Abgehört - neue Musik High im House-Flur
Kelly Lee Owens scheint einen Hang zur musikalischen Hommage an ihre Held*innen zu haben: Auf ihrem 2017 erschienen, selbst betitelten Debütalbum widmete sie dem Avant-Disco-Pionier Arthur Russell mit "Arthur" einen verträumten Ambient-Techno-Track. Im selben Jahr veröffentlichte Owens ein Cover inklusive Remix von Aaliyahs "More Than A Woman" und ließ die ikonische R&B-Hymne über sphärische Acid-Lines blubbern. Mit "Arpeggi" eröffnet sie nun ihr zweites Album "Inner Song" direkt mit einem Radiohead-Zitat, indem sie das sacht gezupfte Gitarrenmotiv von "Weird Fishes/Arpeggi" einmal durch den Sequencer jagt und das synkopierte Drumpattern so prägnant herausarbeitet, dass man sehnsüchtig auf das Amen-Break wartet.
Und damit ist der musikalische Referenzrahmen, in dem sich die in London lebende Produzentin und Sängerin bewegt, noch nicht mal ansatzweise umrissen: Arca, Björk, Jon Hopkins, Daniel Avery, Jenny Hval, St. Vincent - die Liste von Kelly Lee Owens Kollaborations- beziehungsweise Remixpartner*innen strotzt nur so vor Zeitgeist und lässt ihre musikalische Verortung zwischen Dancefloor, glitchigem Pop und Avant-Singer-Songwriter umso schwieriger greifen. Sie selbst beschreibt es als "Convention blurring techno" und bringt es damit wahrscheinlich am besten auf den Punkt: Techno, der die Konventionen vernebelt.
Traditionellen Techno findet man auf "Inner Song" tatsächlich nur auf dem Peaktime-Banger "Melt!", für den Owens passend zum Klimawandel den Sound schmelzender Gletscher gesampelt hat. Blurry ist auf "Inner Song" wiederum einiges: Kunstvoll schichtet Owens ihren melancholischen Gesang zu schwindelerregenden Soundtürmen auf und lässt verhallte Pop-Hooks mit pulsierenden Dancefloor-Grooves verschmelzen. "On" kommt als einziger Popsong klassischer Machart früheren Ohrwürmern wie "Lucid" oder "Anxi." am nächsten, wobei bereits hier die Marschrichtung des neuen Albums deutlich wird: Es wird rougher, Dancefloor-orientierter und doch weniger vorhersehbar. Wie bei Arthur Russell weiß man auch bei Kelly Lee Owens zu Beginn ihrer Tracks selten, wo sie enden werden - und wird somit angenehm überrascht, wenn "On" sich vom melancholischen Elektropop plötzlich in einen astreinen UK-Garage verwandelt.
Heimlicher Star des Albums ist jedoch das etwas sperrige "Corner Of My Sky": Keinen Geringeren als Velvet-Underground-Gründungsmitglied John Cale holte sich Owens für das Spoken-Word-Feature als Gast. Über einem Dub-artigen Drone sprechsingt er poetisch verfremdet sowohl auf Englisch als auch auf Walisisch - und liefert neben der musikalischen eine weitere Hommage: an die westbritischen Wurzeln, die er und Owens teilen. (8.6) Laura Aha