversteher und Feminist. Er unterstützt die Mütter, bezeichnet den weiblichen Genius als Geschenk für die katholische Kirche, besingt die Zärtlichkeit der Maria Magdalena. Doch wenn es bei den echten Marias mal nicht so zärtlich zugeht, schweigt der Barmherzige. Für die Brutalität an den Frauen findet Franziskus, der sonst gerne die Dinge konkret beim Namen nennt, wenig scharfe Worte. Dass er, als er im Februar einen Vorort von Mexiko-Stadt besuchte, in dem 600 Frauen ermordet und zerstückelt worden waren, dem Volk einige hoffnungsvolle Sätze mit auf dem Weg gab und die Kriminalität verurteilte, war das Mindeste, was Franziskus tun konnte. Wenn dem Papst jedoch etwas wirklich am Herzen liegt, wird er nie müde, seine Botschaft kontinuierlich zu wiederholen. Korrupte Männer verurteilt er. Familien, die auseinanderbrechen, bedauert er.
Doch bei häuslicher Gewalt? Unklares Genuschel. Selbst im postsynodalen Schreiben "Amoris laetitia", in dem er über "Die Liebe in der Familie" schreibt, mahnt er in keiner einzigen Passage explizit Männer davor, Gewalt- und Mordfantasien an Frauen auszulassen. In einem Abschnitt heißt es gar: "Manchmal bewundere ich zum Beispiel die Haltung von Personen, die sich von ihrem Ehepartner trennen mussten, um sich vor physischer Gewalt zu schützen, und die dank der ehelichen Liebe, die über die Gefühle hinauszugehen vermag, trotzdem fähig waren - wenn auch über Dritte -, in Momenten von Krankheit, Leiden oder Schwierigkeit für dessen Wohl zu sorgen. Auch das ist Liebe trotz allem."
Zynisch könnte man sagen: Franziskus findet den Klaps auf den Po also nicht nur bei Kindern verzeihlich. Wenn Machos die Hand gegen die Ehefrau erheben, ist das oft Folge eines falsch verstandenen traditionell-konservativen Familienbildes, welches auch von manchen in der Kirche propagiert wird. Ihren eigenen Anteil an dieser Machokultur reflektieren die Katholiken nicht. Ausgerechnet Franziskus, der in einer männerdominierten Gesellschaft aufgewachsen ist, sollte sich berufen fühlen, die Gewalt gegen Frauen - die es überall auf der Welt gibt - mit aller Härte zu bekämpfen.
Am Freitag besuchte der Papst einige Ex-Zwangsprostituierte in einer römischen Hilfseinrichtung. Die Aktion kam, typisch Franziskus, überraschend. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, um auf die neue Frauenbewegung in Lateinamerika aufmerksam zu machen. Doch Papst Franziskus schwieg.